Das Phänomen Populismus: Schwarmintelligenz, Schwarmdummheit
Die Politik will auf die Bürger zugehen, aber da gibt es auch Grenzen. Es gibt „Sorgen“, die in Wahrheit reine Ressentiments sind, Ausdruck von aggressivem Rassismus.
„Fair is foul and foul is fair.“ Es hätte exakt der Leitspruch der Trump-Kampagne im US-Wahlkampf sein können. Tatsächlich rufen das drei Hexen als Motto gleich zu Beginn von Shakespeares „Macbeth“, bevor sie den Sieger der Schlacht und Titelhelden als künftigen Usurpator begrüßen. Dessen Regentschaft wird dann recht böse, und mit ihm nimmt’s auch kein gutes Ende.
Was Donald Trump angeht, sind wir noch längst nicht so weit. Aber fair is foul and foul is fair, diese Revolution der Werte und Erwartungen trifft aufs erste knallhart zu.
Also folgert die AfD-Chefin Frauke Petry schon mit frischer Genugtuung: „Die Political Correctness“ ist am Ende.“ Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble meint in der „Bild“-Zeitung: „Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas.“ Keine ganz neue Einsicht. Schäuble freilich zielt auch auf Stimmen und Stimmungen im Internet und die dortige Umwertung: „Es ist völlig egal, ob Behauptungen wahr sind – Hauptsache, der Grad der Empörung stimmt.“
Die Selbstkritik hat begonnen
Hier ist der Minister bei der jüngsten Diskussion über den Sog oder gar Sieg des „Postfaktischen“. Doch sind Kater und Katzenjammer der von Trumps Triumph Überrumpelten schon weiter. Die Selbstkritik hat begonnen: Warum waren „wir“ alle so blind?
Der amerikanische Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt aus Harvard bekennt in der „Süddeutschen „Zeitung“, er lebe als Ostküsten-Intellektueller „in einer Welt aus gebildeten, wohlhabenden, progressiven Menschen, genau jener Klasse also, die den Sirenengesängen des Rassismus und des Ressentiments am ehesten widersteht“. Und: „Ich lebe also in einer Blase, fast vollständig abgeschottet von den Emotionen der amerikanischen Wähler – nicht der Mehrheit, aber etwas der Hälfte –, die einen ignoranten, pöbelnden, lauten, demagogischen Immobilien-Investor und TV-Moderator als ihren Anführer wollten.“ An diese Menschen habe er, ähnlich wie Shakespeares King Lear an sein Volk, nicht gedacht – und nach der Wahl richte er seinen Vorwurf „nicht gegen meine tragisch irregeleiteten Landsleute, sondern gegen mich selbst“.
Wenn wir nicht wollen, dass wir russische oder türkische Verhältnisse bekommen, dann müssen wir aus unserer Komfortzone raus und unsere Privilegien wieder teilen und damit aufhören, unsere Unterschicht - die wir selbst zu verantworten haben - zu verhöhnen und sie nicht länger mehr als bloße Vollidioten deklassieren
schreibt NutzerIn cuibono
Man möchte einen neuen Ton. Nur welchen?
Da kommt einem die kaum verklungene Debatte nach der Friedenspreis-Rede von Caroline Emcke im Oktober in der Frankfurter Paulskirche in den Sinn. Der Preisträgerin wurde vorgeworfen, sie habe bei ihrer gegen die Diskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten gerichteten Ansprache die weniger aufgeklärten, für populistische Parolen anfälligen Bürger des Landes ihrerseits ausgegrenzt: also im wohlfeilen, politisch korrekten Mainstream selber eine Form der Diskriminierung betrieben. Diese Kritik an Emcke hat freilich auch etwas Gedrechseltes, etwas Originalitätssüchtiges: Man möchte, obwohl in der Sache eigentlich mit Emcke übereinstimmend und dem nämlichen Juste Milieu liberaler Intellektueller angehörend, doch mal einen neuen Ton einfordern. Nur welchen?
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war einige Zeit zuvor das Krakeelen rechter Fremdenfeinde schon mal so an die Galle gegangen, dass er den Pöbel Pack genannt hat. Zwar meint Pöbel schon im Wortstamm den „populus“, also das (gemeine) Volk, doch der Begriff klingt abwertend, und „Pack“, das war, weil es immerhin um Teile des Wahlvolks (oder schlicht: Menschen) geht, aus so hohem Politikermund ein Schimpf. Von oben herab. Worauf freilich jene Leute, die sonst gerne „Wir sind das Volk!“ schreien, mit fast plebejischem Stolz zurückriefen: „Wir sind das Pack.“ Dem selbstbewussten Populisten Trump hätte diese Reaktion vermutlich gefallen. Er ist ja auch der Anführer einer Art von neuem politischen „rat pack“.
