Kosky-Premiere an der Komischen Oper: Wehe, wenn ick mir den Nil besehe
Barrie Koskys neuster Coup: Die Operetten-Ausgrabung „Die Perlen der Cleopatra“ des Komponisten Oscar Straus an der Komischen Oper.
„Warum bade ick in Mülsch?“, raunzt Cleopatra ungeduldig, und das ist im Grunde genommen gar keine Frage. Die ägyptische Königin mit der Berliner Schnauze verabscheut Parfüm – und Milch riecht nun mal nach nix. Cleopatra hasst überhaupt eine ganze Menge und schiebt gefürchtete Anfälle von mieser Laune, in denen sie Untergebene gerne an die Krokodile im Nil verfüttert. „Ick hab tausend Pyramiden, trotzdem bin ick nich zufrieden“, sinniert sie. Ein neuer Flirt muss her, dringend. Doch Cleopatra scheint ihren Legende gewordenen Verführungskünsten nicht mehr zu trauen. Will sie einen Mann in ihrer Suite behalten, hantiert sie zuerst an einer Schatulle, entnimmt ihr eine Perle, öffnet etwas unbeholfen eine Flasche Rotwein und wirft die Perle hinein. Trinkt der Besucher davon, wird er zum feurigen Liebhaber. Ein reichlich fauler Zauber.
„Die Perlen der Cleopatra“ des Komponisten Oscar Straus, 1924 am Theater am Nollendorfplatz erstmals in Berlin gezeigt, ist die neueste Operetten-Ausgrabung von Barrie Kosky. Sie reiht sich nahtlos ein in den Lehrplan der glamourösen Volkshochschule für verlorene Unterhaltungskultur, die der Chef der Komischen Oper an seinem Haus etabliert hat. Die Begeisterung, mit der hier die einst von den Nazis gekappten Fäden des höheren Tingeltangels aufgenommen und mit geballter Bühnenmacht ins Heute fortgesponnen wird, kann überaus ansteckend sein. Zur Operettenpremiere bei Kosky geht man daher ganz entspannt, weil man ja weiß, der Mann versteht sein Handwerk und wie Berlin tickt obendrein. Und natürlich auch, weil die Besetzung der Berliner Cleopatra mit Dagmar Manzel zumindest ein echtes Bühnentier verspricht.
Und natürlich ist eine Wonne, die Manzel als von Herzen pöbelnde Potentatin zu erleben, in deren Brust mindestens drei Herzen schlagen: das der machtbewussten Chefin, das der liebessehnsüchtigen Frau und das ihrer reichlich versoffen klingenden Katze Ingeborg. Man darf dieser Mimin bloß nicht zu wenig zu tun geben, das hat Kosky klar erkannt. Und dann spielt sie eben auch noch, eine wirklich schlechte Bauchrednerin für das Katzenvieh in ihrer Hand zu sein. „Saftladn is dit jeworden. Soll ick jetzt hier anfangen zu regiern?“ Der Saal jubelt – und das ist ebenso wunderbar wie traurig. Denn das ist es auch schon, was man, reichlich bequem, auf unsere Gegenwart münzen könnte. Die sonst gerne gepriesene subversive Kraft des Genres offenbart sich sonst in der grauen Schlüpfrigkeit von Songs wie „Meine kleine Liebesflöte zaubert auf die Wangen Röte“. Zudem wird enthüllt, dass 100 Schwiegermütter den sicheren Tod bedeuten. Achja.
Das Stück will partout nix hergeben - und Kosky ist kein Geniestreich eingefallen
Überhaupt reimt sich Cleopatra immer wieder fein auf trallala. