Festival im Maxim Gorki Theater: Sozial is’ Muss
Welche Volksherrschaft wollen wir eigentlich? Das Festival „Uniting Backgrounds“ im Maxim Gorki Theater.
Die Demokratie besitzt ja ein unverwüstlich gutes Image. Ein bisschen so wie Schweden. Das Wort muss nur fallen, und schon denken alle an blühende Landschaften mit freundlichen Menschen, die beim Heißgetränk ihr friedliches Zusammenleben organisieren.
Gut, die Realität sieht ein bisschen anders aus. „Demokratie wird zu etwas Unappetitlichem“, schreibt Gorki-Dramaturg Ludwig Haugk im Programm des Festivals „Uniting Backgrounds“. Es scheine, „als ginge die Herrschaft der Vielen zwangsläufig einher mit Populismus, Nationalismus, mit dem Geraune von Sicherheit und Abschottung“. Ziemlich ähnlich sieht das auch die Publizistin und Gorki- Kolumnistin Mely Kiyak, die in ihrer Eröffnungsrede die Abgründe benennt, in die wir gegenwärtig in Europa und in Deutschland schauen: Debatten über die juristische Legitimation von Schüssen auf Unbewaffnete, die Diffamierung von Schutzsuchenden als „illegale Einwanderer“, das Geschrei nach einem Abtreibungsverbot in Polen oder der Ruf nach einem Staat nur für Christen in Ungarn.
Zum Glück – da trifft Kiyak einen guten Punkt – müssen die Künstler bei diesem Unfug aber weder mitmachen noch mitreden. „Wir, die Zivildienstleistenden der Kultur, müssen uns die Sorgen der Besorgten nicht aneignen“, sagt sie. Entsprechend will das Festival „Uniting Backgrounds - Theater zur Demokratie" sich zwei Wochen lang nicht mit dem Trennenden aufhalten, sondern nach den common grounds suchen, die am Gorki ja so etwas wie das Hausprogramm sind.
In der Eröffnungsinszenierung „Atlas des Kommunismus“ der argentinischen Regisseurin Lola Arias stehen Menschen zwischen neun und 85 Jahren auf der Bühne, die größtenteils in der DDR aufgewachsen sind und auf die eine oder andere Art geprägt wurden von der Idee des Sozialismus, der den Weg zum Kommunismus und somit zur goldenen Zukunft ebnen sollte.
Furios ist das polnische Stück "Die zwei Monddiebe"
Bis auf Ensemblemitglied Ruth Reineke, die sich als „Anfang 60-jährige Schauspielerin mit jüdisch kommunistischen Wurzeln“, vorstellt, „die nach dem Verschwinden ihres Landes zu einer Altlast des DDR-Theaters wurde“ – haben Arias’ Protagonisten keine Ausbildung für die Bühne. Dafür aber mehrheitlich ein bewegtes Leben, von dem zu erzählen und dem zuzuhören sich lohnt.
Die 85-jährige Salomea Gonin musste als Kind mit den Eltern vor den Nazis nach Australien fliehen und arbeitete später als überzeugte Kommunistin fast 18 Jahre lang für die Stasi. Die 73-jährige Monika Zimmering war Simultan-Dolmetscherin und als solche zugegen, als Günter Schabowski die Pressekonferenz zum Thema „Reisefreiheit ab sofort“ gab.
Jana Schlosser ist die 52-jährige Ex-Sängerin der DDR-Punkband Namenlos und saß wegen ihrer systemkritischen Texte zu Regimezeiten im Gefängnis. Und die ungefähr gleichaltrige Mai-Phuong Kollath kam als Vertragsarbeiterin aus Vietnam in die DDR, wo sie feststellen musste, dass sich die Lebenswirklichkeit nicht mit dem Postkartenidyll von sprießenden Tulpenfeldern vor prächtigen Wohnblöcken deckte, das sie kannte.
Bis auf den Performer Tucké Royale, der die queere Perspektive einbringt, ist es ein ausschließlich weibliches Ensemble. Was auch eine Form von Wiederaneignung der Geschichte bedeutet, die ja meist aus männlicher Sicht geschrieben wird. Regisseurin Lola Arias durchmisst mit ihren Umbruchs-Menschen die Wechselläufe und Wendepunkte ihrer Biografien und befragt die Leerstellen, die das Verschwinden der kommunistischen Ideologie auf der politischen und der Lebenskarte hinterlassen hat.
In einer der stärksten Szenen zeigt Mai-Phuong Kollath ein Bild des Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen, in dem sie jahrelang gewohnt hat und vor dem es nach der Wende zu den ekelhaften Neonazi-Ausschreitungen kam. Das schlägt ohne weitere Erklärungen die Brücke zur Gegenwart. Wobei man allerdings einwenden kann, dass Arias’ Inszenierung oft erstaunlich zielsicher alle Schmerzpunkte der Erzählungen umschifft. Warum hat beispielsweise Salomea Genin 1982 plötzlich erkannt, dass sie in einem Polizeistaat lebte und die Arbeit für die Stasi vielleicht doch nicht so okay war? Man erfährt es nicht.
Dafür wird es im Laufe des Festivals noch genug Gelegenheiten geben, sich über die Frage auszutauschen, welche Volksherrschaft wir eigentlich wollen. Eine Plattform dafür schafft neben weiteren Premieren, Gastspielen und Hintergrundgesprächen zum Thema „Reclaiming Democracy“ auch die Reihe „Mythen der Wirklichkeit“. In der lief zum Auftakt das furiose polnische Stück „Die zwei Monddiebe“ von Regisseur Krzysztof Minkowski. Performerin Marta Malikowska erzählt darin entlang des titelgebenden Märchens – das einst mit den kindlichen Kaczynski-Zwillingen verfilmt wurde! – vom Polen der Gegenwart, einem Land, in dem „Recht und Gerechtigkeit“ einen mindestens zwiespältigen Beiklang bekommen haben. Den schönen Wörtern ist heute eben weniger denn je zu trauen. Siehe Demokratie.
Das Festival läuft bis zum 23. Oktober, weitere Infos unter www.gorki.de
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