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Verbotene Liebe. Kronprinz Rudolf (Johannes Dunz) und seine Marinka (Ruth Brauer-Kvam).
© Robert Recker

"Marinka" an der Komischen Oper: Schön blau an der Donau

Schmäh trifft Swing: Die Komische Oper gräbt zum Finale ihres Emmerich-Kálmán-Zyklus die Operette „Marinka“ aus, die sich um die Affäre Mayerling dreht.

Pünktlich zum vierten Advent schenkt Barrie Kosky seinem Publikum die fünfte Emmerich-Kálmán-Ausgrabung. Gleich mit Amtsantritt hatte der Intendant der Komischen Oper 2012 einen Zyklus gestartet, bei dem jeweils kurz vor Weihnachten selten – oder gar nicht – gespielte Werke des 1882 geborenen Operettenmeisters konzertant aufgeführt werden.

So manchen bemoosten Stein auf dem Gottesacker der Musikgeschichte hat Chefdramaturg Ulrich Lenz im Rahmen seiner Recherchen umgedreht – und tatsächlich einige Trouvaillen zutage gefördert, die beweisen, dass Kálmán mindestens der zweitbeste Komponist in der silbernen Epoche des Genres war, vielleicht sogar besser als sein Konkurrent Franz Léhar. Weil Kálmáns Melodien leichtgängiger, frischer sind, seine Orchestration feingliedriger daherkommt mit ihren exquisiten Effekten von Celesta und Harfe, weniger auf Puccinis melodramatisches Pathos schielt als die von Léhar.

Nach der „Herzogin von Chicago“ und der „Zirkusprinzessin“, nach der „Bajadere“ und „Arizona Lady“ gab’s am Sonntag zum Finale des Kálmán-Zyklus’ nun die europäische Erstaufführung der 1945 am Broadway uraufgeführten „Marinka“. Im Gegensatz zu den meisten jüdischen Künstlern, die vor der Shoa in die USA geflüchtet waren, musste Kálmán in New York keine Not leiden, weil seine Operetten auch hier viel gespielt wurden.

Die erfolgreichste Exil-Operette, trotz magerer 21 Wochen Spielzeit

Nachdem seine Frau Vera auf einer ihrer legendären Gulasch-Partys die anwesenden Millionärinnen dazu überredet hatte, 250 000 Dollar in eine neue Show ihres Mannes zu investieren, konnte Kálmán im 1500 Zuschauer fassenden Winter Garden Theatre an der 51. Straße ein „romantic musical“ herausbringen, das sich um die Affäre Mayerling dreht, also den bis heute rätselhaften Doppelselbstmord des österreichischen Thronfolgers Rudolf und seiner minderjährigen Geliebten Marinka 1889 in einem Jagdschloss von den Toren Wiens.

Eine einzige neue Nummer schuf der 63-jährige Komponist für die Produktion, den Rest der Musik klaute er bei sich selber zusammen, aus dem „Teufelsreiter“, der Filmmusik zu „Ronny“ sowie seinem unrealisiert gebliebenen ersten amerikanischen Projekt mit dem Arbeitstitel „Miss Underground“.

21 Wochen lief die Show und fiel dann in einen Dornröschenschlaf. Dennoch trägt „Marinka“ den Titel der erfolgreichsten Exil-Operette – während es beispielsweise „Mr. Strauss goes to Boston“ von Robert Stolz im selben Jahr auf nur zwölf Aufführungen brachte.

Wüster Stilmix der schlagerhaften Nummern

Weil die originale Partitur, deren „tasty smaltz“ der New Yorker Presse gut gefiel, verloren gegangen ist, hat die Komische Oper das Stück durch Ferdinand von Seebach neu instrumentieren lassen, ganz werktreu à la Kálmán natürlich.

Die Handlung dagegen, die in einem Freiluftkino in Connecticut beginnt und mit einem historisch unkorrekten, damals aber unverzichtbaren Happy End schließt, bei dem Kaiser Franz seinen Sohn samt unstandesgemäßer Geliebter kurzerhand in die Verbannung nach Übersee schickt, wird nur gerafft nacherzählt, von Peter Bording, der die Rolle von Josef Bratfisch spielt, dem Leibkutscher des Kronprinzen.

Und zwar auf Deutsch, während die Arien und Duette auf Englisch erklingen. Was perfekt zum wüsten Stilmix der schlagerhaften Nummern passt, zu Kálmáns Zapping zwischen Schmäh und Swing, zwischen K.-u.-k.-Walzerseligkeit und aktuellen US-Modetänzen.

Dem ästhetisch äußerst wendigen Orchester macht das keinerlei Probleme, unter der befeuernden Leitung von Koen Schoots entfaltet sich ein großartiger, mitreißender Glitterflitter-Sound. Die beste Nummer ist der sinnlich dahinschleichende Blues „Sigh By Night“, die aberwitzigste „Old Man Danube“, eine Hymne auf die Donau im Stil eines New- Orleans-Marsches, die mit Zahnpastalächeln vorgetragene Antwort auf die Sklaven-Ballade „Old Man River“ aus der Mutter aller Musicals, „Showboat“ von 1927.

Schamloses Overacting

Johannes Dunz ist ein wirklich fescher Kronprinz Rudolf mit passendem, gertenschlankem Strahletenor, Peter Bording ein Leibfiaker mit kernigem Bariton, der seiner Hoheit als verschwiegener Chauffeur regelmäßig junge Damen zuführt – bis Marinka auftaucht und den blaublütigen Hallodri zum braven, Treueschwüre lispelnden Monogamisten macht.

Ruth Brauer-Kvam überzeugt in der Titelrolle weniger durch vokale Pracht als durch ihre quecksilbrige Bühnenpräsenz. Ihr Platz ist stets ganz vorne in der Mitte, mit schamlosem Overacting weiß sie sich die Aufmerksamkeit nicht nur des Kronprinzen zu sichern. Und muss sich doch von Talya Lieberman die Show stehlen lassen, der blutjungen Sopranistin aus dem hauseigenen Opernstudio, die angstfrei ihre Chance ergreift, in der elaboriertesten Arie des Stücks abzuräumen, bei der sie als Rudolfs ungarische Ex-Gespielin ihre Rachegelüste in feurigem Czardas-Furor auslebt. Um in ihrer zweiten Nummer, einer irrwitzigen ägyptischen Polka mit dem Titel „When I Auditioned For The Harem Of The Shah“, gleich noch eins draufzulegen.

Im Dezember 2017 übrigens, das hat Barrie Kosky am Sonntag verraten, startet er den nächsten Operetten-Wiederentdeckungs-Zyklus: Dann ist Paul Abraham dran.

Noch einmal am 30. Dezember

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