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Notenmensch. Auf dem Papier sahen die Zeichen schön aus. Frank Zappa wollte wissen, wie sie klingen würden. Meist zu Hause an seinem Piano.
© Arsenal Filmverleih

Zappa-Dokumentation: Sieg des Sounds

Rocklegende, Revolutionär, Bürgerschreck: Die Dokumentation „Eat that Question“ versucht dem Phänomen Frank Zappa auf die Spur zu kommen. Bis zuletzt fühlte er sich verkannt.

Von sich aus fing er nicht an. Er saß da, geduldig, schwieg. Viel zu höflich für einen Mann seines verwegenen Äußeren, wartete Frank Zappa ab mit einem Gesichtsausdruck, so unergründlich und ernst, dass es die meisten Journalisten nervös machte. Aber nicht deshalb stellten Gespräche mit ihm die höchsten Ansprüche. Vor allem, weil er sehr schlau und seiner Sache sicher war, waren Zappa-Interviews mit etwas aufgeladen, das für viele jenseits des Verständnisses lag: Wie konnte man nur sein wie er?

Das war die Wesensfrage, die über allem schwebte. Gestellt hat sie niemand. Interviews seien „das Unnatürlichste überhaupt“, befand Zappa einmal, „nur zwei Schritte von der Inquisition entfernt“. Trotzdem gab er welche. Sogar kurz vor seinem Tod im Dezember 1993 gab er noch Auskunft, obwohl er sich entkräftet von seiner Krebserkrankung schon nicht mehr aufrechthalten konnte.

Acht Jahre hat sich der Dokumentarfilmer Thorsten Schütte für „Eat that Question“ durch Gespräche mit Zappa, seine Fernsehauftritte, durch Konzertmitschnitte und anderes seltenes Archivmaterial gewühlt. Dabei ist er der Antwort auf die Wesensfrage ziemlich nahegekommen. Denn, was man sieht, ist ein in jeder – auch noch so dämlichen – Situation unkorrumpierbarer Charakter, der vor allem als zeitgenössischer Komponist ernst genommen werden wollte. Erst kurz vor seinem Tod, als das Ensemble Modern sich mit dem „Yellow Shark“-Projekt seiner orchestralen Werke annahm, fand er diese Anerkennung. Bis dahin galten seine Kompositionen mehr als Rock ’n’ Roll-Satire denn seriöse Klangkunst.

Sonderstatus als ewiger Freak

Von den Anfängen als Filmkomponist für den Western „Run Home, Slow“ über die Rock-Opern „Uncle Meat“ und „200 Motels“ bis zu den Synclavier-Experimenten von „Jazz from Hell“ verfolgte Zappa eine eigene musikalische Sprache. Sie löste sich nicht nur melodisch und rhythmisch von den Stereotypen der Popkultur, sie integrierte auch bewusst unkonventionelle Geräusche wie Fürze, Schreie, Stöhnen, alles, was nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Einem Orchester sagte er einmal: „Versuchen Sie, möglichst keine Musik zu spielen.“ Warum er Geräuschen so viel Raum gebe, wurde er gefragt. Darauf er: „Sounds sind dazu da, gehört zu werden.“

Das sagte einer, der sich verkannt fühlte. Tatsächlich nahm man seine Bewunderung für Varèse, Strawinsky und Alban Berg als abstruses Nebeninteresse des Rockstars. Dass der einzige Grund für ihn, Musik zu schreiben und zu spielen, der war, dass er sie selbst hören wollte, passte nicht ins Bild eines Mannes, der zur Ikone der Popkultur geworden war und meinte, es gehe um „Entertainment“. Er repräsentierte zu viel: Rocklegende, Revolutionär, Genie und Bürgerschreck. Das Foto von ihm mit heruntergelassenen Hosen auf dem Klo sitzend und sein Hit „Bobby Brown“ überstrahlten den naiven Kern seines künstlerischen Antriebs. Obwohl er derlei als Zugeständnis an das Musikbusiness abtat, sah er die Gefahr, die auf ihn in einer Welt der Massenware wartete: „Die Leute sind nicht vorbereitet auf Exzellenz“, sagt er in Schüttes Archivauslese einmal, und macht für seinen Sonderstatus als ewiger Freak die systematische Verdummung der Gesellschaft verantwortlich. Je mehr die Medien ihn irre aussehen ließen, desto schwerer würde es für ihn, seine Meinung auszudrücken.

