Helden-Horror: Tatort Gartenzaun
Scott Snyders „Swamp-Thing“ erfordert beim Leser eine hohe Ekelgrenze - und belohnt mit einer bewusstseinserweiternden Lektüre auf bemerkenswertem Niveau.
Jede Wiese ist ein Schlachtfeld, jeder Wald ist ein Kriegsgebiet. Wer die grüne Flora bis dato immer nur als den friedlichen Gegenpol der gefräßigen Fauna wahrnahm, wird die Welt nach der Lektüre von Scott Snyders „Swamp-Thing“-Interpretation mit anderen Augen sehen. Der vom Sauerampfer erstickte Blaubeerbusch, der von Schlingpflanzen erwürgte Setzling einer Pappel: alles Opfer in einer Schlacht, die am eigenen Gartenzaun tobt und von der, weil Pflanzen nicht schreien können, niemand Notiz nimmt. Niemand außer dem Botaniker Alec Holland, der sich plötzlich zwischen den Fronten dreier widerstrebender Naturgewalten wiederfindet und nicht weiß, ob er die ihm zugedachte Rolle des Messias überhaupt spielen will.
Doch nicht nur in dem Sinne, dass sie die Wahrnehmung der Umwelt nachhaltig verschiebt, ist die Serie, deren ersten sieben Hefte nach dem Neustart 2011 unter dem etwas reißerischen Titel „Die Erweckung der Toten“ jetzt auf Deutsch als Sammelband erschienen sind, bewusstseinserweiternd. Zeichner Yanick Paquette, der die eng mit Jeff Lemires parallel gestarteten Reihe „Animal Man“ (mehr dazu demnächst auf den Tagesspiegel-Comicseiten) verzahnte Geschichte über weite Strecken gestaltet hat, orientiert sich stark an der Psychedelic-Art der 1960er Jahre. Blatt-, Ast- und Zellstrukturen dienen ihm als Vorlage zur Unterteilung der Seiten und am Ende lässt Paquette blubernde Farbbänder über die Seiten mäandern während er sich in einen LSD-Horrortrip aus Feuer, Gewebe und Blut steigert, in dem Monstren Leichen zu Altären aus Fleisch türmen.
Was klingt, als sei es schwer anzuschauen, verlangt tatsächlich eine hohe Ekelgrenze. Tumore wuchern hier unterarmlang aus Mündern und blutige Kinderköpfe werden mit Knochen und Flügeln zu Albtraum-Mobilees kombiniert. Was aber wäre der Sinn einer Horror-Geschichte, wenn sie nicht wirklich Beklemmung auslösen könnte, fragte Mitte der 1980er Jahre schon Comicautor Alan Moore, dessen heute legendärer Ruf nicht unwesentlich auf seiner Arbeit an dem 1972 erfundenen „Swamp-Thing“ fußt.
Scott Snyder, der parallel auch die aktuellen „Batman“-Hefte verantwortet, verschweigt dieses Erbe nicht. Zahlreiche Anspielungen und Verweise auf die 1980er Jahre sind in der Geschichte enthalten. Auch was das Ensemble angeht, beruft sich Snyder direkt auf Moores Erfindungen. Im direkten Vergleich mag seine Arbeit dabei geradliniger erscheinen als die seines Vorgängers, wie in manchem Internetdiskussionsforum bereits kritisiert wurde. Mit einem plumpen Schocker haben wir es hier trotzdem nicht zu tun. Auch Snyder nämlich dient das grausige Bühnenbild vor allem, um über die Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur, über Tod und Leben zu philosophieren und interessante Fragen über den Konflikt zwischen Bestimmung und Selbstbestimmung aufzuwerfen.
Scott Snyder & Yanick Paquette & Marco Rudy: „Swamp Thing 1: Die Erweckung der Toten“, Panini, 172 Seiten, 16,95 Euro. Mehr über die kürzlich neu gestarteten DC-Serien lesen Sie unter diesem Link.
Die sechs Sammelbände, die Alan Moores „Swamp-Thing“-Geschichten aus den Jahren 1984 bis 1987 vereinen, sind nach wie vor im Comic-Fachhandel erhältlich.
Moritz Honert
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