Literaturnobelpreis 2020: Schwedische Ruhe
Herrscht in der Schwedischen Akademie die Ruhe vor dem Sturm? Oder ist alles wieder im Lot? Am 8. Oktober wird der Literaturnobelpreis 2020 vergeben.
Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass Peter Handke und Olga Tokarczuk am Abend eines kalten, zuvor strahlend schönen Wintertags in Stockholm ihre Literaturnobelpreisurkunden überreicht bekamen. Vor dem Konzerthaus der schwedischen Hauptstadt standen drei Frauen von der Gesellschaft für bedrohte Völker, um gegen den Preis für Handke zu demonstrieren, und ein paar Blöcke weiter gab es nach der Verleihung eine weitere Demonstration gegen Handke.
Die Literaturnobelpreisverleihung des Jahres 2019 war eine der aufwühlendsten, umstrittensten seit langem, und das lag nicht nur an der monatelang kontrovers diskutierten Auszeichnung für Handke, sondern auch an der wirklich schlechten Verfassung, in der sich die Schwedische Akademie befand, das Gremium, das den Literaturnobelpreis vergibt.
War da nicht was? Das fragt man sich dieser Tage, da die diesjährige Literaturnobelpreisvergabe am 8. Oktober keine drei Wochen mehr entfernt ist und die Schwedische Akademie nach den Turbulenzen in den Jahren 2018 und 2019 ein Hort der Ruhe und Einkehr zu sein scheint. Ob das an den Neuerungen liegt, die das Komitee sich nicht ganz freiwillig gegeben hat, um die Preisverleihungen 2019 und 2020 durchzuführen?
Die Vergabe-Komitees: 8 von 10 Mitgliedern, 16 von 18
Nach den vielen Skandalen, den Streitereien innerhalb der Akademie und zahlreichen Austritten, die zu der Arbeits- und Beschlussunfähigkeit des Gremiums führten, war Ende 2018 entschieden worden, dass fünf Mitglieder aus dem eigentlich 18-köpfigen Gremium und fünf externe Literaturkennerinnen und -kenner hauptverantwortlich die Literaturnobelpreise auswählen und der Akademie dann eine Shortlist präsentieren.
So wurde es 2019 gehandhabt, und so ist zum Beispiel die Literaturkritikerin Rebecka Kärde, die in Berlin studiert, auch dieses Jahr als externes Mitglied an der Wahl mitbeteiligt – anders als der Schriftsteller Kristoffer Leandoer, der kurz vor der Verleihung an Handke und Tokarczuk aus dem neugegründeten Komitee wieder ausschied.
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Im Mai dieses Jahres verstarb zudem die Dichterin und Dramatikerin Kristina Lugn, die einen Sitz in der Schwedischen Akademie hatte und dann auch zu den fünf internen Mitgliedern des zehnköpfigen Vergabegremimus gehörte. Bleiben also nur noch acht, die 2020 auswählen, ausgewählt haben, und die entscheidenden Vorschläge machen. Gehört hat man darüber nichts mehr, so wie überhaupt von der Akademie.
Das mag natürlich auch daran liegen, dass die Welt im Moment andere Sorgen hat. Erst recht Schweden, das einen viel diskutierten Sonderweg während der Pandemie eingeschlagen hat. Doch wie geht es im kommenden Jahr weiter, wenn die Externen ihre Arbeit getan haben? Genau so?
Wird die Akademie sich 2021 eine neue Satzung geben?
Oder wird das 18-köpfige Gremium mit seinen vielen neuen Mitgliedern (nach dem Tod von Lugn und dem des Sprachwissenschaftlers Göran Malmqvist, der im Oktober 2019 verstarb, sind übrigens immer noch zwei Sitze vakant), dann wieder ganz allein den Literaturnobelpreis bestimmen? Und wird es neue Debatten wegen der Struktur der Akademie und ihrer Allmacht geben?
Die Strahlkraft des Preises, so wirkt es, ist nach den Turbulenzen und trotz aller Prophezeiungen nicht unbedingt schwächer geworden. Gerade Olga Tokarczuk hat sehr von ihrer Auszeichnung profitiert – und sie versteht es, dieser Gehalt zu geben, wie man beispielsweise beim Internationalen Literaturfestival in Berlin erfahren konnte.
Nicht anders ist das bei der weißrussischen Autorin Svetlana Alexijewitsch, der 2015 der Literaturnobelpreis verliehen wurde und die inzwischen zu einer Symbolfigur des Kampfes gegen den Präsidenten ihres Heimatlandes geworden ist. So wird es am zweiten Donnerstag im Oktober (dieses Mal vor der Buchmesse, die nicht stattfindet) wieder die klassische Verkündigung geben. Wenn es dann ein Autor wie David Grossman wird, was ja mal angezeigt wäre, eine Autorin wie Marilynne Robinson oder eine Lyrikerin wie Anne Carson, dürfte es vorerst weiter ruhig bleiben in Stockholm.