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Programmmusik? Sokhiev setzt auf gewaltige Klangarchitekturen und kräftige, leuchtende Farben.
© Doris Spiekermann-Klaas

Tugan Sokhiev und die Berliner Philharmoniker: Strahlkraft

Klangbilder in leuchtenden Farben: Die Berliner Philharmoniker unter Tugan Sokhiev spielen Franck, Rachmaninow und Rimsky-Korsakow.

Es wird ein kurzweiliger Abend, bei so viel Programmmusik und Actionplots ist das schon vorher klar. César Francks „Le Chasseur Maudit“ nach der Ballade „Der wilde Jäger“, Sergej Rachmaninows ebenso wilde „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ und Rimsky-Korsakows mit Orientflair gespickte „Scheherazade“ versprechen ein bildersattes Konzert. Einschließlich dörflicher Sonntagsstimmung und Hundehetzjagd, Liebesnacht und Totentanz. Die Berliner Philharmoniker sind denn auch mit Elan, Detailfreude und betörender Hingabe bei der Sache, allen voran Konzertmeister Andreas Buschatz sowie sämtliche Bläser, von Wenzel Fuchs’ Klarinette bis zu Stefan Dohrs Horn.

Zum Glück ist Ex-DSO-Chefdirigent Tugan Sokhiev am Pult so verwegen, das bloß Illustrative zu überschreiten. Programmmusik? Sokhiev steht breitbeinig da, wohl wegen der Bodenhaftung für seine gewaltigen Klangarchitekturen. Der Maestro aus Ossetien verkantet die Schnittstellen, setzt auf kräftige, leuchtende Farben, auf schneidendes Blech, abrupte Stimmungswechsel. Noch die Pizzicati der Geister- und Horrorszenen rufen weniger Assoziationen an klappernde Knochen hervor, als dass die Musik in die Abstraktion umschlägt, in die groteske Verzerrung, das nackte Geräusch. Jedes Crescendo mit Decrescendo entfaltet eine geradezu physisch spürbare Raumwirkung, und die Träumereien der Holzbläser oder das Schwelgen der Streicher künden zugleich vom Misstrauen in jegliches Idyll.

Dass der russische Pianist Nikolai Lugansky mit Rachmaninow sein Philharmonikerdebüt gibt, mag man kaum glauben, so kongenial fügt er sich in das Konzept von maximaler Ausdrucksintensität bei maximaler Präzisionsarbeit ein. Kirill Petrenko hat gerade als Rattle-Nachfolger seinen Vertrag unterschrieben, wunderbar. Hört man dem Orchester mit Sokhiev zu, wünscht man sich zusätzlich viele Gastdirigate dieses unerbittlichen Wahrheitssuchers.

Jedem Märchen wohnt ein Horror inne, jeder Schönheit die Verzweiflung über ihr flüchtiges Wesen. Die Süße der Solovioline am Ende der „Scheherazade“ zeugt von stillem, großem Schmerz.

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