Neues Album der Beginner: Testsieger, Überflieger
Das Hamburger Hip-Hop-Trio Beginner und sein fulminantes Comeback-Album „Advanced Chemistry“.
Der Zustand des deutschsprachigen Hip- Hops in sechs Sätzen: An der Spitze der deutschen Charts steht derzeit das Album „Der Holland Job“ von Xatar und Haftbefehl. Xatar wurde diese Woche zur Fahndung ausgeschrieben, weil er Vertraute zu einer Gewalttat angestiftet haben soll. Diese haben angeblich den Freund eines dritten Rappers, KC Rebell, vor einer Kölner Shishabar fast zu Tode geprügelt, auch Messer und eine Axt kamen zum Einsatz.
Ermittler glauben, Grund sei, dass KC Rebell kürzlich in einem Song Xatar beleidigt hat. Am Dienstag stellte sich der Gesuchte der Polizei. Sollte Xatar wegen versuchten Totschlags verurteilt werden, müsste er zusätzlich die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe absitzen, die er 2011 für seinen bewaffneten Überfall auf einen Goldtransporter erhielt.
Diesen ganzen Irrsinn im Blick zu haben, hilft dabei, zu ermessen, welches Geschenk die drei Hamburger Jan Phillip Eißfeldt, Dennis Lisk und Guido Weiß am Freitag der deutschen Hip-Hop-Gemeinde machen werden. Wäre die Veröffentlichung ihres Albums „Advanced Chemistry“ ein Naturereignis, dann der Moment, wenn nach langem Unwetter der Himmel aufreißt und Sonne sanft durchstrahlt. Oder mit Jan Eißfeldts eigenen Worten: „Alle sind happy, denn der Testsieger rappt wieder.“
Genäselte Hooks, aberwitzige Bilder
Zwölf Songs sind es geworden, jeder einzelne würde als Singleauskopplung funktionieren, so eingängig und unwiderstehlich klingt das alles. Zu Beginn gibt ein dröhnendes Schiffshorn den Takt vor, es erinnert stark an Hans Zimmers „Inception“-Soundtrack, danach wechseln sich Mid- und Uptempo ab, wird deichkindesker Elektrospaß dazwischengeschoben, werden Hooks genäselt, aberwitzige Bilder erschaffen, und schon sind 50 Minuten um.
Ihr letztes Werk ist von 2003. Dass es so lange dauerte, hängt auch damit zusammen, dass Jan Phillip Eißfeldt in der Zwischenzeit unter dem Namen Jan Delay eine Popstar-Karriere gelang. Er unternahm Ausflüge in Funk, Soul und schließlich Rock und verhalf seinem Kumpel Udo Lindenberg zu einem Comeback. Vor 13 Jahren also, als die Beginner ihr bislang letztes Album „Blast Action Heroes“ veröffentlichten, gab es weder Facebook noch Smartphones, iPods galten als modern, und im Hip-Hop-Kosmos hatte der sich von Berlin ausbreitende Straßenrap noch nicht alle übrigen Genrespielarten verdrängt (Xatar würde sagen: weggefickt).
Der sprachlichen und inhaltlichen Verrohung des Raps, dem Drang, vor allem über Kokainhandel, Prostitution und Schädeleinschlagen zu dichten, stand damals noch ein Alternativmodell gegenüber. Das setzte auf Verspieltheit und Ideenreichtum. Dazu Wortwitze, im Zweifel lieber einen zu viel als zu wenig. Die Botschaften dieser Bands waren nicht zwangsläufig intelligenter, aber definitiv weniger asozial. Die erfolgreichsten Vertreter kamen aus Hamburg, allen voran die Beginner. Ihr Album „Bambule“ aus den späten 90ern ist heute kanonisch.
Rapperjahre zählen wie Hundejahre
Man könnte meinen: Allein der Name dieses Trios ist mittlerweile ein Witz. Beginner. Nach 25 Jahren Musikmachen. Im Ranking irreführender Bandnamen kommen sie gleich hinter Eagles Of Death Metal und Massive Attack. Die Frage ist, ob sie heute überhaupt noch etwas beisteuern können. Ob „Advanced Chemistry“ mehr sein kann als Geschichtsstunde für die Jungen und Sehnsuchtsbefriedigung für die Dabeigewesenen.
Rapperjahre zählen wie Hundejahre. Drei Alben gemacht, schon ist man old school. Andererseits zeigt Jay Z in den USA, dass er auch jenseits der 40 noch Impulse geben kann. Und hier so? Zumindest der Anspruch ist da. Denyo sagt es im Eröffnungsstück. „Was... Rap ist in der Sinnkrise? Guck wie ich es hinbiege / Mit Armen wie Tim Wiese.“
Faltenfreie Gesichter und ein Peniswitz
Montagmittag in Berlin-Mitte, die Beginner empfangen in der Sitzgruppe eines angemieteten Dachgeschoss-Büros zum Interview. Jan Delay verbirgt seine Augen hinter einer getönten Sonnenbrille, Denyo und DJ Mad tragen Bart, alle anderen freiliegenden Gesichtszonen wirken erstaunlich faltenfrei. Durchs Fenster blickt Jan Delay auf den Fernsehturm, er nuschelt noch schnell einen Peniswitz. Okay, kann losgehen.
