Dolly Parton live: Sweethearts für alle
Dolly Parton begeistert in der Berliner O2 World mit einer kurzweiligen Country-Camp-Comedyshow.
Wenn der nordische Gott Thor je auf eine Transvestitenparty eingeladen würde, dann könnte er sich ein Vorbild an Dolly Partons Bühnenoutfits nehmenb: Zwei Zentimeter Lippenstift, Haare bis dorthinaus, weißes Fransenkleid, goldglänzende Weste, in der die beiden wertvollen Kugeln sicher festgezurrt sind – „es ist ganz schön teuer, so billig auszusehen“, sagt Dolly dazu. Ok, den kannten wir schon, aber er ist gut.
Das Dolly Parton-Konzert in der Berliner O2 World darf man auch einfach komplett unter „Country-Camp-Comedyshow“ einordnen. Das fängt, bei aller unstrittigen Musikalität, bei all ihrem überzeugenden Genius in Sachen Instrumentenbeherrschung, nämlich schon bei jenen Äußerlichkeiten an: „Die Leute fragen mich immer, wie lange meine Frisur dauert. Ich sage dann: Keine Ahnung, war ja nicht dabei“ Oder: „Die beiden Backgroundsängerinnen und ich haben so viel Haar, wir könnten eine Matratze stopfen“.
Dolly bringt Brüller und ist selbst ein Brüller. In ihren 68 Jahren hat sie – nach eigener Aussage – mehr als 3000 Songs geschrieben (darunter Hits wie „Jolene“ und „I Will Always Love You“). Sie spielt, das demonstriert sie in Berlin beeindruckend, Gitarre, Autoharp, Geige, Spielzeugsaxofon, Orgel, und parliert lang und breit über ihre Kindheit in den Smoky Mountains von Tennessee, über das Aufwachsen auf einer Farm mit elf Geschwistern, einem Vater, der nicht schreiben und lesen konnte, einer musikalischen Mutter, die den Kindern Country-Traditionals vorsang – Bücher oder Fernsehen gab es nicht –, über Gottgläubigkeit und Liebe. Und man hört ihr tatsächlich gern zu, muss sich vielleicht ab und an mal ein bisschen winden, wenn es allzu sehr frömmelt, wenn es arg heimatverbunden, herkunftsstolz und kitschig wird, aber im Großen und Ganzen folgt man amüsiert Dolly Partons Ausführungen. Die Blondine aus Sevierville, Tennessee wirkt – trotz sämtlicher bekannter Ersatzteile – echt, glücklich und enthusiastisch.
Seit 40 Jahren ist sie das erste Mal für zwei Gigs in Deutschland. Und die Berliner Fans in der fast ausverkauften O2 World kennen und lieben nicht nur „Jolene“, das sie als zweiten Song spielt, oder „Islands In The Stream“, das hochkitschig-bezaubernde Kenny-Rodgers-Duett, sondern singen auch textsicher ihren Musical-Kernsong „9 To 5“ mit, freuen sich an „Blue Smoke“ vom der gleichnamigen neuen Album, und verdrücken ein paar Rührungstränen beim unfassbaren „Little Sparrow“, denn hier geht es um hartherzige Männer, die ihre Geliebten wie Spatzen zerdrücken. Dolly Parton singt das Stück fast a capella, nur begleitet von einem etwas gruseligen Achtziger-Synthiesound.
Dolly Parton hält eine kleinen Rede über Toleranz
Oh ja, Dolly weiß, wie der Hase beziehungstechnisch läuft. Obwohl: Eigentlich nicht – seit 48 Jahren ist sie mit dem gleichen Mann verheiratet, den sie angeblich weiland in einem Waschsalon kennenlernte, und von dem es im Internet ungefähr fünf Fotos gibt (von Dolly gibt es fünf Millionen). Auf diesen Bildern sieht er smart, groß und sexy aus. Dolly behauptet folgerichtig, jene Jolene, die ihr den Göttergatten einst ausspannen wollte, habe es wirklich gegeben. „Das hat ja nicht geklappt“, lacht sie.
Jeder brauche eben ein Sweetheart, sagt sie dann, und hält noch einmal eine kleine Rede über Toleranz gegenüber anderen Rassen, Religionen, anderem Aussehen und sexueller Orientierung. Was die queere Welt betrifft, gibt sie sich aufgeschlossen und solidarisch. So politisch und ernst wie Johnny Cash ist sie dennoch nicht, auch nicht so außenseiteraffin wie Willie Nelson.
Die in 40 Karrierejahren schwerreich gewordene Musikerin, Schauspielerin, Patentante von Miley Cyrus und Miteigentümerin des Freizeitparks „Dollywood“ steht jedoch, das wird bei ihrem Auftritt klar, für „pure fun“. Sie trägt lustigere Klamotten als Loretta Lynn, ist sprudelnder als Emmylou Harris, und überhaupt: Dass sie tatsächlich nie in der Muppet Show aufgetreten ist, kann nur ein Versehen sein. Die Muppet-Macher haben ihr deshalb 1986 die „Muppet Ehrenwürde“ verliehen, und vor zwei Jahren sang sie mit Kermit als Duettpartner „Islands In The Stream“ in einer US-Fernsehshow.
Dass sie playback sänge, wie es nach ihrem Auftritt beim Glastonbury-Festival vor einer Woche gerüchteweise hieß, lässt sich in Berlin nicht bestätigen. Andererseits gibt es einen ziemlich großen Sicherheitsabstand zur Bühne, der einen genaueren Blick ins strahlende, festgespannte Gesicht unter der Perücke erschwert. Ist auch wurscht: Wer mit solchen, zehn roten Plektren gleichenden Fingernägeln derart hübsch die Akustikgitarre spielt, dem gebührt eh alle Ehre.
Jenni Zylka
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