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Andreas Gabalier stößt kräftig ins Wurzelholz.
© Thomas Bittera/Electrola

Andreas Gabalier in Berlin: Steiler Steirer

Volksmusikrocker Andreas Gabalier verwandelt in Berlin die Mercedes-Benz Arena in eine Mitklatschhalle - und tauscht Freikarten gegen BHs.

Na, servus. Jetzt hat der Andreas Gabalier doch einen Musikantenstadl aus der Arena am Ostbahnhof gemacht. Harte Rock-’n’-Roll-Show, von wegen. Was der Popstar unter den Volksmusikanten am Samstagabend in der fast ausverkauften Halle veranstaltet, das ist Hüttengaudi, Ballermann – und streckenweise trotzdem eine coole Unterhaltungsshow.

Blitzsauber wie stets, betritt der selbst ernannte Volks-Rock-’n’-Roller pünktlich nach der Tagesschau die Bühne. „Jetzt samma do, ihr Lieben. Gewaschen und auch rasiert, denn ein Gartenzwerg wirkt größer auf einer gemähten Wiesn“, ulkt der Steirer. Wie auf der Wiesn sieht’s auch in der Halle aus. Karohemden, Krachlederne, Puffärmel und Dirndl allüberall, allerdings eher Marke Oktoberfest-Sonderfläche bei C&A als aus dem Traditionshause Lodenfrey. Gleich beim leicht rockenden Opener „We salute you“ vom aktuellen Album „Mountain Man“ rastet in der Menge der Mitklatschschalter ein, um bis 23 Uhr fast durchgehend in der Position zu verharren.

Die Fans schaffen sich, aber ihr Star schafft sich noch mehr, das ist das immer wieder beschworene Erfolgsprinzip des 30-jährigen österreichischen Chartstürmers. Schon nach den ersten, von der druckvollen Band in die Halle gepumpten Hitnummern „I sing a Liad für Di“, „Sweet Little Rehlein“, „Bergbauernbuam“ und „Verliebt verliebt“ rinnt dem Kraftmeier das Wasser von den Muskeln in die Lederhosen. Sich anstrengen, echt sein, ehrlich bleiben, treu sein – das sind die Mantras der rot-weiß karierten Welt des Volksmusikrockabillys aus Graz. Und nach dem kometenhaften Verlauf seiner erst sechs Jahre andauernden Karriere zu urteilen, trifft er damit einen Nerv bei Großmüttern und Enkeln. „Die perfekte Mischung aus Party, Herz, Gänsehaut und alte Werte feiern“ oder „Er als Mensch ist einfach gigantisch“ lauten Konzertkommentare im Internet.

Einen Teil dieser Aura verdankt Andreas Gabalier seinen im vergangenen Jahr in der VOX-Fernsehshow „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ vergossenen heißen Tränen. Dort coverte Xavier Naidoo Gabaliers Ballade „Amoi seg’ ma uns wieder“, mit der der sich eine Familientragödie von der Seele schrieb. Gabaliers Vater und Schwester begingen im Abstand von zwei Jahren Selbstmord, beide verbrannten sich. „Dass der Steirer Bua jetzt trotzdem wieder so lebensfroh vor euch steht, da seid auch ihr daran schuld, meine lieben Fans“, ruft Gabalier, als er das Lied anmoderiert. Das auf leerer Bühne erst solo und dann von einem zweiten Gitarristen unterstützt herzzerreißend zu intonieren, ist das eine. Sich gleichzeitig ein „unvergessliches Lichtermeer“ für die laufende DVD-Aufzeichnung zu wünschen, das andere. Nein, Andreas Gabalier ist kein Bergbauernbua, er ist ein ausgebuffter Meister der Verschmelzung von Sentiment und Kommerz. Übrigens eine ebenso volks- wie popmusiktypische Kombi.

Austro-Stimmungskanone mit konservativem Frauenbild

Dass der Harmonika, Klavier und Gitarre spielende Kerl mit dem Gesangsmix aus Steirisch und Englisch tatsächlich in beide Welten gehört, zeigt er im letzten Drittel der musikalisch straffen, nur von einem Bühnenstromausfall zur Entschleunigung gezwungenen Show. Da folgt auf den Hit „Zuckerpuppen“ das am rot-weiß karierten Klavier intonierte Jerry-Lee-Lewis-Cover „Great Balls of Fire“ und der Song zur Eigenmarke, die Gabalier als Tattoo an der Wade trägt: „Volks-Rock’n’Roller“. Ein satt geschmettertes Rock-Triple, das die Anfänge des Alpenrocks in Erinnerung ruft. Den haben mit Hubert von Goiserns Alpinkatzen wirklich die Ösis erfunden, wenngleich der Weltmusiker von Goisern, der auch ein Volksmusiker ist, mit Gabalier ungefähr so viel zu tun hat wie Aretha Franklin mit Helene Fischer. Die wiederum pflegt sich vom Publikum keine „Herzenswärmer“, sprich Büstenhalter, gegen Konzertfreikarten schenken zu lassen, wie das die Austro-Stimmungskanone mit dem erklärt konservativen Frauenbild in der Arena am Ostbahnhof tut. Nicht lange und sein Wurzelholzmikroständer gleicht einer Wäscheleine. Und auch, als es gilt, ein Dirndl auf die Schulter zu heben, muss der fesche Gabalier nicht lange suchen: Schwupps sitzt eine hübsche Blonde auf.

Schön schrecklich, diese Einlagen! Ausgeführt in maximaler Ironiefreiheit bei gleichzeitig behauptetem Augenzwinkern. Und flankiert von perfekten Märchenonkelmoderationen, mit denen der nicht von ungefähr schon einmal mit einer ARD-Show betraute Gabalier die Fans am Nasenring führt. In einer sich selbst sekündlich größer quatschenden Endlosschleife dankt er für das unfassbare Glück, das ihm, dem Burschen aus der Steiermark, in Berlin und der Welt überhaupt widerfährt. So viel Bescheidenheit in XXL zieht einem echt die Lederhosn aus.

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