Wie er erinnert werden wollte? "Ist nicht wichtig."

Dabei war seinem intellektuellen Format kaum jemand gewachsen. Sei es, dass er in der Steve-Allan-Show seelenruhig das Amüsement des Moderators über sich ergehen ließ, der es ziemlich verrückt fand, Musik auf dem metallischen Gestänge und den Speichen eines Fahrrads machen zu wollen. Oder dass er von aufgebrachten Moralisten in der Debatte um die Kennzeichnung „jugendgefährdender“ Musik für die Freiheit des Wortes eintrat („Es gibt keinen Grund, Worte unterdrücken zu müssen, es sind nur Worte“). Schließlich feierte er Groupies auf dem Höhepunkt der feministischen Bewegung als Priesterinnen eines höheren Liebesbegriffs. Auch schön ist die Beklemmung eines linken 68er-Studenten, der in Zappa den Rebell sieht und nicht akzeptieren kann, dass dieser mit der Gründung seiner eigenen Plattenfirma schon früh unter die Unternehmer gegangen ist. Stets blieb er sich darin treu, Engstirnigkeit zu bekämpfen. In welchem Milieu sie sich auch zeigen mochte.

Dafür hat Zappa viel erreicht. Weshalb es einigermaßen verwegen ist, ihn ausgerechnet als missverstandenen Künstler zu porträtieren, wie Schütte es tut. Aber das ist die Linie, die nach seinem Tod von seiner Witwe Gail Zappa verfolgt wurde. Seinen Rat, alles zu verkaufen und nichts mehr mit dem Musikbusiness zu tun zu haben, befolgte sie nicht. Erst stellte sie seine Hinterlassenschaft unter das Markenschutzrecht, dann wachte sie mit strenger Hand über die Standards. Ohne ihre Zustimmung hätte Schütte seinen Film nicht machen können.

In „Eat that Question“ findet sich eine Bemerkung von Frank Zappa über Gail, die ehemalige Botschaftsangestellte und Sekretärin des Whisky a Go-Go, dass sie nämlich „a mean little sucker“ sei, aber eine „exzellente Boss-Frau“. Ihr düsterer Ruf als Tyrannin, die sich mit Fans und früheren Mitgliedern der Mothers of Invention anlegte, warf auch einen Schatten auf Zappas Werk. Er selbst hatte auf die Frage, wie er erinnert werden wollte, gesagt: „Ist nicht wichtig.“

Zappa war einer der ersten, die sich selbstbewusst „Recording Artist“ nannten. Er hatte begriffen, dass der Medienwechsel vom Notenblatt zum Tonträger ganz neue kompositorische Methoden erlaubte, und sein Debütalbum „Freak Out!“, das vor ziemlich genau 50 Jahren erschien, war bereits eine hochkomplexe Klangcollage. Den Übergang zum digitalen Programmieren erlebte er gerade noch mit, war begeistert von den automatisierten Apparaturen. Endlich musste er keine Musiker mehr bezahlen. Computer erledigten das jetzt. Seine Techniker haben heute allerdings große Mühe, die auf antiquierten Datenbanken niedergelegten Synclavier-Werke auszulesen und zu transkribieren.

"Was dir gehört, ist meins. Was mir gehört, ist meins. Dein Vater gehört mir."

Und dann ist da noch die schiere Menge an Material, die Zappa als sein eigener Archivar akribisch zusammentrug. Nach Gails Krebstod 2015 gerieten die Dinge auch unter den vier Zappa-Kindern Moon, Dweezil, Ahmet und Diva durcheinander. Denn die beiden älteren erfuhren, dass ihre Mutter sie nicht mit gleichen Teilen am Zappa Family Trust bedacht hatte. Moon und Dweezil wurden mit jeweils 20 Prozent, Ahmet und Diva mit je 30 Prozent beteiligt. Der Wert des Zappa-Erbes wird auf mehrere Zehnmillionen Dollar geschätzt. Allerdings nur theoretisch. Seit langem gehen die Meinungen innerhalb der Familie auseinander, wie daraus Erlöse erzielt werden könnten.

