Architektur des Berliner Flughafens: So überraschend elegant sieht der BER von innen aus
In zehn Wochen soll der Flughafen BER eröffnet werden. Wir haben mit den Architekten einen Blick ins Innere geworfen. Er ist ein Bauwerk für Jahrzehnte.
Für Vielflieger ab Schönefeld war der neue Flughafen Berlin-Brandenburg BER schon zu einem vertrauten Anblick geworden. Starts und Landungen erfolgen meist gegen Westen, so dass man das neue Terminalgebäude seit Jahren, genauer seit 2012, beim Start linkerhand in seinen Umrissen erkennen konnte, als ein rechtwinkliges, scharfkantiges Gebilde.
Dieser Anblick ist beinahe schon in Vergessenheit geraten, seit der Flugverkehr durch Corona zum Erliegen kam; und wer jetzt startet, konzentriert sich auf anderes als den flüchtigen Blick auf ein Gebäude, das der neue Flughafen werden soll.
Doch so sehr Corona auch Abläufe verzögert und Termine verschoben hat, dieser eine Termin rückt tatsächlich nah und näher. Weniger als zehn Wochen sind es bis zur Eröffnung, die diesmal nicht gerissen, nicht mit erst fadenscheinigen und anschließend umso katastrophischeren Begründungen vertagt wird.
Dafür steht Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, der es sich nehmen lässt, einen ganzen Nachmittag lang durchs Terminalgebäude zu führen und dabei von Problemen in einer Vergangenheitsform redet, die erkennen lässt, dass er sie samt und sonders gemeistert hat. Und der, statt sich auf den Lorbeeren auszuruhen, die ihm ab Anfang November wohl überreich zuteilwerden dürften, schon von den Bauplänen der nächsten Jahre spricht, als kennte seine Amtszeit kein Ende.
Aber es ist ja auch ein Nachmittag mit den Architekten, mit dem Hamburger Büro gmp (von Gerkan, Marg und Partner), an der Spitze Prinzipal Meinhard von Gerkan, der sich ungeachtet seiner 85 Lenze alle Räume besieht, die vor vielen Jahren einmal auf seinem Zeichenpapier gestanden haben mögen, dazu die Partner Hubert Nienhoff und Hans-Joachim Paap, die, wenn man sie fragte, jeden Dübel und jede Rauchklappe erklären könnten, die aber lieber den Blick auf das große Ganze lenken. Das nämlich hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren angesichts von 17.500 Mängeln etwas aus dem Blick verloren, die Lütke Daldrup ohne Scheu beziffert.
Was also sieht man, wenn man sich auf den Zufahrtsstraßen nähert, wenn man aus dem Untergrund des seit Urzeiten fertiggestellten Bahnhofs hinaufsteigt? Eine Großform. Eine gewaltige, fast endlos scheinende Großform, die doch nichts Einschüchterndes hat, sondern einzig den Blick hebt.
Das luftige Etwas eines großen, rechteckigen Daches, auf weit voneinander entfernten stählernen Stützen nicht stehend, sondern thronend, durch gläserne Fronten von der Außenwelt ebenso getrennt wie mit ihr verbunden; ein Dach, unter dem sich alles abspielt, was da an Schaltern und Check-in-Inseln in anheimelnd-konservatives Nussbaumfurnier gekleidet ist und was zwar solide wirkt, aber auch veränderbar.
Man fühlt, dass all diese Schalter einer früheren Epoche angehören, als Reisen noch Gepäck aufgeben und Bordkarten ausdrucken bedeutete. Mittlerweile, so heißt es, reisen 75 Prozent aller Fluggäste mit Handgepäck, und immer mehr checken mit dem Smartphone ein.
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Meinhard von Gerkan lehnt an eine dieser Nussbauminseln, als er zu Grundsätzlichem anhebt – dabei sich selbst aus dem Jahr 1997 zitierend, als er erstmals nach einem Entwurf für den künftigen Berliner Flughafen gefragt wurde.
„Flughäfen müssen eine äußerst robuste Struktur aufweisen, sie müssen Spielraum für Erweiterungen lassen“, sagt er mit dem unverkennbaren, baltischen Akzent, der mit seiner Generation aussterben wird: „Nur so kann die funktionale Logik die Oberhand behalten. Das Schwergewicht liegt im Konzeptionellen, nicht in der Gestaltung.“
Das sind erstaunliche Worte für einen Architekten, der doch mit seinem ganzen Büro gmp berühmt ist für die Sorgfalt der Gestaltung, und der sich – man denke an die Geschichte des Berliner Hauptbahnhofs, auch er ein Werk von gmp –schon mal Urheberrechtsprozesse aufgebürdet hat, um der Sache willen, eben seiner Gestaltung. Aber es geht ums Ganze, um die „bauliche Identität“, um „Unverwechselbarkeit“, die über allfällige Veränderungen im Detail hinweg zu sichern ist.
Diese Grundsätze haben die Architekten 2005 in einem Gestaltungshandbuch für den Flughafen BER niedergelegt. Es geht, so Partner Hubert Nienhoff, um strukturelle Ordnung, um Einheitlichkeit und Vielfalt, und es geht drittens um die Wahl der Materialien.
Das Dach des Terminals 1 misst rund 50.000 Quadratmeter und kragt über die Glasfassaden aus, insbesondere über die landseitige Kraftfahrzeug-Vorfahrt. Es ruht auf stählernen Vierkantstützen im Abstand von 43,75 Metern, die, den Gesetzen der Statik folgend, zur Mitte hin breiter werden und nach oben und unten sich verjüngen.
