Frank-Zappa-Festival: Stunde der Zappatrioten
Es ist ein Relikt des Widerstands: Seit 20 Jahren lebt die Musik von Frank Zappa für ein Wochenende in Bad Doberan auf. Warum nur?
Wenn ein Träumer erwacht und immer noch die Musik hört, die ihm in seinem Traum begegnet ist, kann irgendwas nicht stimmen. Er ist aus der Wirklichkeit gefallen. Er hat ein Problem.
Aber das fällt Wolfhard Kutz nicht auf. Er war ein Träumer, und die Musik ist jetzt viel lauter als in seinem Traum. Um ihn herum zucken Körper, wirbeln Haare. Gitarrenriffs rollen über die norddeutsche Heide. Und 2000 anderen Menschen scheint es genauso zu gehen wie ihm. Sie sind aufgewacht, aber die Musik ihrer Fantasie spielt weiter. Es ist die Musik Frank Zappas, die auf der Galopprennbahn im mecklenburgischen Bad Doberan von der Bühne schallt. Gespielt wird sie von Coverbands und ehemaligen Wegbegleitern des amerikanischen Rock-Avantgardisten und Kopfs der Mothers of Invention. Seit 20 Jahren treffen sich die Übriggebliebenen der Gegenkultur für ein Wochenende auf der Zappanale an der Ostsee, auf dem weltweit einzigen Festival, das ausschließlich dem umfangreichen Werk des 1993 verstorbenen Musikers gewidmet ist.
Zwischendrin ein Mann, der aussieht, als sei er hier aus Versehen hineingeraten, unten an der Landstraße zu früh abgebogen, eine Ausfahrt vor Heiligendamm. „Die Zappanale ist mein Lebenswerk“, sagt Wolfhard Kutz. Und in seiner Stimme schwingt neben einer klaren norddeutschen Färbung auch der Stolz eines Mannes mit, der sich selbst zu einem Teil des Zappa-Universums gemacht hat mit einem Festival, das für seinen Gründer Kutz immer mehr war als nur Musik. Doch nach Ansicht von Zappas Witwe dürfte es das nicht mehr geben. Für sie verstümmelt die Zappanale das Erbe ihres Mannes durch eine geradezu amateurhafte Interpretation seiner Musik. Sie klagte Markenrechte ein. Es sollte nicht mehr mit dem weltberühmten Zappa- Bart, dem Symbol des Festivals, geworben werden, und die Zappanale nicht mehr Zappanale heißen. Zudem wollte Gail Zappa bestimmen, welche Bands die Musik ihres Mannes spielen dürfen.
Nach eineinhalb Jahren wurde die Klage im Januar 2009 vor dem Düsseldorfer Landgericht abgewiesen. Trotzdem hat das Vorgehen der Witwe Kutz tief verletzt. „Gail Zappa schaut nur aufs Geld“, sagt er. „Aber wir schlachten das Erbe Zappas nicht aus. Das ist kein Kommerz. Ich muss hier aufpassen, dass ich bei der Zappanale nicht noch Geld verliere.“ Und man spürt, wie sich Verwunderung und Unverständnis mischen. Darüber, dass ihn ausgerechnet die Familie des Mannes, der für ihn immer ein Symbol von Freiheit war, in seiner eigenen beschneiden wollte. Als habe er Bevormundung und Unfreiheit nicht schon immer abschütteln müssen.
Wolfhard Kutz ist in Bad Doberan aufgewachsen, auf dem Gebiet des ehemaligen Sozialismus, wie er es nennt. Und Frank Zappa war immer irgendwie da, seit er im Frühjahr 1972 dessen Musik das erste Mal hörte, bei einem Freund in Rostock. Kutz ist damals 17, das Album „Burnt Weenie Sandwich“ ein paar Jahre vorher bereits erschienen. Aber es brauchte seine Zeit, um in die DDR zu gelangen. Er hört Lieder wie „Aybe Sea“, oder die fast zwanzigminütige Klangkollage „The Little House I Used To Live In“. Kutz taucht ein in ein Universum schriller Dissonanzen, verwinkelter Melodien, und findet nie wieder richtig zurück. Kutz reist aus.
