„Netzwerk Plurale Ökonomik“: Sie sehen die Krise kommen
Eine ökonomische Tagung in Berlin sieht einen Crash auch als Chance. Dieser Artikel hat unsere Leser heute besonders interessiert.
Ein paar hundert Abweichler haben sich im Weddinger Kulturquartier Silent Green in einem unterirdisch gelegenen Saal versammelt. Der Dresscode ist eher alternativ: Es laufen mehr Männer mit Dutt herum als mit Krawatte. Die meisten haben gute Laune, dabei geht es um ein ernstes Thema. Ein Redner auf der hell erleuchteten Bühne fragt in die vollbesetzten Stuhlreihen, wer glaube, dass ein Crash bevorsteht. Fast alle Hände gehen in die Höhe. Und wann? „2023“, ruft jemand rein, „2038“ ein anderer.
Die Tagung „Der nächste Crash als Chance“ hat das „Netzwerk Plurale Ökonomik“ veranstaltet, eine Gruppe von Fachleuten, die sich gegen den „neoklassischen“ Mainstream der Wirtschaftswissenschaft wendet. Die Abweichler sind mit ein paar Dingen nicht einverstanden: Mit wissenschaftlichen Modellen, die eher einen idealen Zustand beschreiben als die Realität.
Mit der Ansicht, dass die Wirtschaft sich von der Finanzkrise 2008 erholt habe. Damit, dass Billionen Euro in die Märkte gepumpt wurden, um sie künstlich zu befeuern. Und mit dem Aufstieg radikaler Politiker, den sie auf unsoziale, neoliberale Wirtschaftspolitik zurückführen.
Die Redner auf den Podien sind Professorinnen und Professoren, einige Autoren populärer Bücher sind dabei, außerdem Banker und Ministerialbeamtinnen.
Zuerst spricht Helge Peukert, Professor in Siegen und ein Star der Szene. Eins der Probleme sei, dass Politik, Wirtschaft, Zentralbanken und eben auch die Wissenschaft so zusammenarbeiten, dass die „Kapitalisierungsmaschine“ weiterläuft.
Ist ein grüner Kapitalismus wirklich der Ausweg?
Der „Green New Deal“, also der ökologische Umbau der Wirtschaft, sei dabei nur der neueste Investitionsanreiz. Wenn er den Beitrag der Wirtschaftswissenschaft anspreche, dann sei das Nestbeschmutzung, „aber das macht in meinem Fall auch nichts mehr.“ Peukert sitzt im Okönomie-Nest sowieso am Rand. Und dafür feiern sie ihn hier.
Das Netzwerk Plurale Ökonomik hat seine Ursprünge in den frühen nuller Jahren. Zunächst forderten die Gruppen eine „nicht-autistische“ Ökonomie, legten den Namen aber ab, um von Autismus betroffene Menschen nicht zu stigmatisieren. Seit der Finanzkrise ab 2008 fühlt sich das Netzwerk zusätzlich bestätigt. Der ökonomische Mainstream hatte die Krise nicht kommen sehen.
Immer wieder ist zu hören, dass führende Fachleute bis kurz vor dem Zusammenbruch davon ausgingen, dass die Weltwirtschaft aufgrund immer ausgefeilterer Techniken und Theorien keine Crashs mehr zu befürchten habe. Es kam bekanntlich anders.
Keine Rede von Alternativen
Trotzdem hat sich an den ökonomischen Instituten der Unis bis heute wenig geändert, es geht noch immer mehrheitlich neoklassisch zu. Früher, da habe man auch noch an westdeutschen Unis marxistische Vorlesungen gehört, erinnert sich die emeritierte Professorin Brigitte Young. Heute fast undenkbar. „Von Alternativen ist keine Rede mehr.“
Die akademische Ökonomie ist demnach auf eine Denkschule verengt. Aber scheint nicht trotzdem alles gut zu laufen? Die Weltwirtschaft ist in den vergangenen Jahren immerhin jeweils um mehr als drei Prozent gewachsen. Hier beruhigt das niemanden. Im Gegenteil: Es sei bloß auf die vielen Billionen Dollar zurückzuführen, die Zentralbanken seit 2008 in die Märkte pumpten, sagt der Autor Marc Friedrich.
So wäre der wirtschaftliche Aufschwung eine Blase, angetrieben von billigen Krediten, auf die fast keine Zinsen fällig werden. Irgendwann muss jede Blase platzen. Mit seinem Buch „Der größte Crash aller Zeiten“ schaffte Friedrich es auf Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste Sachbuch. Propheten des Untergangs haben natürlich etwas davon, die Gefahr besonders drastisch darzustellen.
Keine Katharsis durch Crash
Die Versammelten sind sich uneins, ob die Krise etwas Positives haben wird. „Ein Crash ist keine Katharsis“, sagt Brigitte Young. Und Hannes Böhm, Doktorand am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, erinnert an ein Studienergebnis: Nach Finanzkrisen profitieren oft rechtsextreme Parteien.
Was wäre zu tun? Natürlich wecken digitale Kryptowährungen viele Hoffnungen unter den alternativen Ökonomen. Die Blockchain-Technologie erlaubt Geldsysteme, die anders als das klassische Zentralbankmodell funktionieren. Die Zentralbanken haben zu viel Macht und sind dabei undemokratisch, finden viele.
Aber ob eine digitale Währung in privaten Händen liegen darf wie Facebooks „Libra“-Projekt, darüber wird ebenfalls gestritten. Bei den Lösungsvorschlägen zeigen sich die vielen Lager der Szene. Günter Grzega von der Münchener Sparda-Bank etwa verteidigt das genossenschaftliche Modell. „Banken sollten keine AG sein“, sagt er. Allerdings haben sich auch Genossenschaftsbanken in der letzten Krise übel verspekuliert.
An der Größe der Banken hänge es, sagt wiederum Gerhard Schick, grüner Finanzmarktexperte. Man müsse nur nach Kanada schauen, da seien die Banken nicht zu immer größeren Unternehmen fusioniert. Dort gab es auch keine Bankenkrise. Es gibt also reichlich Dissens in der Halle unter der Erde. So wie es sich eine plurale Tagung nur wünschen kann.
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