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Ende Juli 2020: Eine Baustelle auf der Zufahrt zum Terminal des Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg (BER).
© Patrick Pleul/dpa

Diskussionsrunde am Hauptstadtflughafen: Für die Verkehrsplaner bleibt der BER eine Baustelle

In zehn Wochen sollen die ersten Fluggäste am BER landen. Doch wer von hier mit dem ICE weiter will, muss sich noch einige Jahre gedulden.

Erfahrenere Berlin-Touristen und Einheimische, die per Flugzeug die deutsche Hauptstadt ansteuern, wissen bereits, dass eine Fahrt in die Innenstadtbezirke zum Ende ihrer Reise nochmal viele Nerven kosten kann: Staus im Flughafentunnel in Tegel, unwürdiges Gedränge an der Haltestelle um Expressbus TXL. In Schönefeld lästiges Umsteigen vom Bus in die U7 oder langes Schlangestehen vor einem der Fahrkartenautomaten.

Die Inbetriebnahme des BER, die nach Jahren der Pannen nun für den 31. Oktober angesetzt ist, wäre die große Chance, den bald einzigen Airport vernünftig an Berlin und die wichtigsten Kleinstädte im Umland anzubinden – und zwar Klima- wie nervenschonend mit dem Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Immerhin: Die Grundvoraussetzung dafür – ein Bahnhof direkt unter dem Hauptterminal 1 – ist erfüllt. Für Verkehrsexperten gibt es dennoch noch viel zu tun in den kommenden Jahren. Das wurde bei einer Diskussionsrunde am BER, die live im Internet übertragen wurde, am Montagabend deutlich.

Laut Gastgeber Engelbert Lütke Daldrup, dem Chef der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, geht es nicht nur darum, Berlin und Umland gut anzubinden und die Quote der Reisenden, die mit Öffis zum Flughafen kommen, von aktuell 60 Prozent im Schnitt auf 66 Prozent im Jahr 2025 und sogar 70 Prozent in 2030 zu steigern. Dann sei man in Deutschland führend und in einer Liga mit Flughäfen wie Oslo oder Kopenhagen, die ebenfalls von sehr vielen Reisenden ohne Auto angesteuert werden.

Um Erfolg zu haben, müsse der BER auch für Menschen die 200 Kilometer oder noch weiter entfernt wohnen, bequem zu erreichen sein. Also auch für Polen. Ein Schlüssel, wenn auch nicht der einzige, wäre ein Anschluss an das Netz der Inter-City-Express-Züge der Deutschen Bahn. Der ist mit dem Ausbau der „Dresdner Bahn“ ab dem Jahr 2025 vorgesehen, aber auch erst dann.

Bis dahin bleiben per Schiene nur der „Airport Express“ und Regionalbahnen, die zusammengenommen viermal pro Stunde den Berliner Hauptbahnhof erreichen können. Die Fahrtzeit beträgt 30 Minuten.

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Zusätzlich verbinden die S-Bahn-Linien S45 und S9 den BER jeweils alle 20 Minuten mit dem Stadtzentrum.

Lütke Daldrup, der schon als Staatssekretär beim Bund und Land Berlin in der Sache mitzureden hatte, räumte ein, dass es ein Fehler der Politik gewesen sei, die Bahn nicht früher durchzusetzen. Erneut warb er für einen zügigen ICE-Anschluss. „Wenn wir ICE-Verkehr im Bahnhof unter dem Terminal haben, kann mancher Inlandsflug vermieden werden.“ Ein ICE-Anschluss habe große strategische Bedeutung für den Flughafen. Denn mit einem solchen Zubringer ließen sich mehr Flugverbindungen auf der Langstrecke gewinnen.

Kein ICE, dafür Regionalbahnen und Busse

Susann Henkel, Projektleiterin Verkehrsplanung am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik aus Prien am Chiemsee in Bayern, sprang dem Flughafenchef bei. Eine Fernverkehrsanschluss sei wichtig, um das Zielgebiet zu erweitern. Sie wünsche sich grundsätzlich weniger Konkurrenz der Verkehrsträger sondern Anreize für eine übergreifende Nutzung, also mehr Intermodalität.

