Tatorte der NSU-Morde: Topografie des Todes
Der Inbegriff für das sogenannte Dunkeldeutschland. Regina Schmeken dokumentiert die Tatorte der NSU-Morde – eine Foto-Ausstellung in Dresden.
Was erzählt das Foto einer Teerfläche oder eines Stücks Asphalt, nass, mit einer Lache, in der sich neben einem Kanaldeckel die Krone eines Laubbaums und ein bewölkter Himmel spiegeln? Die Aufnahme der in Berlin lebenden Fotografin Regina Schmeken zeigt einen Parkplatz der Liegnitzer Straße am Rand von Nürnberg. Weil die Fotografie wie alle Bilder von Schmeken schwarz-weiß ist, kann man bei der Feuchtigkeit auf dem Boden Wasser vermuten. Oder eine Öllache assoziieren. Oder Blut.
An der Stelle, an die Regina Schmeken im Sommer 2015, nach einer ersten Recherche schon 2013, mit ihrer Kamera gereist ist, wurde genau 15 Jahre zuvor ein deutsch-türkischer Blumenhändler erschossen. Jetzt fahren hier Autos vorbei oder wollen einparken. Im Hintergrund, wohl ein Zufall, wartet menschenleer ein kleiner, fliegender Verkaufsstand. Für Blumen.
Wenn es einen Inbegriff für das sogenannte neue Dunkeldeutschland geben soll, dann ist es der „Nationalsozialistische Untergrund“, abgekürzt NSU.
Ein brauner, blutiger Morast
Dunkeldeutschland klingt, bei Lichte betrachtet, etwas pathetisch, aber jener NSU wirkt ausgeschrieben nachgerade dämonisch. Vor genau fünf Jahren sind Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im thüringischen Eisenach kurz nach einem letzten Banküberfall in ihrem brennenden Wohnmobil zu Tode gekommen, kurz darauf gab es eine Explosion in der von beiden mit Beate Zschäpe geteilten Wohnung im sächsischen Zwickau. Das war der Feuerschein, der im November 2011 plötzlich in einen Abgrund leuchtete und den Begriff NSU ins öffentliche Bewusstsein hob.
Seit den drei aus dem rechtsradikalen Milieu erwachsenen Ostdeutschen insgesamt zehn Morde und dazu zahllose Raubüberfälle sowie mindestens ein Sprengstoffanschlag angelastet werden, ist aus einem Trio vermeintlicher Kleinkrimineller eine „Terrorzelle“ geworden – und aus ihrem selbsternannten „Untergrund“ ein brauner, blutiger Morast. Politisch erscheint er nur als unappetitliche Randerscheinung, selbst im Vergleich zur immerhin legalen AfD oder Pegida. Doch bei all den in diversen Untersuchungsausschüssen und auch im laufenden Münchner Strafprozess gegen Beate Zschäpe erst teilaufgedeckten Ermittlungspannen weiß man noch immer nicht genau, welche Spuren und Verbindungen es hier geben mag: bis hin zur Polizei, dem Verfassungsschutz und in die gesamtdeutsche rechte Szene. Der ideologische Untergrund jedenfalls taucht da immer mehr auf an einer trüben Oberfläche.
Öffentliche Schmähung statt Solidarität mit den Opfern
Terror, der Begriff schien in der Bundesrepublik lange nur für die extreme Linke reserviert. Auch dort gab es pathetische Selbstetikettierungen mit drei Buchstaben als Abkürzungen. Wie die „Rote Armee Fraktion“ alias RAF. Aber trotz aller Schrecken, Stichwort Deutschland im Herbst, konnte bei der RAF von keiner Armee die Rede sein. Doch eine extremistische Fraktion waren die Baader-Meinhofs immerhin. Am anderen Ende der ideologischen Skala lässt sich so auch der NSU, weil nazihaft und sumpfig, beim eigenen Wort nehmen.
