"Salome" am Gorki Theater: Auf dem Silbertablett
Zwischen Trash und Tragödie: Ersan Mondtags übt mit seiner „Salome“ am Maxim Gorki Theater handfeste Gesellschaftskritik und sorgt für Gendertrouble.
Herodias ist mit der Welt fertig. „Wie ich den Westen und seine sinkende Sonne verabscheue“, spricht sie so energisch über die Rampe des Berliner Maxim Gorki Theaters, dass ihre mohrrübenrote Koboldfrisur nachwippt. Auch Herodias’ Tochter Salome gibt gleich beim ersten Auftritt fundamentale Erschöpfungserscheinungen zu Protokoll: „Ich kann nicht mehr“, klagt sie. „Ich bin ein Ding, ein Bonbon.“
Eine Diagnose, die von ihrem Kostüm vollumfänglich bestätigt wird: Die Prinzessin trägt schreiend türkisfarbene Strümpfe unter ihrem knielangen, von Kostümbildner Josa Marx aus edlem Zwirn gefertigten Harlekinskleid. Und zwar zu einer Turmfrisur, die wirkt, als wolle sie das Herbert-Fritsch-Theater umarmen und gleichzeitig dekonstruieren: Nicht ganz leicht zu vereinbarende Impulse, die den ganzen Abend durchziehen – und ihn zu einem schwer entwirrbaren Potpourri machen. In Inhalt, Gestus und Ästhetik.
Im Kern wird die Tragödie um die biblische Königstochter Salome gespielt, die vor den Zudringlichkeiten ihres Stiefvater Herodes flüchtet und ihrerseits Jochanaan begehrt, der sie zurückweist. Als Rache verspricht Salome Herodes, für ihn den „Tanz der sieben Schleier“ zu tanzen und verlangt im Gegenzug des Kopf des jüdischen Bußpredigers und Propheten auf einem Silbertablett. Die Gorki-„Salome“ firmiert dabei als Uraufführung, weil es sich um eine Überschreibung der Oscar-Wilde-Tragödie durch Thomaspeter Goergen handelt.
Ersan Mondtag hebelt Rollen- und Besetzungsklischees aus
Der 31-jährige Regisseur Ersan Mondtag, der als Assistent bei Vegard Vinge begann und sich in den letzten Jahren mit entsprechend formbewussten und bildstarken Inszenierungen in die Bühnenbundesliga inszeniert hat, hat augenscheinlich viel vor mit dieser „Salome“. Zum Beispiel: Repräsentationskritik. Mondtag arbeitet mit einem Cross-Gender-Cast, der plakativ Rollen- und Besetzungsklischees aushebelt. Herodes wird in der zarten Gestalt von Lea Draeger und seine Frau, im Gegenzug, vergleichsweise bodenständig von Michael Gempert auf die Bühne gestellt. Als Schleiertänzerin Salome ist der „Schauspieler des Jahres“ zu sehen, Benny Claessens: eine in jeder Hinsicht wuchtige Erscheinung, die noch vom Berliner Theatertreffen als infantil-monarchisch aufstampfender Donald-Trump-Verschnitt aus Falk Richters Hamburger Jelinek-Inszenierung „Am Königsweg“ in Erinnerung ist. Gemessen daran, agiert Claessens hier zurückgenommen, für seine Verhältnisse fast schon minimalistisch.
Vom Gendertrouble abgesehen, hat Mondtag mit „Salome“ auch handfeste Gesellschaftskritik im Sinn. „Ihr seht die Täler nicht, die ihr mit Leichen füllt“, mahnt Johannes, der hier als fünfköpfiger Chor auftritt, in einer Vollmundigkeit, die sofort wieder gebrochen wird. Weil das Quintett nicht nur in Ganzkörperstrumpfhosen mit sehr naturalistisch wirkenden Kunstgenitalien steckt, sondern auch noch großnasige Masken trägt, lässt Mondtag anschließend den Hofnarren in Gestalt der aus Israel stammenden Schauspielerin Orit Nahmias auftreten und die Inszenierung von der Metaebene aus in Grund und Boden kritisieren. Im bewährt hauseigenen Yael-Ronen-Humor-Gestus.
Über der Bühne prangt der Schriftzug "Lost"
Dabei sind nicht nur repräsentationstechnische und vermeintliche ästhetische Fehlleistungen Thema, es geht auch um Religion und Religionskritik, um Scheinheiligkeit und bald gegen alles Mögliche. Zum Beispiel die „Lost“-Leuchtschrift über der Bühne, die sofort als verfremdeter „Ost“-Schriftzug der einstigen Castorf-Volksbühne ins Auge fällt. Ohne, dass das irgendwo hinführte.
Mondtag, der auch das Bühnenbild entworfen hat, findet zwar konzentrierte Bilder an diesem Abend, wenn sich im zweiten Teil der eiserne Vorhang öffnet und den Blick freigibt auf eine überdimensionale nackte Benny-Claessens-Statue, in die sich der echte Claessens gern mal einkuschelt. Aber häufig werden solche komplexen ästhetischen Ansätze, kaum errichtet, schon wieder geplättet.
Letztlich rät der Abend übrigens zu (unserer) Selbstabschaffung: „Rettet das Universum und schafft die Menschen ab“, singt der Chor final. Salome hatte es im Prinzip schon vorgemacht: Sie steht am Ende mit einer Nachbildung ihres eigenen abgeschlagenen Hauptes an der Rampe. Irgendwo zwischen Trash, Tragödie, Ironie und tieferer Bedeutung.
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