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"Tschick"-Rezension: Endkomischer Roadroman

Endkomischer Roadroman: "Tschick" von Wolfgang Herrndorf setzt genau das um, was der Autor vom Schreiben erwartet. "Es muss einen packen", meint er.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal Worte wie „vollgeschifft“, „endgestört“, „endbescheuert“, „Dackelgesicht“ oder „Arsch offen“ in einem literarischen Text gelesen? Und sich dabei köstlich amüsiert, geradezu kaputtgelacht, nicht allein der Wortwahl wegen, sondern weil dieser Text zudem voller großartiger Situationskomik steckt? Schon lange nicht mehr, gar noch nie?

Dann sollten Sie sich sofort Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“ besorgen, der von Anfang bis Ende ein großer literarischer Spaß ist. Herrndorf erzählt darin, wie zwei Achtklässler sich in den ersten Tagen der Sommerferien mit einem gestohlenen blauen Lada auf dem Weg in die Walachei machen, die eben nicht nur ein Wort ist, wie der eine denkt, und von ihm aus auch „Jottwehdeh“ oder „Dingenskirchen“ heißen könnte, sondern die real existierende Walachei in Rumänien. Dort kommt der Großvater des anderen der beiden Jungen her, der Herrndorfs Roman seinen Titel gegeben hat: Tschick, der eigentlich Andrej Tschischaroff heißt, ein Russlanddeutscher aus Rostow, der seine Familie überall in Osteuropa sitzen hat und nun als Spätaussiedler in einem Hellersdorfer Plattenbauviertel wohnt.

In der Schule lernt Tschick Maik Klingenberg kennen, Herrndorfs Ich-Erzähler, auch „Maiki“ oder „Psycho“ genannt. Maik gilt trotz seines Spitznamens als langweilig, hat keine Freunde in seiner Klasse und stammt aus einem zwar gutbürgerlichen, wohlsituierten, aber kaputten Haushalt. Die Mutter macht regelmäßig in einer von ihr „Beautyfarm“ genannten Klinik Alkoholentzugskuren, der Vater geht in diesem Sommer mit seiner jungen Geliebten Mona auf Geschäftsreise. Was liegt da für Maik Klingenberg näher, als sich Tschick anzuschließen? Was näher, als erst bei einer Klassenparty, auf der sie beide nicht eingeladen sind, einen großen Auftritt hinzulegen (mit Lada, Kickstart, 180-Grad-Volldrehung, versteht sich) und sich danach auf den Weg durch die ostdeutsche Provinz in die Walachei zu machen? Dass sie dort nie ankommen, weiß man schon zu Beginn, da der Roman einsetzt und Maik in einer Klinik von einem Arzt nach seinen Verletzungen befragt wird. Die Reise hat es aber auch so in sich, denn was Maik und Tschick erleben, ist komisch, skurril und aufregend genug. Auf Müllkippen suchen sie nach Schläuchen, um sich Benzin zu besorgen; sie sind bei einer netten Familie zum Essen und müssen ein Wissensquiz für den größten Nachtisch absolvieren. Oder sie kommen einer mindestens zweihundert Kilo schweren Sprachtherapeutin ins Gehege.

„Tschick“ ist Jugendroman und Roadmovie zugleich, er erinnert mal an Thomas Klupps Roman „Paradiso“ (nur dass Maik und Tschick viel sympathischer sind als Klupps Held), mal an Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“ (nur ohne historische Übercodierungen).

Am erstaunlichsten ist, wie Wolfgang Herrndorf seinen Helden aufs Maul zu schauen vermag, wie er ihre Sprache spricht: eben die von zwei pubertierenden Jugendlichen, siehe oben, ohne dass es je aufdringlich oder peinlich wird. Da stimmen die Dialoge, da ist Maik der überzeugend junge Erzähler, dem der Autor mit seinem Wissen- und Erfahrungsvorsprung nie in die Quere kommt. „Authentisch“ wäre das richtige Wort, würde es nicht verdecken, dass Herrndorf ein großer Stilist ist und ein blendend aufgelegter Stoffgestalter sowieso.

Bewiesen hat das der 1965 in Hamburg geborene und schwer kranke, in Berlin lebende Autor schon mit seinen vorherigen Büchern „In Plüschgewittern“, einer Art verspätetem Pop-Roman, und der Erzählungssammlung „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“. Darin ließ er seine leicht angeknacksten, zumeist unbeteiligt und empfindungslos wirkenden Helden entweder in Berlin oder im Brandenburger Umland umherirren, immer auf der Suche nach, ja: nach eigentlich gar nichts, sondern einfach so.

Maiki und Tschick passen gut in diese Heldenreihe. Allerdings läuft in „Tschick“ bei allem Witz, all den komischen Dialogen und herrlichen Szenen stets eine zweite Tonspur mit. Darauf erklingen Lieder von Einsamkeit, Außenseitertum, Freundschaft, erster Liebe, und da zeigt sich Herrndorfs Einfühlungsvermögen genauso gut.

Mit „Tschick“ hat Herrndorf perfekt umgesetzt, was er vor Jahren einmal über sein Schreiben gesagt hat: „Ich möchte die Bücher schreiben, die ich selber gerne lese, im Grunde ist das Unterhaltungsliteratur. Vladimir Nabokov hat einmal gesagt, gute Literatur erkenne man daran, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. So muss es sein! Der ganze Mist, den Literaturkritiker schreiben, so Nabokov, könne man vergessen, es komme nur darauf an, dass es einen erwischt, kalt erwischt. Genau, so ist das.“

Wolfgang

Herrndorf
: Tschick.

Roman. Rowohlt

Verlag, Reinbek 2010.

256 Seiten, 16,95 €.

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