Das Dach weist verglaste Bänder auf, die sich an den Stützen kreuzen und Tageslicht hereinlassen; alles basierend auf dem Grundmodul von 6,25 Metern, das das gesamte Gebäude strukturiert.
Natürlich ist nicht alles wandelbar. Etwa der Aufstieg aus der frei zugänglichen Haupthalle in die Abflugebene wird bleiben. Er wird von der Sicherheitskontrolle markiert, deren Anforderungen im Laufe der Entstehungszeit des Flughafens spürbar gestiegen sind; wie überhaupt viele Vorgaben und Normen sich geändert haben und zu einer Fülle von Umplanungen zwangen.
Nicht zuletzt die Passagierzahlen sind gänzlich andere – sie haben sich von 18 Millionen für beide Flughäfen Tegel und Schönefeld bei Baubeginn des BER im Jahr 2006 bis zum vergangenen Jahr auf 36 Millionen glatt verdoppelt. Den Test auf seine Kapazitätsgrenzen wird BER allerdings nicht so bald bestehen müssen.
Die Abflugebene wird zunächst vom „Marktplatz“ dominiert, von den Shops und von den anschließenden gastronomischen Einrichtungen. Da dürfte in den nächsten Wochen noch viel Farbe und optischer Schnickschnack hinzukommen. Schließlich findet sich der Fluggast im Hauptpier mit den Gates, den Wartebereichen und Fluggastbrücken – 15 an der Zahl -, und erneut bietet die gläserne Fassade einen weiten Blick, diesmal auf das Vorfeld mit den Flugzeugen und ihren Bewegungen.
Der Tatsache, dass sie schneller erfolgen als früher, die Umläufe häufiger sind und die Standzeiten kürzer, trägt das Flughafenkonzept Rechnung: Abflüge in den Schengen- und den Nicht-Schengen-Raum sind in zwei Ebenen übereinander angeordnet, und von beiden lassen sich die aufwendigen Fluggastbrücken betreten, mit ihren Rampen von und nach den verschiedenen Geschossen des Terminals.
Erst am Ende sitzt die eigentliche Brücke zum Flugzeug. Zwei solcher beweglichen Brücken sind es beim vor Jahren vom Bauherrn heftig gewünschten Anschluss für den Riesenvogel A 380, der nun schon wieder ein Auslaufmodell ist und am BER, wenn er denn jemals andockt, ein Exot bleiben wird. Jedenfalls werden die Flugsteige intensiver genutzt werden können, als das bei der nominell gleichen Anzahl in Tegel der Fall war.
750 Meter lang ist der Pier, mehr als die dreifache Länge des Terminaldaches, und besteht aus gleichbleibenden Modulen mit unter anderem Gastro-Angebot und Toiletten, die ganzen Fronten an dieser 750-Meter-Passage wiederum verkleidet mit warmtonigem Nussbaum.
Wiederholung, Erkennbarkeit, Orientierung und optische Beruhigung, so kann man die Gestaltungsprinzipien benennen; wobei sich die Normgrößen aus dem Fluggerät ergeben, und das ist nun einmal das gängige Format der zweistrahligen Mittelstreckenflieger mit ihren um die 180 Sitzplätzen.
Apropos Sitzplätze: Diejenigen in den Wartebereichen entsprechen gängiger Flughafenpraxis; sonderlich einladened sind sie nicht. Mit Wehmut erinnert man sich der ursprünglichen Schalensitzgruppen in Tegel. Was hatten die Architekten – und es waren doch dieselben, damals jungen Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg, die gmp zum größten Architekturbetrieb im Lande formten – damals, 1974, für einen gestalterischen Freiraum!
Genug der Technik; und nur kursorische Erwähnung der Gepäcksortieranlage, die im Zwischengeschoss für reibungslose Be-, Ent- und Umladung sorgen soll. Und ebenso kein Wort über den unglamourösen Bahnhof im Keller, der als erstes Bauteil fertig sein musste, und nun schon anderthalb Jahrzehnte stille ruht.
Funktional ist alles, aber gleich weit entfernt von der Maschinenästhetik, wie sie ein Norman Foster in London-Stansted vorgeführt hat, wie von der alles überwältigenden Großform, wie sie asiatischen Flughäfen zu bestaunen ist, angefangen mit Renzo Pianos Flughafen Kansai in Japan. BER ist überschaubar, und wer die Halle betritt und erfasst, erfasst schon den Großteil des Flughafenkomplexes, wenn auch die Piers, nach vorne und zu beiden Seiten, noch einiges an Laufwegen bereithalten.
BER ist keiner dieser endlos verzweigten, zu Shopping Malls aufgedonnerten Umsteigeflughäfen, wie sie die Verkehrsströme in die Golfstaaten lenken sollen, BER ist ein Ort zum Abfliegen wie zum Ankommen, mit begrenzter Verweildauer und ohne Sensation.
Doch, eine kleine Sensation hält BER bereit: Die Besucherterrasse hoch oben über den Abflugebenen, zugänglich auf zwei vollverglasten Brücken quer über den Marktplatz. Ein Ort für Menschen, die Flugzeugen einfach so zusehen mögen. Eine kleine Illusionsfläche, um in die sinkende Sonne zu blinzeln und Flugzeuge am Himmel zu zählen. Ganz zweckfrei.