Heidenau und "das Pack": Gegen die Brandstifter, für die Bürger
Weg mit dem "Pack"? Warum es der Politik angesichts massiver Proteste gegen Flüchtlinge so schwer fällt, die richtige Sprache zu finden. Ein Kommentar.
Jetzt rufen sie „Wir sind das Pack!“ Als die Bundeskanzlerin am Mittwoch das Flüchtlingslager im sächsischen Heidenau besucht, da schallt Angela Merkel das Echo auf die vorangegangene Visite ihres Vizekanzlers entgegen. Es ist, in jeder Hinsicht, eine neue Stufe der öffentlichen Rhetorik.
Sigmar Gabriel bezeichnet die Hetzer von Heidenau als "Pack"
Sigmar Gabriel war angesichts der fremdenfeindlichen Randalen in Heidenau wohl nicht einfach nur der Kragen geplatzt. Eher wohlbedacht nannte er die gewaltbereiten Hetzer und Hasser „Pack“. Seitdem brennen wieder geplante Flüchtlingsunterkünfte, glüht das Netz, und die Berliner SPD-Zentrale musste kurzfristig gar wegen einer Bombendrohung geräumt werden.
„Pack“ zu sagen, gehört sich das für einen Volksvertreter gegenüber Teilen des Volks? Auch der Bundespräsident nennt das Erschreckende „widerlich“ und spricht von einem nicht braunen, aber „dunklen“ Deutschland, während die Kanzlerin sorgsam, eher leisetreterisch, wie es ihre Art ist, die Worte „beschämend und abstoßend“ gebraucht. Ohne die Verantwortlichen direkt zu adressieren. Merkel bleibt politisch korrekt.
Das Problem ist nur: Die andere Seite der Straße hat für derlei zivilen Umgang in der Politik nur noch Hohnlachen übrig. Schon die Rufe „Wir sind das Volk“, mit denen die Pegida-Bewegung und ihr sich radikalisierendes Umfeld den demokratischen Slogan der DDR-Bürgerrechtsbewegung usurpierte, entsprangen einer Mischung aus Polemik und Demagogie. Sich den „Pack“-Vorwurf wie eine Auszeichnung selber anzuheften, zeigt dagegen schon einen zynischen Stolz. Hier äußern sich nicht mehr nur besorgte Bürger, sondern die Sympathisanten von Brandstiftern und, ja, was? Was, wenn es die ersten Toten gibt? Dann feiert der eben noch vor Gericht gestellte „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) seine fanatische Selbsterhebung.
Angela Merkel äußert sich eher leisetreterisch zu Heidenau
Das reiche, im Kern demokratisch gefestigte Deutschland wird in diesen Tagen erschüttert, wie seit dem bundesrepublikanischen „deutschen“ Herbst der RAF nicht mehr. Dabei werden der Rechtsstaat und sein Gewaltmonopol von einem sich auf einen „völkischen“ Volkswillen berufenden Extremismus offen infrage gestellt. Und die Mobführer sagen, wir sind das Pack, also packt euch weg: ihr Politiker, ihr Lügenpressevertreter, ihr Fremden sowieso!
Die Bundeskanzlerin moderiert alles weg. Sie löst keine Probleme, sondern verstetigt sie nur. Grundsätzliche Reden setzen Überzeugungen und Visionen voraus, nicht nur Reaktionen auf aktuelle Meinungsumfragen.
schreibt NutzerIn daemmi
Am Dienstagabend, als das ZDF-„Heute-Journal“ unter anderem über den Brandanschlag in Nauen berichtete, sagte eine blonde junge Frau, eine Passantin, keine Demonstrantin, ganz offen in die Kameras: Mir ist das egal, wenn Sie mich Nazi nennen, aber ich will keine Ausländer hier, die dann unsere Kinder vergewaltigen!
Solche Sprüche hören Reporter an den Brennpunkten des Streits um Flüchtlinge und Asyl inzwischen alltäglich. Vor kurzer Zeit noch wären derartige Äußerungen als naiv, bildungsfern, wenn nicht gar wahnhaft abgetan worden. Nun aber wird das mit einem Brustton des Rechthabens vorgetragen. Eine Erinnerung daran, dass beispielsweise die Mär von den Juden, die christliche Kinder schänden und schlachten, zu den finstersten antisemitischen Fantasien gehört hat, sie würde im Milieu dieser neuen, kleinbürgerlichen Rechten wohl nur mit einem Achselzucken quittiert werden. Wenn nicht: mit einem Grinsen. Wie aber reagiert hier die Politik?
Sollten Politiker in der Flüchtlingsfrage reden wie Luther - oder eher wie Brandt?
Zum Arsenal der Aufklärung gehört allemal der Glaube an die Macht der Sprache. An die Wirkung der öffentlichen Rede. Willy Brandt hatte in der parlamentarischen und wahlkämpferischen Auseinandersetzung um die sozialliberale Ostpolitik einst bewiesen, dass Worte tatsächlich eine tief gespaltene, polemisch polarisierte Bevölkerung nach und nach zur Anerkennung von ungeliebten, zuvor kaum begriffenen Realitäten bewegen konnte. Ebenso Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 8. Mai 1985.
Ob zu Griechenland, ob Zustand und Zukunft der Europäischen Union, ob jetzt die für gewöhnliche Gemüter tatsächlich nicht einfach zu begreifende Flüchtlingsflut: Zu keinem der heute (be)drängenden Probleme hat sich einer der wesentlichen deutschen Politiker bisher in einer den Horizont des Tages übergreifenden und damit auch ergreifenden Rede geäußert. Es gibt ja nicht nur den viel beschworenen, viel befürchteten „Extremismus der Mitte“, es gibt, wie in allen anderen europäischen Ländern, derzeit eine tiefere Verunsicherung des eigentlich staatstragenden Bürgertums.
Der große Publizist Ludwig Börne hatte vor knapp 200 Jahren in Frankfurt am Main das kulturpolitische Monatsblatt „Die Waage“ gegründet. Als „Zeitschriftsteller“ habe der Journalist die Aufgabe, dem Leser den „Meinungskampf über Angelegenheit des bürgerlichen Lebens“ zu erhellen. Waschechte Rassisten, kriminelle Brandstifter und Terroristen sind mit der bürgerlichen Tugend der abwägenden Aufklärung gewiss schwer zu erreichen. Aber nicht alles Pack ist gleich Pack und bleibt es unwiderruflich. Aufklärerische Politik kann da in der Tradition Luthers auch mal derb reden. Wie Gabriel. Aber die Brandt-Rede fehlt – gegen die Brandstifter, für die Bürger.