#MeToo im Theater: Demokratie oder Feudalismus?
Nach dem offenen Brief der Burgtheater-Mitarbeiter: Auch die Bühnen debattieren jetzt endlich über #MeToo. Dabei geht es nicht um Einzelfälle, sondern um eine Struktur.
Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt wird auch im Theater über #MeToo geredet. Und zwar ausnahmsweise mal nicht (nur) auf der Bühne, sondern auch dahinter. Kaum ein Medium ist ja so schnell und so selbstsicher dabei, gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Der Fingerzeig auf den ausbeuterischen Kapitalismus, den grobschlächtigen Sexisten oder den tumb-gefährlichen Autokraten erfolgt im Theater nicht ungern vom Kothurn moralischer Überlegenheit herab.
Insofern ist es umso begrüßenswerter, dass diese Woche 60 gegenwärtige und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wiener Burgtheaters angefangen haben, in einem offenen Brief ihre eigenen Arbeitszusammenhänge zu thematisieren: Dass Inszenierungen nicht nur in Einzelfällen unter genau den Bedingungen entstehen, die sie so vollmundig anprangern, liegt damit offen auf dem Tisch.
Im Mittelpunkt des Briefes, den namhafte Schauspielerinnen und Schauspieler wie Corinna Kirchhoff oder Nicholas Ofczarek unterschrieben haben, steht zwar der Ex-Burg-Direktor Matthias Hartmann, der das Haus schon vor vier Jahren – damals im Zuge des Finanzskandals – verlassen hatte. Aber vor allem machen die Unterzeichnenden klar, dass es ihnen nicht darum geht, die Causa Hartmann auf eine Stufe etwa mit der Causa Harvey Weinstein zu stellen: „Wir reden von einem Klima, nicht von schweren Straftaten.“ Und es sei auch nicht Sinn der Sache, Hartmann „als einzigen Missetäter inmitten von lauteren und fairen Theaterkünstlern zu brandmarken“.
Machtmissbrauch und Demütigung
Vielmehr lenkt der Brief den Blick vom persönlichen Pranger weg hin zu einer Strukturdebatte, die tatsächlich dringend geführt werden muss: „Immer wieder wird von vielen RegisseurInnen in künstlerischen Prozessen Machtmissbrauch, Demütigung und Herabwürdigung als probates Mittel in der Arbeit angesehen und durch das ,eigene künstlerische Genie’ entschuldigt“, so der Vorwurf. Und ein „besonders problematisches Abhängigkeitsverhältnis“ entsteht natürlich dann, wenn der Regisseur, mit dem man sich in einem offenen Probenprozess produktiv und kreativ auseinandersetzen soll, gleichzeitig der Intendant ist, der über Arbeitsverträge entscheidet: Eine Doppelfunktion, mit der Hartmann, der „Kündigungen angedroht und in ,Gnadenakten’ wieder zurückgenommen“ haben soll, offenbar alles andere als verantwortungsvoll umgegangen ist – was er selbst übrigens bestreitet.
Natürlich wird es auf derart aufgeworfenen Fragen keine einfachen Antworten geben. Künftig keine regieführenden Intendanten mehr? Sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. 50 Prozent Intendantinnen an den Theatern, die aktuell zu 78 Prozent von Männern geführt werden? Wie es der Verein Pro Quote Bühne fordert? Dann wäre zumindest empirisch besser überprüfbar, ob Autokratie tatsächlich ein Männlichkeitsinsignium ist. Neue Mitbestimmungsmodelle? Sicher eine gute Idee.
Wichtig ist auf jeden Fall, dass es die Debatte jetzt gibt. Denn die Status-quo- Akzeptanz gerade gegenüber jener Institution, die sich selbst so gern als gesellschaftliches Reflexionsmedium feiert, ist gewaltig; auch das hat der offene Brief gezeigt: Der Kritikerkollege Michael Laages etwa nannte ihn auf Deutschlandfunk Kultur „naiv“. Das Theater sei nun mal „ein feudaler und nichtdemokratischer Ort“. Das könne man ja „gerne ändern wollen, aber bislang ist das so.“