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Frank Zappa.
© Imago

100. Frank-Zappa-Album „Dance Me This“: Sehnsucht nach dem Original

Ob Jimi Hendrix, David Bowie oder Brian Wilson. Mit verschollenen Platten ist es so eine Sache. Jetzt erscheint 22 Jahre nach dem Tod von Frank Zappa sein 100. Album "Dance Me This" - dabei war es nie eine Legende.

Mit verschollenen Platten in der Popmusik ist es so eine Sache. Manche sind ein reiner Wunschtraum: Jimi Hendrix und Miles Davis schafften es trotz bester Absichten nie gemeinsam ins Studio. Andere gelten zu Unrecht als zerstört: Es dauerte fast 40 Jahre, bis Brian Wilson von den Beach Boys bereit war, die sagenumwobenen Bänder von „Smile“ auszugraben. Wieder andere wie David Bowies „Toy“ geistern als Raubdatei durchs Netz. Frank Zappas 100. Album „Dance Me This“ jedoch, das nun 22 Jahre nach seinem Tod erscheint, war nie eine Legende.

Erstens stand immer außer Frage, dass Zappas letzte Aufnahme in der heimischen Utility Muffin Research Kitchen existierte: 1994 kursierten sogar schon Vorabkassetten. Zweitens hat die Veröffentlichungspolitik des von Frank Zappas Witwe Gail geführten Familientrusts selbst beinharten Zappatisten, deren Besessenheit allenfalls von Dylanologen übertrumpft wird, das Warten langweilig gemacht. Seit 1993 als Nummer 62 in der Diskografie mit „The Yellow Shark“ Zappas letztes Album zu Lebzeiten erschien, Aufnahmen mit dem Frankfurter Ensemble Modern, folgten Jahr für Jahr bis zu vier Alben. Die Zeit ist nah, in der die Hälfte des Zappa-Katalogs aus postumen Veröffentlichungen bestehen wird.

Wenn sich darunter auch zahlreiche Live-Mitschnitte und Kompilationen befinden, ist die Art von Musik, die ihn zuletzt beschäftigte, doch hinreichend dokumentiert – insbesondere seine Leidenschaft für das Synclavier, einen polyphonen Synthesizer und Sampler mit Recordingfunktion. Er erlaubte es ihm, komplexe Partituren, für die er zuvor Riesenbands beschäftigen musste, im Alleingang zusammenzubasteln.

Dauerironiker mit Pokerface

Aus dem grellen Satiriker, der Amerika mit den Mothers of Invention 1967 zum „Freak Out!“ aufgefordert hatte, war über wilde Klangcollagen und Jazzreverenzen, die Anfang der 70er Jahre in den Fusionalben „Waka/Jawaka“ und „The Grand Wazoo“ gipfelten, ein ernsthafter Komponist geworden. Auf Meilensteinen wie „Overnite Sensation“ und „One Size Fits All“ pflegte er weiter die Geste des Dauerironikers, am liebsten mit Pokerface, erging sich in den virtuos-sprunghaften Melodiezacken, die sein Markenzeichen wurden, und spielte, unter Verzicht auf den kleinen Finger der linken Hand, erratische Gitarrensoli, die niemand imitieren konnte. Spätestens 1984 war der Varèse- und Strawinsky-Verehrer ein Fall für das Rockpublikum und die zeitgenössische Musik. Am Pariser IRCAM nahm Pierre Boulez mehrere Zappa-Stücke mit seinem Ensemble InterContemporain auf, darunter ein Auftragswerk.

Die Musik von „Dance Me This“ ist leider viel schlechter gealtert als manches, was viel früher entstand. Allein die knalligen E-Drums des Synclaviers situieren die hier versammelten Relikte verschiedener Projekte in einer Epoche, der damit weder vintage sounds noch die Imitation eines echten Schlagzeugs gelang. Dazu kommen weitgehend unerhebliche Kompositionen.

Sehnsucht nach den Originalen kommt auf

Das Titelstück: ein fades Vehikel für die drei Obertonsänger vom sibirischen Volk der Tuva. Vom faszinierten Zappa eingeladen, der sonst im Einmannbetrieb musiziert, waren sie sicher einmal der letzte Kehlkopfschrei. Heute aber, wo diese Technik zwischen Volkshochschule und Selbsterfahrungsgruppe landauf, landab gelehrt wird, bilden sie eine antiquierte Farbe. Die „Pachuco Gavotte“: ein müde schuckelnder Reggae. Oder „Piano“: ein Conlon-Nancarrow-Abklatsch, der Sehnsucht nach den Originalen der „Studies for Player Piano“ aufkommen lässt.

Das 30-minütige Herzstück, die fünfsätzige Suite „Wolf Harbor“ war als Musik für Tänzer konzipiert. Für sich genommen bleibt sie ein sinistres Soundscape: elektronische Perkussionsschauer aus Becken, Gongs und Pauken im Unterwassermodus, Kreischsirenen inmitten von schwerem Glockengeläut und filigranem Glockenspiel, vor sich hinpurzelnde Trommelwirbel. Gehört, verklungen, verweht.

Frank Zappa: Dance Me This (Zappa Records, nur als Import)

Anmerkung der Redaktion: Bei der Online-Aufbereitung des Artikels entstand ein Fehler, der nicht dem Autor anzulasten ist. Die Kommentatoren monieren ihn zurecht; er ist nun korrigiert.

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