Deutsche Serie „8 Tage“ auf der Berlinale: Stell dir vor, die Welt geht unter
Gesellschaftliche Zerfallserscheinungen im Angesicht der Apokalypse: Christiane Paul und Fabian Hinrichs in der Berlinale-Special-Serie „8 Tage“.
Katastrophe, was heißt das schon? Für den verstorbenen Theatermacher Einar Schleef, erinnert der Schauspieler Fabian Hinrichs, „war bereits Einkaufen eine Katastrophe“, der banale Gang in den Supermarkt. Guter Punkt. Allerdings gibt es doch Ereignisse, die vermutlich mehrheitsfähiger zum Desaster erklärt würden. Zum Beispiel, wenn ein Asteroid auf die Erde zurast und den Planeten kräftig zu entvölkern droht.
Genau das ist das Szenario, das die deutsche Serie „8 Tage“ der Regisseure Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) und Michael Krummenacher („Heimatland“) entwirft. Der Komet ist unterwegs, der versuchte Abschuss mit Atomraketen bereits fehlgeschlagen, nun bleibt bis zum großen Crash bloß noch die titelgebende Zeit.
Kommt einem natürlich bekannt vor, 1998 zum Beispiel konkurrierten in Hollywood mit „Armageddon“ und „Deep Impact“ gleich zwei Endzeit-Spektakel mit Kometen-Beteiligung. Wobei Schauspielerin Christiane Paul, bei aller Liebe zum großen Action-Drama, die Vergleiche in die Schranken weist: „Wenn überhaupt, ist die Referenz eher Lars von Triers ‚Melancholia’.“
„Nicht alles verzeihen, aber alles verstehen.“
Stimmt schon. Die achtteilige, von Sky und der Münchner Firma Neue Super produzierte Serie, in der Paul und Hinrichs Geschwister spielen, interessiert sich weniger für das äußerliche Spektakel als vielmehr für die gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen im Angesicht der Apokalypse. Zumal bei Ruzowitzky und Krummenacher ausgerechnet Europa in der sogenannten Kill Zone liegt, dem vermuteten Einschlags-Areal.
Das setzt Fluchtbewegungen einerseits in die USA in Gang, wohin der karriereorientierte Jungpolitiker Herrmann (Fabian Hinrichs) mit seiner schwangeren Freundin (Nora Waldstätten) zu entkommen versucht. Und auf der anderen Seite nach Russland, Ziel für die Ärztin Susanne (Christiane Paul), ihren Mann (Mark Waschke) und die zwei Kinder. Wobei, wie Paul beschreibt, die bestehenden politischen Verhältnisse mal eben umgedreht werden: „Der polnische Schleuser lacht uns aus, weil wir mit Euros ankommen. Sorry, Rubel ist jetzt die gewollte Währung.“
Während ihre Figur, mit extremen Mitteln, aber moralisch nachvollziehbar, für die Familie kämpft, ist Herrmann nicht eben der klassische Sympathieträger. Ein Materialist, dem die Dinge entgleiten und der sich selbst der Nächste zu sein scheint – wobei es Hinrichs wichtig war, ihn nicht als „abstraktes Monster“ hinzustellen. Die Prämisse fasst er in einen Satz von Hannah Arendt: „Nicht alles verzeihen, aber alles verstehen.“ Und das geht glänzend auf. „8 Tage“ zeigt Menschen, die in den letzten Tagen ihren Sadismus ausleben (wie ein von Devid Striesow gespielter Baustoffhändler mit Privatbunker), solche, die „moralische Stoppschilder aufstellen, trotz allem“, wie Christiane Paul sagt, andere, die sich in den Hedonismus von Sex- und Drogenpartys stürzen, wieder andere, die sich einem seltsamen Heiland anschließen (inklusive Kreuzigungsfahrt auf der Spree). Henry Hübchen, der den Vater von Susanne und Herrmann spielt, erlebt dagegen ein spätes Coming-out und vernichtet zwischen brennendem Mobiliar auf der Straße seine gesammelten Schnapsvorräte, bevor das gute Zeug „an den Kometen fällt“.
Lebe jeden Tag, als ob’s der letzte wäre?
„Das Spannende ist doch, dass niemand von uns wirklich weiß, wie radikal, wie aggressiv wir unser Leben verteidigen würden“, findet Christiane Paul. „Die Serie operiert damit“, sagt Fabian Hinrichs, „dass Menschen, die das Leben als eine Art Gesellschaftsspiel begreifen, aus diesen sicheren Zusammenhängen gerissen werden“. Es werde einem doch permanent suggeriert, man müsse nur Listen abarbeiten, um zu verstehen, was wirklich wichtig sei im Leben: „,5 Dinge, die man tun muss, bevor man stirbt’ oder ,10 000 Orte, die man gesehen haben muss’“. Solche Surrogate helfen in „8 Tage“ nicht mehr. Hier wird es existenziell.
In der einzigen Szene, die die beiden miteinander haben, stehen sie sich unversehens in einem Krankenhaus gegenüber, völlig entfremdet, jeder unterwegs mit dem ganz eigenen Plan zur Rettung des Wichtigsten, was immer das sein mag. Klar wird in diesem Moment aber auch, was Hübchens Figur einmal in den schönen Satz packt: „Man kann nicht auf den letzten Metern sein Leben reparieren.“
Natürlich zielt dieses über acht Folgen mitreißende Endzeitdrama damit auch ins schlechte Gewissen Europas. Wo man, wie Hinrichs es bilanziert, „sein Frühstücksei köpft, ohne Überlebenskampf, ohne auf gigantischen Müllhalden das Plastik von Kabeln brennen zu müssen, um an das Kupfer zu gelangen“. Insofern bringt der Asteroid ein bisschen Gerechtigkeit in die Welt.
Die Frage bleibt natürlich: Zieht der zerstörerische Gesteinsbrocken auch eine Botschaft nach sich? Lebe jeden Tag, als ob’s der letzte wäre? „Carpe diem, das ist ja der schlimmste Auftrag überhaupt“, findet Hinrichs. „Das ist der Weg ins Unglück, jeder Tag wäre die Hölle.“ Vielleicht muss man sich also mit weniger Hochfahrendem bescheiden. Mit der Mahnung zum Beispiel, die ein von Murathan Muslu gespielter Polizist in der Serie ausspricht: „Wenn wir uns alle wie Tiere benehmen, können 8 Tage verdammt lang werden.“
15.2., 13 Uhr (Zoo-Palast), Episoden 1 und 2
Patrick Wildermann