Deutsche Oper Berlin: Staub und Zucker
Die Sopranistin Aurelia Florian rettet Ronaldo Villazóns Inszenierung von Giacomo Puccinis „La Rondine“ an der Deutschen Oper Berlin.
Da ist Rolando Villazón ein echter Coup gelungen. Beim Stöbern im Dekorationsdepot der Deutschen Oper hat er, ganz hinten, in der dunkelsten Ecke, die Bühnenbilder zu einer Götz-Friedrich-Inszenierung von Puccinis „La Rondine“ entdeckt, an die sich keiner im Haus mehr erinnern konnte. Der Optik nach musste sie aus den frühen achtziger Jahren stammen. „Lasst uns die olle Kamelle wiederbeleben“, rief der mittlerweile auch als Regisseur aktive Tenor. Passende Kostüme aus dem Fundus wurden entstaubt – und am Sonntag beklatschte das Premierenpublikum begeistert die doppelte Ausgrabung.
Leider stimmt bis auf die letzte Information nichts an dieser Erzählung. Bei der „Rondine“-Ausstattung, die jetzt an der Bismarckstraße das Auge beleidigt, handelt es sich leider um nagelneue Kostüme und Dekorationen. Die schon bei der ersten Aufführung so aussehen, als habe ihnen jahrzehntelanger Repertoirebetrieb zugesetzt.
Drei Akte gilt es für die 1917 in Monte Carlo uraufgeführte „lyrische Komödie“ zu bebildern. Magda, eine Edelkurtisane, lässt sich vom Bankier Rambaldo aushalten. In seinem Salon lernt sie Ruggero kennen, einen frisch aus der Provence in Paris eingetroffenen jungen Mann. Sie glaubt, in ihm die lange herbeigesehnte, von keinerlei Kalkül bestimmte Liebe gefunden zu haben und folgt ihm ins Tanzlokal „Bullier“. Die beiden werden ein Paar und ziehen sich an die Côte d’Azur zurück, um nur noch füreinander da zu sein. Ruggero träumt davon, Magda als seine Braut ins Elternhaus zu holen – die aber will sich nicht vom Ehestand einengen lassen und beschließt, ihn zu verlassen.
Einen riesigen Bilderrahmen mit Rokoko-Verzierungen stellt Johannes Leiacker in den Hintergrund, davor gibt es ein paar spitz zulaufende Stufen, auf der Vorderbühne liegt spiegelnder Kunstmarmor. Im zweiten Akt sieht das verruchte Vergnügungsetablissement dank goldfarbener Bugholzstühlchen und adretter Samtdeckchen auf den Bistrotischen genauso aus, wie sich Lieschen Müller aus Bielefeld Pariser Chic vorstellt. Noch trister sind nur die trutschigen Kostüme in gedeckten Murchelfarben von Brigitte Reiffenstuel anzusehen. Am scheußlichsten aber ist das Finalbild: Ein paar Säcke Sand vor den Stufen verstreut, links ein olles Ruderboot vom Schlachtensee, rechts Rattanmöbel aus dem Baumarkt, dazu ein paar überdimensionale, künstliche Muscheln – fertig ist der Traum vom Mittelmeer. Das hat der arme Puccini wirklich nicht verdient.
Was nun Rolando Villazón in diesem ärmlichen, abgeschmackten Ambiente anstellt, lässt sich allenfalls als zweckdienliches szenisches Arrangement beschreiben. Drei gesichtslose Mimen, die Magda umtänzeln und ihre Sehnsucht nach einem uneigennützigen Lover repräsentieren, stellen die einzige originäre Regie-Idee dar. Im Übrigen wird die Handlung konventionell nacherzählt.
Aurelia Florian hat das Diven-Gen
Die Sänger allerdings sind ihrem inszenierenden Kollegen dafür ebenso dankbar wie das Publikum – und spielen mit größter Inbrunst. Alvaro Zambrano trägt als Dichter Prunier Knickerbocker und Umhang, so wie man das von einschlägigen Puccini-Fotos kennt – agiert aber so überdreht wie ein Charlie-Chaplin-Imitator. Sein angenehmer Tenor harmoniert gut mit Alexandra Huttons Sopran, die als Lisette pure Lebensfreude verströmt. Stephen Bronk gibt den abservierten Rambaldo mit Würde, während Charles Castronovos leidenschaftlicher Ruggero sehr glaubhaft an der Schwelle vom Jungen zum Mann steht.
Zugleich Retterin und Star des Abends aber ist Aurelia Florian. Die kurzfristig für die erkrankte Dinara Alieva eingesprungene Rumänin erweist sich als Idealbesetzung für die Magda: Wie ihre Bühnenfigur hat auch Aurelia Florian das Diven-Gen. Egal, wo sie gerade auf der Bühne steht – dort ist immer der Mittelpunkt. Gleichzeitig vermag sie die Melancholie einzufangen, die Magda umgibt, kann sie in ihren geschmeidigen Kantilenen, den hauchzart angesetzten Pianotönen die Sehnsucht der Titelheldin nach einer verwandten Seele mitschwingen lassen.
In klingende haute couture hüllt Giacomo Puccini seine Protagonistin, schreibt ihr schwerelose Walzer, die er unendlich raffiniert orchestriert. Was als Operettenprojekt à la Lehár begann, wurde zu seiner elegantesten Partitur. Weil ihm die handfesten dramatischen Situationen fehlen, fokussiert er seine ganze Meisterschaft aufs Sentimentale, sublimiert die Situationen, verfeinert detailversessen seine Klangsprache. So entsteht feinster Gänsehautkitsch – wenn es der Dirigent versteht, die entsprechende orchestrale Atmosphäre zu schaffen.
Leider dringt Roberto Rizzi Brignoli bei der Premiere nicht so weit vor. Sicher leitet er die Solisten durch die turbulentesten Szenen, sehr solide spielt das Orchester. Der Zauber aber stellt sich nicht ein. Erst in den letzten Minuten, wenn sich Magda von ihrem Ruggero lossagt, wenn Aurelia Florian zu tragischer Größe findet und Charles Castronovo bewegend barmt, kommen sich Gesang und Orchesterklang dann doch einmal ganz nahe, wird deutlich, was an diesem Abend alles möglich gewesen wäre.
Wieder am 12., 14., 18. und 27. März.
Frederik Hanssen