Kálmán-Operette an der Komischen Oper: Menschen, Tiere, Emotionen
Manege frei fürs Sentiment: Emmerich Kálmáns Erfolgsoperette „Die Zirkusprinzessin“ als konzertante Wiederentdeckung an der Komischen Oper
Er wusste ganz genau, was die Leute wollten: ungarisches Feuer, ein Wiener Lied, neueste Tanzrhythmen, schmachtende Liebesduette – und ein Libretto mit Überraschungseffekt. 1926 steht Emmerich Kálmán auf dem Gipfel seines Ruhmes und blickt hinab auf eine vergnügungssüchtige Welt, die ihm zu Füßen liegt: 13 Operetten hat der 1882 geborene Sohn eines Getreidehändlers da schon komponiert, mit der „Csardasfürstin“ einen Welterfolg gelandet und mit der „Gräfin Mariza“ noch einen. Außerdem hat er in den Herren Julius Brammer und Alfred Grünwald die idealen Librettisten gefunden. „Sie kommen täglich zusammen, trinken einige Liter schwarzen Kaffee, rauchen eine Unmenge Zigaretten, erzählen sich Witze, politisieren, beschimpfen sich gegenseitig, zanken, lachen, brüllen – und auf einmal ist die Operette fertig“, so hat es Kálmáns Schwester Ilona überliefert.
Viel Spaß müssen die drei gehabt haben, als sie die „Zirkusprinzessin“ entwarfen. Irrwitziger entwickelt sich kaum eine Operettenhandlung, allein der Protagonist hat drei Identitäten: Als Fürst Palinski wuchs er auf, geriet mit seinem Onkel in Streit um eine schöne Frau, wurde verstoßen und ging zum Zirkus. Unter dem Namen „Mister X“ tritt er in einer atemberaubenden Nummer auf, bei der er zunächst, auf dem Hochseil balancierend, Geige spielt, um sich dann aus der Kuppel hinab auf den Rücken eines galoppierenden Pferdes zu stürzen. Als Prinz Korosow schließlich wird er eben jener schönen Feodora Palinska vorgestellt, die einst sein Herz entflammte und deren Liebe er nun tatsächlich zu gewinnen vermag.
Orchester und Chor betören mit feinstem Operetten-Luxussound
Der Zuckerguss auf dem Sahnehäubchen der Buttercremetorte – das ist die „Zirkusprinzessin“ im Œuvre Emmerich Kálmáns. Ein ganz auf Erfolg und maximale Tantiemeneinnahmen konzipiertes Stück. Eine Nummer sicher. Auf 400 Abende brachte es die Wiener Uraufführungsproduktion, immerhin 178-mal lief das Stück am Berliner Metropoltheater, das damals in der Behrenstraße beheimatet war, also in jedem Gebäude, das heute die Komische Oper ist.
Darum – und weil er ein glühender Verehrer der Kálmán’schen Instrumentationskunst ist, bei der auf unverwechselbare Weise streicherdominierte Melodien durch die Klangreize von Celesta, Harfe und Bläserarabesken veredelt werden – hat Intendant Barrie Kosky gleich bei seinem Amtsantritt 2012 einen groß angelegten Werkzyklus gestartet: „Die Herzogin von Chicago“, „Die Bajadere“ und „Arizona Lady“ waren schon zu erleben, jeweils in konzertanten Doppelaufführungen Ende Dezember, 2016 wird als europäische Erstaufführung „Marinka“ folgen, jenes Stück, das der vor den Nazis in die USA geflohene Komponist 1945 am Broadway herausbringen konnte.
Désirée Nick führt am Sonntag durch die Handlung der „Zirkusprinzessin“, dominadominant, mit Gerte in der Hand und grüner Feder am Hut, falschem Wiener Schmäh und Talmi-Russisch auf den Lippen. Immer wieder droht sie an, selber singen zu wollen – und macht es dann tatsächlich auch wahr, brutalstmöglich. Nun ja, die übrigen Beteiligten sind sicherer in der Tongebung, allen voran Zoltán Nyári als heldisch auftrumpfender Mister X und Peter Renz, der die Buffonummern des Toni Schlumberger mit berückendem Charme und unschlagbarer Operetten-Stilsicherheit präsentiert. Julia Giebel ist seine burschikose Duettpartnerin Mabel Gibson, Alexandra Reinprecht eine Feodora mit ausladendem Sopran und minimaler Textverständlichkeit, Ivan Tursic als Fürst Sergius Vladimir ein Intrigant von einnehmendem tenoralem Timbre.
Am tollsten aber ist der Luxussound, den das Orchester der Komischen Oper und die Chorsolisten verbreiten. So üppig, so volltönig und prachtvoll ausgeleuchtet bekommt man Kálmán selten zu hören, dazu noch mit Zirkuskapelle im 2. Rang. Genussvoll lässt sich Stefan Soltesz vom Rausch der Töne umschmeicheln, als kecker Eintänzer auf dem Dirigentenpult, ein maître de plaisir, der es in den Märschen richtig krachen lässt, der aber auch das schwere Parfum der sentimentalen Nummern zu versprühen weiß, aus wollüstigen, wie von Puccini abgelauschten Kantilenen nahtlos in fesche Foxtrotts überleitet. „Wenn man das Leben durchs Champagnerglas betrachtet“, singt Mister X, „sieht man es strahlen aus Goldpokalen“. Na dann: Prost!
Noch einmal am 30.12. um 19.30 Uhr. Zu Silvester sendet Deutschlandradio einen Mitschnitt der Operette ab 20 Uhr.