Ins Zappa-Land, zu dem die Stasi keinen Zugang hat. „Die konnten mit Zappa nichts anfangen. Wir hatten ihn für uns allein“, sagt er langsam, als müsste er die Worte einzeln aus dem Mund ziehen. Vielleicht spricht man so, wenn man jahrelang ungebetene Zuhörer hatte. Seine Eltern waren beide beim Mielke-Ministerium, der Vater Offizier. Der wollte Linientreue auch von seinem Sohn. „Ich sollte drei Jahre zur Armee, kurze Haare tragen. Das war schon Grund genug für mich, da nicht mehr mitzumachen“, sagt Kutz, der auf alten Fotos von damals lange schwarze Haare trägt. Ein Tramper. Mit der Gitarre in der Hand. Kutz und die DDR, das passte nicht zusammen. Zappa war deshalb eben auch Ausdruck einer Selbstbestimmung. „Wir wollten es anders machen als unsere Eltern, und Zappa machte fast alles anders als alle anderen“, sagt er.
Als seine Eltern 1973 nach Rostock ziehen, bleibt Kutz deshalb alleine in Bad Doberan zurück. Er bricht mit seiner Familie, wird seinen Vater erst nach der Wende wiedersehen, einen Menschen treffen, der zusammen mit dem System, an das er geglaubt hat, kollabiert ist. Kutz zieht in eine Einzimmerwohnung.
Zur selben Zeit zelebriert Zappa gemeinsam mit seinen Mothers of Invention den Angriff auf die amerikanische Gesellschaft. Mit obszönen Kreischtönen, wirren Geräuschfantasien und zunehmend absurderen Bildern von Zwergen und wandernden Bergen. Aber in der DDR wird seine Musik nicht als Angriff auf die Konsumkultur verstanden wie im Westen. An ihm studieren Kutz und seine Freunde, wie Protest aussehen könnte, „ohne ins Gefängnis zu wandern“. Zappa verbrennt keine Flaggen, er zündelt mit Worten.
Allerdings ist es in der DDR unmöglich, an die Musik Frank Zappas zu kommen. Offiziell gibt es sie gar nicht. Für Kutz beginnt deshalb eine Zeit wie aus dem Drehbuch eines innerdeutschen Grenzkrimis. Er beginnt, seine eigene Plattensammlung und einen gut funktionierenden Tauschring aufzubauen. Er verabredet sich mit Leuten aus West-Berlin auf der Transitstrecke. Als Treffpunkte dienen einsame Rastplätze in der Dämmerung. Dort erhält Kutz seine Ware, die Schallplatten, oft mehrere Dutzend, die er in den Türen seines alten Lada versteckt. So entsteht „ein Netzwerk aus Gleichgesinnten“, sagt Kutz. Sie organisieren geheime Jamsessions im Keller, versuchen, die hochkomplexen Stücke ihres Vorbilds nachzuspielen. Auch werden Fernsehgeräte aufgestellt, auf denen Videos von Auftritten Zappas laufen. Es wird getrunken, nicht selten greift Kutz selbst zur Gitarre. Das Leben rauscht.
Doch sie sind nicht unter sich. Nicht nur einmal beendet die Polizei kleinere Zusammenkünfte bei ihm zu Hause. Kutz fühlt sich verfolgt und überwacht. Auf dem Flohmarkt werden ihm Schallplatten abgenommen. Angst hat er nicht. „Nur wegen der Musik konnten sie mich nicht einsperren.“ Er bekommt einen Brief, offensichtlich in Bürokratendeutsch abgefasst, in dem man ihm einen Plattendeal vorschlägt. Er fällt nicht darauf herein.