Die Würde von Clintons Anspruch bleibt
Für das nun so gescholtene Establishment – Politiker, Journalisten, Intellektuelle – bedeutet die Auseinandersetzung mit dem auf Plätzen, im Netz und in den Parlamenten immer frecheren „Pack“ eine doppelte Herausforderung. Denn es stellt sich nicht nur die Frage, wie der Dialog mit Parolenpredigern und ihren Gläubigen möglich ist; wie Aufklärung ins Gespräch mit erklärter Gegenaufklärung, wie Vernunft in Kontakt mit Irrationalität gerät. Die politische Vernunft muss sich, spätestens seit der krachenden Niederlage der US-Demokraten auch der Selbstkritik und Selbstreflexion (siehe Greenblatt) öffnen. Und wie kann man dabei die gegenüber den vermeintlich Dümmeren, weniger gut Informierten, unterkomplex Denkenden die Attitüde der Verachtung und Überheblichkeit vermeiden?
Hierauf gibt es keine patentierbare Antwort, weil jede kommunikative Situation eine spezifische Haltung erfordert. Trotzdem darf die Auseinandersetzung mit dem rechten Populismus in Amerika und Europa nicht die Standards und Werte der Aufklärung, der Demokratie und Verteidigung von universellen Menschenrechten senken. Michelle Obama, die viel bessere, authentischere Wahlkämpferin als Hillary Clinton, hatte mir ihrem Satz „When they go low, we go high“ moralisch, politisch allemal recht. Die Würde ihres Anspruchs bleibt, auch im Moment der Niederlage.
Eine neue Political Correctness
Eine neue Political Correctness spricht nun immerzu von den „Sorgen“ der Bürger, die von der Politik „endlich“ thematisiert werden müsse. Solche Sorgen gibt es tatsächlich: etwa in Fragen der Rentensicherheit und (künftiger) Altersarmut. Das sind nicht nur Abstiegsängste des Mittelstandes. Auch der von Clinton übersehene Rust Belt existiert. Selbst in Deutschland, wo er Teile Nordrhein-Westfalens und der östlichen Bundesländer durchzieht. Aber: Es gibt auch die Phantomschmerzen derjenigen, die von der „Flüchtlingswelle“, der „Überfremdung“ und „Islamisierung“ in Gebieten reden, wo kaum Flüchtlinge, Ausländer, Migranten leben.
Es gibt „Sorgen“, die in Wahrheit reine Ressentiments sind, Ausdruck von aggressivem Rassismus. Von einem neuen Faschismus zudem, der nach neuen starken Führern verlangt: à la Trump, Orban, Erdogan, Putin. Manche sind am Ende übrigens nicht so stark und erweisen sich als Bluff. Berlusconi zum Beispiel, ein Milliardär und Antipolitiker, der sein Land wie Trump ganz groß und anders zu machen versprochen hatte.
Die um neue Volksnähe bemühte Politik, so bei den Berliner Koalitionsverhandlungen von Rot-Rot- Grün, will nun auf mehr direkte Demokratie im Sinne von „Volksbegehren“ setzen. Hierzu bloß eine Anmerkung: Es gibt die Schwarmintelligenz. Aber auch die Schwarmdummheit. Man lese dazu vielleicht mal wieder ein Buch wie Canettis „Masse und Macht“, das übrigens mit dem Satz beginnt: „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“
Appell an den Common Sense
Wo indes bleibt da der Bürger? Nach 1945 und vor dem neuen nationalistischen Populismus, der eine vielfältige Bevölkerung wieder zum vermeintlich homogenen („völkischen“) Volk machen möchte, war das übersichtlicher. Es gab den Gegensatz zwischen Spießbürger und Bildungsbürger, Klein- und Großbürger, privatbesitzständigem Bourgeois und öffentlich engagiertem Citoyen. Jetzt haben wir Wutbürger und selbst ernannte „Reichsbürger“, derweil Wahlkämpfe zu Wahl-Kämpfen werden, zum heißkalten Bürger-Krieg.
In dieser Gemengelage appelliert Hans Magnus Enzensberger gerade in einem neuen Buchbeitrag zu Regina Schmekens NSU-Tatort-Fotos an den guten alten „Common Sense“. Der meint ja nicht nur den gesunden Menschenverstand, sondern den Gemeinsinn. Ohne ihn kann eine Gesellschaft, die eine der Bürger, die eine Zivilgesellschaft sein will, nicht auskommen, will sie keine Hohlform werden. Gemeinsinn: statt populistischer Zwietracht.