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Im Schlabberlook. Regisseur Rolando Villazón bei den Proben zu Puccinis „La Rondine“.
© Bettina Stöß/ Deutsche Oper

Weltstar Rolando Villazón im Interview: „Ich bin doch kein Markenprodukt“

Der Sänger als Regisseur: Rolando Villazón spricht vor der "Rondine"-Premiere in Berlin übers Regieführen, die Last der Vielfachbegabung und Kitsch bei Puccini.

Herr Villazón, als Tenor sind Sie ein Star. Sie treten auch als Fernsehmoderator auf, zeichnen Cartoons und haben 2014 Ihren ersten Roman veröffentlicht. Jetzt stellen Sie sich mit Puccinis „La Rondine“ an der Deutschen Oper als Regisseur vor. Sicher gibt es auch etwas, das Sie nicht können.
Es gibt eine Million Dinge, die ich nicht kann! Aber ich war schon als Kind sehr vielseitig interessiert. Ich habe Comics gemalt, konnte das „Dschungelbuch“ auswendig nachspielen, habe alle Songs gesungen. Dann habe ich selbst ein Theaterstück verfasst und es auch inszeniert. Irgendwie ist das bis heute so geblieben. Ich träume immer, in jedem Moment, ich male mir Situationen aus, rede mit mir selber, schlüpfe in verschiedene Rollen. Als ich den Roman geschrieben habe, wusste ich nicht, ob er jemals herauskommen würde. Ich habe einfach geschrieben, weil ich Lust darauf hatte. Ein Schriftstellerfreund hat ihn dann gelesen und gesagt: Bring das zu einem Agenten! Und jetzt ist schon mein zweiter Roman fast fertig.

Nach dem Schulabschluss wollten Sie zunächst Priester werden, später Lehrer. Zwei Berufe, die ebenfalls mit Publikum zu tun haben.
Viel sogar! Natürlich war ich ganz ernsthaft bei der Sache in meiner religiösen Phase, wollte so leben wie der heilige Franz von Assisi, arm und enthaltsam. Letztlich aber musste ich einsehen, dass ich an der Kirche vor allem die Kostüme liebte, die Rolle des Priesters. Als Lehrer habe ich fünf Jahre lang gearbeitet, um mein Studium zu finanzieren. Auch da waren die Stunden für mich wie Vorstellungen: Ich hatte mir Handpuppen gebastelt, mit denen ich Geschichten erzählen konnte. Ich bekomme heute noch Mails von ehemaligen Schülern, die mich fragen: Wie geht es dem Frosch Virgilio?

Warum haben Sie dann doch die Sängerkarriere eingeschlagen?
Zum Konservatorium bin ich mit der Einstellung gegangen: Jetzt probierst du’s mal ein Jahr mit dem Singen, wenn’s nicht klappt, machst du eben was anderes. Das Hauptproblem für vielseitig interessierte Menschen ist doch, sich nicht von der Menge der Möglichkeiten lähmen zu lassen. Sondern Entscheidungen zu treffen. Auch als Schriftsteller musst du dich entscheiden und dann dabeibleiben. Wenn du eine Linie anfängst, solltest du sie bis zum Endpunkt weiterverfolgen.

Und wie ging es mit der Regie los?
Vor 13 Jahren war ich bei den Bregenzer Festspielen als Rodolfo in „La Bohème“ engagiert. Während der Proben habe ich viel mit dem Regisseur Richard Jones diskutiert, ihm erzählt, wie ich diese oder jene Szene umsetzen würde. Da sagte er zu mir: Warum tust du’s nicht einfach? Jahrelang hat er mich immer wieder angerufen: Wann machst du endlich deine erste Regie? Im Laufe der Zeit habe ich mit sehr unterschiedlichen Regisseuren gearbeitet und von ihnen gelernt. Über Umwege hörte Serge Dorny, damals Intendant der Opéra de Lyon, von meiner Interpretationsidee für Massenets „Werther“. Da hat er mich engagiert. Es hat geklappt, ich war so glücklich. So wie mich auch jetzt, bei den Proben an der Deutschen Oper, jeden Tag wieder ein Glücksgefühl durchströmt, wenn ich die Energie des Teams spüre, wenn wir tausend Fragen gemeinsam besprechen.

Manche Opernleute klagen ja schon mal darüber, sechs Wochen Probenzeit seien zu lang.
Was ich am meisten liebe, sind die Proben! Mehr als die Aufführungen. Denn dann bist du frei, kannst dich ausprobieren, baust die Beziehung mit den Kollegen auf, hörst die Ideen der anderen, gibst etwas zurück. Die besten Momente finden sowieso ohne Publikum statt, auf der Probebühne.

