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Der Alleskönner. Henry Hübchen 2016 auf der Berlinale.
© Michael Kappeler/dpa

Henry Hübchen zum 70.: Spiele ohne Grenzen

Henry Hübchen kann miese, kleine Spießer geben und großbürgerliche Grandezza verströmen. Eine Gratulation mit einem Hauch von Sentimentalität anlässlich seines 70. Geburtstages.

Als junger Schauspieler, so wird von ihm erzählt, habe er zu gut ausgesehen, um ernsthafte Rollen zu bekommen. Damals machte er auch Popmusik und war DDR-Meister im Brettsegeln; das westliche Wort Windsurfen gab es hinter der Mauer offiziell nicht. Das war schon ein komischer Staat, diese DDR. Piefig, klein und gemein, aber was für Schauspieler! Henry Hübchen war so dunkelhaarig attraktiv, dass er später im ARD-Fernsehen den Commissario Laurenti aus Triest spielte, einen entfernten Verwandten des venezianischen Commissario Brunetti von Uwe Kockisch.

Falsche Italiener, echte Ossis. Ausgebildet wurden die beiden schicken Polizisten an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. Hübchen ist seit Jahren ein prominentes Fernseh- und Filmgesicht. „Sonnenallee“ von Leander Haußmann, „Alles auf Zucker!“ von Dani Levy – wie hat man mit dem geplagten, gehetzten Mann gelitten und gelacht.

Er verkörperte das Frank-Castorf-Theater

Aber all die TV-Krimis und Komikerparaden und zuletzt die pensionierten Kino-„Kundschafter des Friedens“ führen zur Volksbühne zurück. Hübchen war der Schauspieler, der das Frank-Castorf-Theater verkörperte. Raunzig, aggressiv, hinterlistig, ein mauliger Typ, der austeilte und einstecken konnte. Unvergesslich: Henry Hübchens Publikumsbeschimpfung in Castorfs Inszenierung der Schiller-„Räuber“ 1990. Damit war der neue Ton gesetzt, auf lange Zeit. Hier spielte die Musik. Die Anarcho-Avantgarde kam aus der DDR-Provinz, aus kleinen dreckigen Städten mit großer Theaterkunst. Hübchen war die Lokomotive, Castorf der Lokführer; oder so ähnlich.

Es war die Zeit der Theaterrockstars. Man ging in die Volksbühne wie in ein lautes Konzert. Manchmal setzte sich Hübchen ans Klavier, und da war es egal, wie das Stück hieß, und er spielte „Hey Jude“ von den Beatles.

Im Jahr 1994 spannte Castorf Heiner Müllers „Schlacht“ und den altdeutschen Schwank „Pension Schöller“ zusammen. Ein höllischer Abend. Henry Hübchen drehte durch vor Angst, als Herbert Fritsch mit ausgewachsenen Schlangen anrückte. Damals waren es Spiele ohne Grenzen in der Volksbühne, unwiederholbar. Das Duo infernale Fritsch und Hübchen stellte Rekorde an Wahnsinnigkeit auf der Bühne auf, eigentlich war das ganze Ensemble immerzu angeschlagen, überdreht, verletzt, irre gut drauf.

Spießer, Einzelgänger, Großbürger

Das Castorf-Theater forderte seinen körperlichen Tribut. Schon etwas ruhiger ging es dann in „Meister und Margarita“ nach Bulgakow zu. Henry Hübchen, der Spezialist des männlichen Nervenzusammenbruchs im Slapstick, hockte mit Kathrin Angerer, Martin Wuttke, Milan Peschel, Bernhard Schütz in einer schummrigen Lounge herum und gab „Sympathy for the Devil“ zum Besten. Oder „Endstation Amerika“, nach Tennessee Williams. Hübchen als Marlon Brando/Stanley Kowalski aus Polen. Those were the days. Im Jahr 2000 wurde Hübchen zusammen mit Castorf mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet.

Er kann miese kleine Spießer spielen, verzweifelte Einzelgänger, abgewrackte Showgrößen (wie in „Whisky mit Wodka“), und er hat großbürgerliche Grandezza, wenn es sein muss. Immer mit dieser maliziösen Berliner Unterströmung. Man darf sich seiner Freundlichkeit nie allzu sicher sein. Zu meckern gibt’s doch immer was, irgendwas läuft immer schief.

Wer erlebt hat, wie Castorf und Hübchen einander beharken in spöttischer Zuneigung, der wünscht sich, sie hätten eine eigene Show, so wie Waldorf und Statler bei den Muppets. Ein wenig Sentimentalität gehört dazu, wenn Henry Hübchen an diesem Montag seinen siebzigsten Geburtstag feiert.

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