Die Überwachung durch die Stasi überrascht ihn nicht. „Wenn der Vater bei dem Verein ist, und der Sohn geht in eine andere Richtung, dann werden natürlich Akten angelegt.“ 1994 werden ihm auf seinen Antrag hin drei dicke Ordner ausgehändigt, und er liest dort, was er jahrelang geahnt hat. „Auf mich waren 21 Inoffizielle Mitarbeiter angesetzt, und es hieß dort, dass ich die Musik Frank Zappas verbreite und die Jugend beeinflusse.“ Besonders Letzteres scheint ihn zu amüsieren. Die Jugend, das waren die anderen, die Rockfans. „Auf den Puhdys-Zug wäre ich nie aufgesprungen“, sagt Kutz.
Je stärker ihn das Regime beschränkt, desto tiefer versinkt er im Zappa-Universum. Die DDR ist der Katalysator seiner Passion für die satirische Übertreibung und die Anarchie in der List. Doch er bewegt sich im Vakuum einer simulierten Freiheit, während um ihn herum das System zu bröckeln beginnt. Die Musik spielt in seinem Kopf. Dann fällt die Mauer, und die Schläfer erwachen. Plötzlich ist Zappa nicht mehr nötig, und aus der inneren Rebellion wird eine Party.
So beginnt die Geschichte der Zappanale. 1990, zwei Tage vor der Währungsunion, wollen Kutz und andere Zappa-Anhänger einfach feiern, die Musik, die sie so lange nur gedämpft im Keller hören konnten, so laut und so lange spielen, wie sie wollen. Fünfzig Leute tanzen vor einem Lkw, in einer Klosterruine in der Nähe seines Heimatortes.
Die Idee eines Festivals gibt es da noch nicht. Doch schnell ist klar: „Das müssen wir eigentlich wiederholen.“ Und genau das machen sie. Erst in Stralsund, dann wieder in Bad Doberan auf der Galopprennbahn. Dort ist mehr Platz, für mehr Publikum. Seither ist die Zappanale stetig gewachsen, klein ist sie trotzdem geblieben. Aus Bad Doberan wurde Zappa- Town. 2002 wurde eine Büste des Rockstars aus Bronze im Stadtzentrum aufgestellt. Auch diesmal versammeln sich wieder seine Jünger an der Figur, um Blumen niederzulegen und sich mit dem Konterfei Zappas fotografieren zu lassen, eine brennende Zigarette zwischen den Lippen aus Edelmetall. Es ist die Verehrung eines Götzen, der selbst keiner sein wollte.
„Der Komponist der Gegenwart weigert sich zu sterben.“ Das war ein Lieblingssatz Zappas, mit dem er schon zu Lebzeiten das Dilemma zu bewältigen versuchte, in einer Welt des oberflächlichen Pop ernsthafte Musik zu machen. Heute, 17 Jahre nach seinem Krebstod, ist er in den USA vergessen und die Zappanale ein Kuriosum. Dort, neben einem der Bauwagen, in denen die Bandmitglieder schlafen, hängt eine DDR-Flagge schlaff an ihrem Mast. Einer der Künstler auf dem Weg zur Bühne bleibt kurz stehen, hebt die Hand zum sozialistischen Gruß. Auch das muss sein. Ist ja schließlich Zappanale. Freaks und Anarchie.
Wolfhard Kutz läuft derweil wie ein Lokalpolitiker, der Bürgermeister von Zappa-Town, durch die Menge. Männer tragen den Zappa-Bart, die Haare sind grau geworden. Dazu Hendrix-Westen, zerrissene Jeansjacken. „Danke, für all das“, sagt eine Südamerikanerin und umarmt Kutz. Der lächelt, schweigt. Er begrüßt die fliegenden Händler, die Zappa- Biografien, Zappa-Alben und natürlich T-Shirts verkaufen. Noch mehr Umarmungen. Hände werden geschüttelt, er befreit sich, muss jetzt los. Auf die Bühne. Es ist seine Party. Der Traum geht weiter.
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