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13 Runden. Tucholskys Leben als Boxkampf. Szene mit Helen Schmidt, Daniel Pastewski, Johannes Wedeking und Felicitas Brunke (v.l.).
© G.U. Hauth/Kammeroper Rheinsberg

Uraufführung in der Kammeroper Rheinsberg: Singen, schreiben, schlafen

Tucholsky als Opernheld? In der Kammeroper Rheinsberg feierte die Opernrevue „Tucholskys Spiegel“ Uraufführung. Als Alter Ego des Dichters tritt Jochen Kowalski auf.

Zuerst sind es schrille, spitze Töne, die sich in die Ouvertüre mischen, dann wird die Musik langsamer, die Töne sacken tiefer und tiefer - als ob bei einem Plattenspieler plötzlich der Stecker gezogen wird. Auf der Bühne im Rheinsberger Schlosstheater kommt für einen Moment alles zum Stillstand. Dann schmäht ein Chor: „Tucholsky, Weihnachten 1935 wirst du nicht mehr erleben !“

Mit der ersten Szene gibt der Komponist James Reynolds die Richtung dieses Uraufführungsabends der Kammeroper Schloss Rheinsberg vor: modernes, zeitgenössisches Musiktheater, das erfrischend wenig historische Klänge aus den 20er und 30er Jahren zitiert. Keine verballhornte Internationale, keine Militärmärsche, stattdessen anverwandelte Varietémusik mit Cool Jazz und Minimal Music – Reynolds hat bei John Adams studiert.

Eine Tucholsky-Oper in Rheinsberg, wen wundert’s: Das wohl bekannteste Werk des Dichters ist sein 1912 erschienener „Rheinsberg“-Roman. Wobei man die sommerliche Beschaulichkeit des Romans auf der Bühne vergeblich sucht. Vielmehr nähert sich „Tucholskys Spiegel“ der komplizierten Psychologie eines Künstlers und seiner Zeit.

Am 21. Dezember 1935 stirbt der 1890 in Berlin geborene Tucholsky in einem Göteborger Krankenhaus an einer Überdosis Schlaftabletten. Ob es ein Suizid war, ist bis heute ungeklärt. Sein Tod bildet den Anfang und das Ende der Opernrevue, die in 13 Bildern von einem Leben voller Widersprüche, Selbstzweifel und Depressionen erzählt. Tucholskys Antwort auf diesen Schwebezustand: Schreiben!

Fünf Sänger teilen sich die Rolle des Dichters, darunter Jochen Kowalski

Schreiben als Kampf, gegen den Krieg, gegen politische Dummheit, gegen die eigenen Unzulänglichkeiten: Diese Deutung nimmt das Bühnenbild auf, sämtliche Szenen spielen in einem Boxring. Als visuelles Leitmotiv sieht man Tucholsky immer wieder im Ring, wie er auf seinem Hocker verzweifelt die Schreibmaschine bearbeitet. Gleich fünf verschiedene Sänger teilen sich die Rolle des Dichters, mit unterschiedlichen Stimmlagen, je nachdem, ob gerade Peter Panther, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser oder Theobald Tiger auftreten. Zusätzlich zu den Figuren mit den vier bekannten Tucholsky-Pseudonymen erscheint noch ein Alter Ego, gesungen von Countertenor-Legende Jochen Kowalski. Sein Anzug glänzt silberfarben - Tucholskis Spiegel eben.

Kowalskis Zwiesprache mit einem Saxophon gegen Ende markiert einen Höhepunkt des Abends, der von sieben weiteren jungen Sängerinnen und Sängern engagiert gestaltet wird. Große Intervallsprünge, enorme Tonumfänge, hohe Dynamik – der in Kalifornien geborene, in Berlin lebende Komponist verlangt den Musikern einiges ab. Schenkt ihnen dafür aber auch wunderbare, mehrtaktige Vokalisen für die „Melan-cho-lie“ oder die „Lie-be“. Und die Kammerakademie Potsdam stellt ihre Vielseitigkeit unter Leitung des Dirigenten Marc Niemann auch als Jazzcombo unter Beweis.

Tanz auf dem Vulkan. Varieté-Szene aus "Tucholskys Spiegel" mit Cornelius Lewenberg als Tucholsky, Felicitas Brunke, Helen Schmidt und im Hintergrund Lisa Ströckens.
Tanz auf dem Vulkan. Varieté-Szene aus "Tucholskys Spiegel" mit Cornelius Lewenberg als Tucholsky, Felicitas Brunke, Helen Schmidt und im Hintergrund Lisa Ströckens.
© G. U. Hautz/Kammeroper Rheinsberg

„Singen, schreiben, schlafen.“ Die mit herrlich-hektischer Rhythmik vertonte Zeile gehört dem Bariton Cornelius Lewenberg, später singt der Wiener Tenor Gerd Jaburek die schönste Arie des Abends, über die Eitelkeit des Dichters. „Ich bin ein Pfau“ heißt es nach dem Originaltext von Tucholsky, „ich weiß, dass ich sehr schön bin.“

Auch über seinen Tod hat Kurt Tucholsky in „Der Mann am Spiegel“ ausführlich nachgedacht. „Ob ich gepflegt sterbe oder auf kalter Chaussee verrecke, ganz allein“, heißt es darin. Rund um den etwa eine Zeitungsseite umfassenden Text, der 1928 in der „Weltbühne“ erschienen ist, hat Christoph Klimke das gesamte Libretto entwickelt. Wobei die Oper keine konkrete Handlung ausbreitet, sondern mit den 13 Boxrunden „Schlaglichter“ auf das Leben des Schriftstellers und Lebemanns wirft. Während die Erlebnisse mit seiner ersten Ehefrau Else Weil, mit Mary Gerold und Hedwig Müller auf tatsächliche Begebenheiten zurückgehen, ist der Gesangsdialog, in dessen Verlauf sich Rosa Luxemburg und eine rechtsgesinnte „Gräfin“ duellieren, eine fiktive, surreale Überhöhung.

Tanz auf dem Vulkan: eindrückliche Bilder für die 20er und 30er Jahre

Die Collage aus Tucholskys Originaltexten und Klimkes lyrischen Ergänzungen führt zu einem hochkomplexen Text, den besonders zu schätzen weiß, wer sich bereits mit Tucholskys Schriften und seiner Biografie vertraut ist. Deutschland in den 20er und 30er Jahren, dieser „Tanz auf dem Vulkan“, wird in der gleichnamigen Szene in rotes Licht getaucht. Tanzende Paare bewegen sich im Boxring zu einer gespenstischen Rumba – das sind starke Bilder des Regisseurs Robert Nemack.

Am Ende beschwört Tucholskys Freund und Verleger Siegfried Jacobsohn noch einmal die „Eiserne Schnauze“ – eine Anspielung auf Tucholskys Entwurf einer Grabinschrift, die er 1923 in der „Weltbühne“ veröffentlich hatte: „Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze“. Tatsächlich trägt die Grabplatte des Dichters die Inschrift „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“. Ein Satz aus Goethes „Faust“, über den man auch lange nachdenken kann. Hans Ackermann
Weitere Aufführungen am 25., 26., 28. und 29. Juli. Infos: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de

Hans Ackermann

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