Nach jetziger Planung gibt es im Fernverkehr lediglich eine Intercity-Verbindung (Linie 17, Rostock-Dresden) zum BER. Der Berlin-Beauftragte der Deutschen Bahn, Alexander Kaczmarek, machte in der Runde keine konkreten Zusagen. „Wenn wir mit der Linie 17 erfolgreich sind, dann wird das mit Sicherheit nicht das letzte Angebot gewesen sein.“ Dies sei ein Testballon. Jeder Fernzug müsse sich rechnen. Auch die zahlreichen Fernzüge am Berliner Hauptbahnhof seien vom BER aus schnell zu erreichen, sagte der DB-Gesandte.

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Auch Jürgen Roß, Bereichsleiter Planung und Fahrgastinformation beim Verband der Verkehrsbetriebe Berlin Brandenburg (VBB) sagte, es stehe noch „eine Menge Detailarbeit“ an. Der Nahverkehr müsse schließlich nicht nur die Touristenströme bewältigen, sondern auch die Anwohner der nahen Gemeinden zum Flughafen und nach Hause bringen: Immerhin rund 20.000 Menschen werden im und am Flughafen arbeiten - und das mitunter auch mitten in der Nacht. VBB-Mann Roß verwies auf ein Buskonzept, das drei Linien vorsehe, die Königs Wusterhausen, Zeuthen und den Businesspark Kienberg („Gatelands“) anbinden.

Unter den Experten war unstrittig, dass es erstrebenswert ist, dass möglichst viele BER-Besucher nicht mit dem eigenen Fahrzeug anreisen. Der Grund leuchtet ein: Eine Schlange von 1000 Personen in Pkw ist mehrere Kilometer lang. Die gleiche Zahl Personen bekommt man in einem 800 Meter langen Zug unter, was viel effektiver und ressourcenschonender in jeder Hinsicht ist.

Das Auto wird weiter eine Rolle spielen

Gleichwohl gäbe es Situationen (viel Gepäck) oder Personengruppen, die auf das eigene Fahrzeug angewiesen seien. Jens Jens Warnken, Geschäftsführer der Airkom Luftdruck GmbH und Vorsitzender des Regionalausschusses Dahme Spreewald der IHK Cottbus, betonte, dass auch der Ausbau der regionalen Autobahnen zwingend erforderlich sei, um ein Verkehrschaos zu vermeiden, das schnell ausbreche, sobald ein Fahrzeug am Britzer Tunnel die Höhenkontrolle auslöst.

Im Livestream: Engelbert Lütke Daldrup, Chef der Berliner Flughäfen (links) und sein Pressesprecher Hannes Hönemann (rechts) im Gespräch bei den 2. "BER Wirtschaftsgesprächen" am Montagabend (17. August 2020).
Im Livestream: Engelbert Lütke Daldrup, Chef der Berliner Flughäfen (links) und sein Pressesprecher Hannes Hönemann (rechts) im Gespräch bei den 2. "BER Wirtschaftsgesprächen" am Montagabend (17. August 2020).
© Kevin P. Hoffmann

Ein Kompromiss bei der Flughafenanreise ist für viele bereits heute das Buchen eines Carsharingdienstes. Michael Fischer, Kommunikationschef beim Berliner Dienst WeShare, warb für seinen Anbieter mit dem Argument, dass die WeShare-Flotte rein elektrisch unterwegs sei. Das Problem sei nur: Als der BER geplant und gebaut worden sei, war Elektromobilität kein Thema. Jetzt fehle es an Ladesäulen.

Und auch bei der digitalen Infrastruktur – dem Handyempfang – gebe es Nachholbedarf. Carsharing-Kunden, die die Fahrzeuge mit Hilfe einer App entriegeln, können keine Funklöcher am Airport gebrauchen, erklärte Fischer. Flughafenchef Lütke Daldrup sagte, man habe bereits „einiges nachgerüstet“ und werde weiter nachrüsten. So oder so werde der BER „mit 100 Prozent Sicherheit ein ganz wichtiges Geschäftsfeld“ für WeShare werden, sagte Fischer.

Beim Start des BER Ende Oktober ist noch nicht mit einem Verkehrschaos zu rechnen. Corona habe dem zivilen Luftverkehr die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschert, sagte Lütke Daldrup. Im März und April habe man rund 1000 Fluggäste am Tag abgefertigt – ein Prozent der üblichen Menge. Er glaube fest daran, dass sich der Tourismus irgendwann wieder erhole. Der Flughafenchef zeigte sich aber skeptisch, ob Geschäftsleute auf absehbare Zeit wieder so viel fliegen werden. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitswelt sich verändert hat“.

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