Dramatisch, ja für die Angehörigen der Opfer dämonisch, weil in ihren Augen geradezu teuflisch zynisch war und ist dabei der Skandal, für den die NSU-Terroristen selbst ohne eigene Intention gesorgt haben. Seit der Blumenhändler Enver Eimeek am 9. September 2000 an der Liegnitzer Straße in Nürnberg erschossen wurde, gab es bis zum 6. April 2006, an dem der NSU den Internetcafébesitzer Halit Yozgat in Kassel ermordete, acht ursprünglich aus der Türkei und ein aus Griechenland stammendes Opfer. Von den Ermittlungsbehörden wie von einzelnen Medien unterstützt, war hierauf bis zum November vor fünf Jahren von den „Döner-Morden“ oder einer „Bosporus“-Connection die Rede. Suggestiv wurde so das Umfeld der Toten für die Taten gleichsam mitverantwortlich gemacht. Statt Trost und Solidarität erfuhren die trauernden Migranten vonseiten der Mehrheitsgesellschaft noch eine Art öffentlicher Schmähung.
Regina Schmeken war an allen Tatorten
Zehntes Todesopfer war dann am 25. April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter, deren entwendete Dienstwaffe 2011 im Wohnmobil des NSU-Trios aufgefunden wurde. Eine deutsche Polizistin, sie passte hier nicht ins Bild, das auch nach der Entdeckung der beiden (toten) Mörder und im andauernden Zschäpe-Prozess mysteriös erscheint. Einerseits gilt die Ermordete als Zufallsopfer von Böhnhardt und Mundlos, andererseits sollen nicht zum ersten Mal hier wieder Verfassungsschutzagenten nahe am Tatort gewesen sein.
Am Ort, an allen zehn Orten war auch Regina Schmeken. Nicht als Kameraauge einer verspäteten Spurensicherung, nur als aufmerksame Hüterin der Erinnerung. Ihr fotografisches Gedächtnis gilt den Opfern, nicht einer symbolischen Überführung der Täter. Ab dem heutigen Freitag, dem fünften Jahrestag der Entdeckung des NSU-Terrors, zeigt nun das von Daniel Libeskind architektonisch neugestaltete Militärhistorische Museum Dresden in seinem Entrée 36 großformatige, als zwölf Triptychen angeordnete Fotografien der 1955 geborenen Regina Schmeken unter dem Titel „Blutiger Boden. Die Tatorte der NSU“. Als Topografie des neuen Terrors sind alle zehn Mordorte sowie die Plätze zweier Anschläge mit etlichen Verletzten bedacht.
Das letzte Foto führt in die Gegenwart
Schmekens schwarz-weiße Porträts der Stätten in deutschen Städten gleichen so einem eindrücklichen Memento. Oft ist die Kameraperspektive aus leichter Untersicht gewählt – als wolle die Fotografin dem Boden der Tat(ort)sachen selber nahe sein. Die Theresienwiese in Heilbronn, auf der die Polizistin starb, durchzieht dabei ein langer Steinstreifen, der im Close-up wie ein helles Band in den Horizont verläuft, an dessen Ende ein dunkler Bau steht – das erinnert an die bekannten Aufnahmen von den auf das Lagertor zulaufenden Gleisen von Auschwitz-Birkenau. Doch selbst diese Assoziation ergibt sich nur ganz subtil, wie ungewollt. Denn keines der Bilder wirkt spekulativ. Es ist eher der Effekt, dass die nicht mehr anwesenden Täter und Opfer in der geisterhaften Leere den Betrachter zum Zeugen machen. Schon Walter Benjamin hatten die menschenlosen Ansichten von Pariser Straßen und Plätzen, die der frühe Fotograf Eugène Atget im 19. Jahrhundert dokumentiert hatte, ausdrücklich an „Tatorte“ erinnert.
Das letzte, das 37. Foto in Dresden führt in die Gegenwart: Es zeigt nur das Türschloss zum Saal 101A des Oberlandesgerichts München, wo im Frühjahr 2013 der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe begann. Und neben dem Schloss sieht man einen Lichtschalter. Auch das ist eine nicht gesuchte, aber gefundene Pointe. Noch mehr Bildtafeln, über 70, und dazu kurze, kluge Texte unter anderem von Feridun Zaigmoglu und Hans Magnus Enzensberger, der den Verlust des Common Sense in der bürgerlichen Öffentlichkeit beklagt, finden sich im gleichnamigen Katalogband zur Ausstellung, erschienen im Hatje Cantz Verlag Berlin. Ein Lese- und Bilderbuch, das die Erinnerung an die Gegenwart lehrt.
„Blutiger Boden. Die Tatorte der NSU“ im Militärhistorischen Museum Dresden bis 7. Mai 2017. Katalogbuch bei Hatje Cantz, 132 Seiten, 35 €.