Kommen Sie als Regisseur mit genauen Vorstellungen zur ersten Probe?
Ja, ich habe mir Takt für Takt überlegt, was ich haben will. Wenn ich das Stück einmal durchgearbeitet habe, bin ich aber zu Änderungen bereit. Wenn mir jemand sagt: Ich fühle, dass ich mich hier anders bewegen sollte, dann ist das fast immer richtig. Es sind ja die Sänger und Musiker, die bei den Aufführungen das Stück tragen müssen. Als Regisseur solltest du am Anfang sehr präsent sein und dich dann immer weiter zurückziehen, bis du am Premierenabend nur noch ein Teil des Publikums bist.

Wie erarbeiten Sie sich Ihre Rollen?
Für Sänger bedeutet eine Opernproduktion Millimeterarbeit. Du musst die Musik vom Dirigenten abnehmen und die Rolle vom Regisseur – und sie dann zu deiner machen. Mit deinem Instrument, und das ist der eigene Körper, soll etwas Unverwechselbares entstehen. Für mich ist es nicht interessant, den perfekten Rodolfo oder den perfekten Alfredo zu erleben. Sondern ich will sehen, wie sich ein bestimmter Künstler einer bekannten Rolle anverwandelt. Ich liebe es, überrascht zu werden, zu sagen: Wow, so habe ich das noch nicht betrachtet, aber es ist eine interessante Lösung.

Nun hat nicht jeder Ihre Bühnenpräsenz …

Jeder Sänger muss wissen, wie viel er sich bewegen kann, wenn er noch gut singen will. Es gibt Kollegen, die haben ihre Art gefunden. Sie wechseln von Stück zu Stück nur das Kostüm – und trotzdem kann es gut sein. Ich finde es spannender, neue Wege zu gehen, bei jeder Rolle weiter vorzudringen. Auf keinen Fall möchte ich hören: Das ist Villazón als Nemorino, das ist Villazón als Alfredo – ich bin doch kein Markenprodukt!

Stimmt es, dass Sie ganz ohne Internet und Fernsehen leben?
Manchmal schaue ich mir eine Sendung mit meinen Kindern an, weil ich ja auch wissen will, was sie beschäftigt. Wenn ich müde bin, spiele ich vielleicht mal ein Videospiel, aber nicht länger als 20 Minuten. Ich habe weder ein iPhone noch ein Tablet, meine Mails checke ich regelmäßig, aber nicht jeden Tag. Wenn ich frei habe, sitze ich an den Korrekturen für meinen zweiten Roman oder ich arbeite am dritten Buch oder ich lese.

Ist Ihre Energie wirklich unbegrenzt?
Na ja, ich liebe es zum Beispiel, mich als Flaneur ziellos durch eine Stadt treiben zu lassen. Ich gehe rechts, links, links, rechts und habe schon die Orientierung verloren. Aber das macht nichts, ich laufe weiter, finde vielleicht ein kleines Café, hole mein Notizbuch raus und halte eine Impression fest. Ich schaue, nehme alles auf, Bewegungen, Geräusche, Farben, das Leben. Das ist doch viel toller als Fernsehen.

Sänger haben mehr Zeit als Regisseure.
Viel mehr! Normalerweise probst du von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr. Und dann bist du frei. Als Regisseur setzt man sich nach der Probe sofort an die Änderungen, denkt nach, ob es sich mit diesem Sänger wirklich so machen lässt, ob man mehr auf dessen Körperlichkeit eingehen muss und was das für den Fortlauf der Handlung bedeutet.

Und dennoch machen Sie in dieser Saison drei Inszenierungen!
An der Wiener Volksoper habe ich im Januar Donizettis „Viva la mamma“ herausgebracht, im Mai folgt „La Traviata“ in Baden-Baden. Beide Produktionen standen schon fest, als mich die Deutsche Oper gefragt hat. Aber ich konnte einfach nicht Nein sagen. Das hier ist eine Riesenbühne – und vor allem ein Repertoirehaus. Das bedeutet, wenn die Produktion erfolgreich ist, wird sie sehr lange gespielt werden.

„La Rondine“, uraufgeführt 1917, ist Puccinis unbekannteste Oper. Da gehen Sie einiges Risiko ein.
Es ist ein Konversationsstück, und die Musik ist zart, schwebend, irgendwo zwischen Oper und Operette. Es sind große Puccini-Momente dabei, und dann gibt es wieder diese Walzer, die nach Lehár klingen. Wenn man es exakt so inszeniert, wie es im Libretto steht, kann es schnell Kitsch werden. Ich lege die Sache leicht surreal an, damit Bilder entstehen können, die den Blick weiten. Visuell will ich eine zusätzliche poetische Ebene entstehen lassen, die tiefer unter die Oberfläche vordringt als die Partitur. Die Musik ist genuiner Puccini, also immer gut, aber ich suche auch nach dunklen Seiten, nach dem Geheimnisvollen in den Charakteren. Ich möchte die Hauptfigur Magda als starke Frau zeigen, die keine Lust darauf hat, sich in ein bürgerliches Schicksal zu fügen. Sie kann nicht stillstehen, ist in ihren Gedanken immer schon irgendwo anders.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen. - Premiere von „La Rondine“: 8. März, 18 Uhr, Deutsche Oper.

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