Tucholskys erste Ehefrau: Else Weil - Die kluge Flüsterin
Else Weil war das Vorbild für die Claire in „Rheinsberg“ – jetzt würdigt eine Ausstellung Kurt Tucholskys erste Ehefrau.
Er hat sein Möglichstes getan, die Spuren zu verwischen. „Natürlich ist die Geschichte von ,Rheinsberg’ wahr. Auch die Claire existiert noch. Sie lebt als eine wacklige, etwas tropfnasige Alte in Ducherow, unweit Pasewalk, wo sie neugierigen Fremden vom Ratshauskastellan gegen ein Entgelt von 25 Pfennigen gezeigt wird; vormittags von elf bis eins und nachmittags von drei bis fünf. Sonntags ist sie zu“, schrieb Kurt Tucholsky 1921 über die Protagonistin seines ersten, 1912 erschienenen Romans „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte.“ Die Wahrheit ist: Claire lebte tatsächlich. Sie war 1921 jedoch keine wacklige Alte, sondern im Gegenteil Kurt Tucholskys junge, sehr lebendige Ehefrau Else Weil.
Dieser Else hat das Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg nun eine Kabinettausstellung gewidmet, die das Ergebnis fast detektivischer Recherchen ist. Denn über Else Weil, die erste Ehefrau Kurt Tucholskys, war lange Zeit nicht sehr viel mehr bekannt, als dass sie als eine der ersten Frauen in Berlin Medizin studierte, 1938 Deutschland verlassen hat und 1942 nach Auschwitz deportiert worden ist. Es gab keine Bilder, Briefe oder Dokumente von ihr. Überlebt hatte nur Tucholskys literarische Claire, die zauberhaft lebenslustige junge Medizinerin, die sich mit ihrem Freund Wolf ein unbeschwertes Liebeswochenende in Rheinsberg gönnt und die so viel ihres Wesens offenbar dem realen Vorbild Else verdankt: „Dies infantile Schlafzimmer-Gealber, das er phonetisch waschecht aufnotiert hat, das hatte Pimbusch ihm eingeflüstert – seine erste Frau, die Kinderärztin Frau Dr. Weil“, schrieb Walter Mehring 1985.
Und ihre Freundin, die Journalistin Gabriele Tergit, schreibt 1983 in ihren Memoiren: „Seine bezaubernde erste Frau, eine Ärztin, hat Tucholskys Sprache in ,Rheinsberg’ erfunden. Diese sehr junge Ärztin verreiste mit einem Gleichaltrigen. Das war eine neue Welt. Da wurde eine Tür geöffnet. Es waren ,Die Leiden des jungen Werther’ für die Generation, die in den Weltkrieg zog. Wir alle gaben es unseren Jungs in den Krieg mit.“
Das Glück half weiter: 1997 trug sich eine Besucherin ins Gästebuch des kleinen Rheinsberger Museums ein – mit dem schlichten Schriftzug „G. Weil, London“. Recherchen über Auslandsauskunft und das Londoner Telefonbuch brachten heraus, dass es sich um Gabriele Weil handelt, die inzwischen 80-jährige Nichte von Else Weil. Sie überließ dem Literaturmuseum eine Vielzahl von Fotos und Dokumenten: den Prenzlauer Bürgerbrief von Elses Urgroßvater Salomon Reis Krausheim, das Gymnasial-Abgangszeugnis von Vater Siegmund Weil, Elses Inauguraldissertation über die „Kasuistik des induzierten Irreseins“ und einen Brief an ihren Bruder Kurt aus Aix-en-Provence. Vor allem aber Fotos: die kleine Else, ganz brave Tochter im Matrosenkleid, die junge Medizinstudentin mit ernstem, klaren Blick, ausgelassene Berliner Freunde aus der Zeit, als Else Weil längst wieder von Kurt Tucholsky geschieden war, und ein Bild ihrer letzten Liebe Friedrich Epstein, mit dem sie bis zu ihrer Deportation in Frankreich zusammenlebte.
„Fragmente eines deutsch-jüdischen Lebenswegs“ haben die Kuratoren Peter Böthig und Alexandra Brach die Ausstellung genannt. Weil noch viele Fragen offenbleiben. Weil man gern noch mehr wüsste über diese Frau, die in einer restriktiven Zeit emanzipiert handelte, als eine der ersten Studentinnen, als selbstständige Ärztin – und als unbekümmert gegen die Konvention Liebende. Kurt Tucholsky, der sie 1924 recht schmählich verließ und das später bereute, nannte sie „die klügste Frau, die ich kennengelernt habe. Ich war ein bisschen mit ihr verheiratet.“
Kurt Tucholsky Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg, bis 13. Februar, Info: www.tucholsky-museum.de
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