Frankfurter Buchmesse: Spiel mit der Kunst
Comics aus Flandern und den Niederlanden: Bei der Frankfurter Buchmesse kommen sie diese Woche groß raus. Wir stellen die wichtigsten Veröffentlichungen vor.
Der flämische Norden Belgiens und die Niederlande bilden einen Sprachraum, der etwa so groß ist wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin. Gemeinsam gestalten sie in diesem Jahr den Ehrengastauftritt bei der Frankfurter Buchmesse. Während das vorige Gastland Indonesien nicht einen Comic mit nach Frankfurt brachte, können die Niederländer und insbesondere die Flamen hier groß auffahren. Comics gelten dort als Teil der Literatur, Zeichner werden wie Schriftsteller vielfältig gefördert.
Die grafisch spektakulärsten Arbeiten sind „Panter“ von Brecht Evens sowie das auf diesen Seiten bereits vorgestellte Album „Arsène Schrauwen“ des in Berlin lebenden Belgiers Olivier Schrauwen. Evens lässt in seinem Album ein junges Mädchen in eine bunte Fantasiewelt eintauchen, deren Schönheit bald in Grusel umschlägt. Als die Katze des Mädchens stirbt, taucht ein seltsames Wesen auf, der Kronprinz von Panterland. Wie ein Chamäleon passt sich dieser Prinz an die Launen des Mädchens an, um sich selbst in ihr Herz zu graben. Wie Evens dieser Spielzeugwelt Leben einhaucht und den Panter tanzen, schwelgen und schauspielern lässt, ist große Kunst.
Geschult auf den Kunstakademien in Antwerpen, Gent oder Brüssel
Judith Vanistendael präsentiert zusammen mit dem spanischen Schriftsteller Mark Bellido die klassisch erzählte „Geschichte eines Bonbonverkäufers, der sich im Regen auflöste“. Miquel verkauft Bonbons nur aushilfsweise, als Schriftsteller steckt er in der Krise.
In der Welt der Personenschützer sucht er eine spannende Story, der er schließlich alles opfert. Düster ist diese Geschichte vom Rande Europas, aber auch vorhersehbar. So richtig will der Funke nicht überspringen.
Das ist bei Nicolas Wouters und Mikael Ross’ „Totem“ anders, mit welchem sie die Leser in die Tiefe einer verletzten Kinderseele entführen. Im Zentrum ihrer Geschichte steht Louis, der den Sommer in einem verregneten Pfadfindercamp verbringt. Während sich in der Gruppe spielerischer Übermut, versteckte Gewalt und heimliche Zärtlichkeiten breit machen, schultert Louis eine Last, von der niemand etwas ahnt. Magisch-realistisch führen Wouters und Ross diese Erzählung aus der überwältigenden Natur heraus in eine Welt indianischer Magie, wo Louis wenngleich keinen Trost, so doch zumindest Zuflucht findet. Mehr zu diesem Buch lesen Sie demnächst auf den Tagesspiegel-Comicseiten.
Simon Spruyt vermittelt in seiner Fin-de-Siècle-Fantasie „Junker“ die Weltuntergangsstimmung vor dem Ersten Weltkrieg. Die Mutter des Erzählers leidet an Depression, der verdiente Vater hinkt über die alten Schlachtfelder, die Söhne werden in den königlich-preußischen Militärakademien zu Kanonenfutter herangezogen. Der Mensch wird hier jeder Individualität beraubt, als Playmobil-Figuren laufen die Akteure durch eine traditionsverhangene Welt, die mit dem Krieg untergeht.
In all diesen Werken wird der spielerische Umgang mit den Künsten deutlich. Kein Wunder, alle Zeichner haben eine der großen Kunstakademien in Antwerpen, Gent oder Brüssel durchlaufen und die flämische Tradition seit Hieronymus Bosch und Jan van Eyck verinnerlicht. So schickt Ben Gijsemans seinen Protagonisten in „Hubert“ auf der Suche nach der perfekten Frau gleich durch die Museen. Seine Geschichte ist die der Emanzipation von der Kunst zugunsten des Lebens.
Von Hieronymus Bosch bis Cowboy Henk
Aus den Niederlanden kommen mit „Vincent“ von Barbara Stok und „Hieronymus Bosch“ von Marcel Ruijters gleich zwei Künstlerbiografien. Stok konzentriert sich auf Vincent van Goghs produktivste Phase und hat dessen bewegtes Leben ab 1888 in simpel-naiven Strichen bebildert. Ruijters taucht tief in die mittelalterliche Welt seiner Hauptfigur ein und arbeitet die Motive der fantastischen Bilderwelten seines Protagonisten heraus. Sein ironischer Strich nimmt dem Grauen des Mittelalters die Schwere.
Flandern und die Niederlande sind auch ein Hort des Zeitungsstrips, den man endlich auch hierzulande entdecken kann; neben der dadaistischen Kultserie „Cowboy Henk“ des Brüsseler Künstlerduos Herr Seele & Kamagurka (die 2014 in Angoulême mit dem Kulturerbe-Preis ausgezeichnet wurde und zu der es demnächst noch mehr auf den Tagesspiegel-Comicseiten zu lesen gibt) etwa auch Brecht Vandenbrouckes schräge Kunstkritik „White Cube“, die beliebten Geschichten von „Kinky & Cosy“ aus der Feder des Belgiers Marnix Verduyn alias Nix oder die ulkigen Zeitreisen von Pieter de Poorteres bäuerlichem Helden „Dickie“.
Frankfurter Buchmesse, 19.–23. Oktober, www.buchmesse.de/comic. Wie bei www.graphic-novel.info zu lesen ist, gibt es einen umfassenden Überblick über Veranstaltungen rund um Graphic Novels, Comics und Manga auf der Buchmesse hier: Comics in Frankfurt. Die rund 220 internationalen Verlage sind demnach hier zu finden: Graphic Novel- und Comic-Aussteller. Und im Gastlandpavillon zeichnen - wie bereits auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen - an jedem Messetag die Comiczeichner der Gastlandtruppe live. Aus den dort entstehenden Arbeiten, so www.graphic-novel.info, wird täglich frisch an Ort und stelle eine neue Ausgabe des Magazins “Parade“ unter der Redaktion von Joost Swarte (Niederlande) und Randall Casaer (Flandern) gefertigt. Auf der Buchmesse wird es zudem neben einigen Comic-Präsentationen auch wieder eine CosplayCorner geben, auf der am 22. und 23. Oktober im Congress Center ein buntes Programm stattfindet. So wird dort am Sonntag um 13:30 Uhr das Finale der Deutschen Cosplaymeisterschaft ausgetragen.