Denyo sagt, es habe in den vergangenen Jahren Momente gegeben, in denen sie etwas taten, was dem Hip-Hop-Habitus eigentlich fundamental zuwiderläuft: an sich zweifeln. Sie seien sich unsicher gewesen, ob die Welt tatsächlich ein weiteres Beginner-Album brauche. Das verblüfft, weil „Advanced Chemistry“ doch an jeder Stelle so souverän und locker klingt. Als müssten diese Künstler nur den Mund aufmachen, und schon kommt genialer Schabernack heraus. Das Gegenteil war der Fall, sagt Denyo.
Als sie 2010 erste Zeilen schrieben, habe das gar nicht gut geklungen. Da wurde verworfen, umgedichtet, abgehakt. Sobald sie sich anhörten, was sie testweise aufs Band gerappt hatten, dachten sie, da könne etwas mit den Boxen nicht stimmen. 2012 gaben sie auf, machten solo weiter, rauften sich später erneut zusammen. Denyo verdrückt eine in Würfel geschnittene Wassergurke. Was jetzt nach Lockerheit klinge, sei in Wahrheit Geschliffenheit. Resultat harter, überaus unlockerer Arbeit. DJ Mad möchte auch etwas sagen, kommt aber nicht zu Wort.
In all den Jahren mussten etliche Darlings sterben, sagt Jan Delay. Allein vom Song „Thomas Anders“ existierten heute vier fertig produzierte, komplett unterschiedliche Versionen, drei blieben auf der Strecke, und Jan Delay schmiss eine ganze Strophe weg. Um einige Zeilen sei es schade. Zum Beispiel? „Ja, ich bin anders, stimmt voll und ganz / denn ich hab Intoleranz-Intoleranz.“
Es ist nicht so, dass sich die Beginner außerhalb heutiger Rap-Regeln bewegen. Auch bei ihnen findet man Größenwahn, Mackerposen, Seitenhiebe auf die Konkurrenz. Bloß eben geistreich. Die Schlagfertigkeit ist nie im Wortsinn gemeint. Deshalb wird das neue Album in „Aspekte“ verhandelt, deshalb spielt in ihrem Video Giovanni di Lorenzo mit.
"Halt's Maul, blöder Schlaumeier"
Ein wenig verwundert es, dass diese Band noch nicht zur Zielscheibe anderer Rapper geworden ist. DJ Mad hebt wieder an: „Es ist eben nicht sinnvoll, gegen den Wind zu pinkeln.“ Obwohl, da war doch dieser Vogel, sagt Jan Delay. Er meint den Chef des Berliner Labels Trailerpark. Der schrieb auf Facebook, die Beginner machten „die größte Lappenmusik aller Zeiten“.
Zugegeben, sagt Jan Delay. Er könne ja nachvollziehen, dass sich manche ärgerten über all die Aufmerksamkeit, die den Beginnern zuteil werde. „Wenn ich in diesen Tagen überpräsent bin, gehe ich mir schon selbst auf den Sack.“ Allein seine näselnde Stimme! „Da denke ich zu mir, halt’s Maul, blöder Schlaumeier.“ Es ist dieser Grad an Selbstreflektion, den man von keinem deutschen Gangstarapper je hören wird.
Plus natürlich die politischen Statements, die beiläufige Warnung vor „Unterfremdung“ in Deutschland, versteckte Liebeserklärungen an Hamburgs Autonome. Diesen Impetus verdanken sie einer Band, die noch älter ist als sie selbst und die sie verehren, Advanced Chemistry aus Heidelberg, daher der Albumtitel.
Zu einzelnen Stücken haben sie alte Weggefährten wie Samy Deluxe und Dendemann hinzugebeten. Bei anderen wirken Straßenrapper der Gegenwart mit, der eingangs erwähnte Haftbefehl etwa oder Gzuz, ein Hamburger mit drei Jahren Knasterfahrung. In den Hamburger Hipster-Club „Uebel und Gefährlich“, in dem die Beginner Freitagabend das Erscheinen ihres Albums feiern werden, darf Gzuz eigentlich nicht rein, er hat achtfaches Hausverbot. Es war viel Aufwand nötig, die Clubbetreiber zu einer Ausnahme zu überreden.
Noch eine Frage. „Was würde Sie mehr überraschen: Wenn Ihr Album nächste Woche an der Chartspitze landet und Xatar & Haftbefehl verdrängt – oder wenn es das nicht tut?“ Sie zögern, sie schmunzeln. „Wenn man ganz ehrlich ist“, sagt Denyo, „dann doch das Zweite.“
„Advanced Chemistry“ erscheint am Freitag bei Vertigo/Universal. Live: 24.8., 21 Uhr Lido (ausverkauft), 11.9., Treptower Park (Lollapalooza Festival).
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