Moon, mit 49 Jahren die Älteste, fühlte sich von der Erbregelung besonders getroffen. Sie hatte ihrem Vater einst einen Zettel unter der Studiotür durchgeschoben und ihre Talente angepriesen, weil sie ganz richtig davon ausging, dass nur Musik den Workaholic aus seiner Isolation reißen würde. So entstand „Valley Girl“, ein Hit, Vater und Tochter traten gemeinsam auf, doch ihr behagte das Rampenlicht nicht. Sie versuchte sich später als Autorin, wurde TV-Schauspielerin. Sie hatte auch Ideen, wie das Ansehen ihres Vaters bewahrt werden könnte. Doch all ihre Versuche, die Mutter von einem Biopic oder einer Zappa-Reality-Show oder einer Teenager-Version seiner Musik zu überzeugen, wurden abgelehnt. 

Nun scheinen Tochter und Mutter von jeher eine „holprige Beziehung“ gepflegt zu haben, wie Moon sagt. Der „LA Times“ sagte sie nach Gails Tod: „Es ist schwer genug, um den Verlust einer gemeinen Mutter zu trauern, um dann auch noch zu erkennen, dass sie viel gemeiner gewesen ist, als ich es mir je hätte vorstellen können“. In einem Facebook-Post beklagte sie bitter: „Was meine Mutter mir beigebracht hat: Was dir gehört, ist meins. Was mir gehört, ist meins. Dein Vater gehört mir. Was ihm gehörte, gehörte mir. Was er war, gehörte mir.“

Öffentlicher Streit der Familie

Der Anwalt des Zappa-Trusts Owen Sloane wird im „Rolling Stone“ mit der Aussage zitiert, Moon und Dweezil hätten nie Interesse für die geschäftlichen Belange gezeigt. Es sei deshalb eine zwangsläufige Entscheidung Gail Zappas gewesen, den drittgeborenen Ahmet mit den Familienfinanzen zu betrauen. Der verfügt über einschlägige Geschäftserfahrung und leitet für den Disney-Konzern eine von ihm selbst kreierte Merchandise-Sparte. Zum Geschwisterzwist kam es im vergangenen Sommer, als Ahmet anwaltlich gegen seinen Bruder Dweezil vorging.

Der 47-jährige Dweezil ist das einzige Kind Zappas, das mit dem Vater Musik gemacht und sie „durch seine Finger verstanden“ hat. Davon löste er sich nie und tourte jahrelang unter dem Motto „Zappa plays Zappa“ durch die Welt. Jetzt sollte er einen symbolischen Dollar für die Nutzung des Markennamens an den Trust abführen sowie sämtliche Einkünfte aus dem Verkauf von Fanartikeln. Der Kampf um die Nutzung des Familiennamens durch die Familienmitglieder ist offen ausgebrochen. Sloane sagt, Dweezil wolle Vorteile aus dem Namen ziehen, die er aber mit seinen Geschwistern teilen müsse.

Nun seien sie doch „eine von ,den Familien‘“ geworden, sagt Ahmet in Interviews bedauernd, die sich öffentlich stritten.

Grandioses Schlussbild

Das Haus, das sich Zappa in den 70er Jahren im Laurel Canyon kaufte und in dessen Nebengebäuden und Kellern er sein Reich „Utility Muffin Research Kitchen" hatte, stand lange zum Verkauf. Nun soll Lady Gaga es erworben haben für etwas über 5 Millionen Dollar, wie „Variety“ berichtet.  

Was am Anfang von all dem stand, verblasst. Schütte stellt es in einem grandiosen Schlussbild von „Eat that Question“ heraus. Man sieht Zappa mit dem Vollbart seiner letzten Tage vor dem Ensemble Modern stehen und den Takt schlagen. Er dirigiert nicht, sondern lässt die Musik einfach sein. Damit er sie hören kann. Seine Augen sind geschlossen.

OmU. In neun Berliner Kinos. Am 11. 12. ist der Regisseur zu Gast im Babylon Kreuzberg, 20 Uhr.

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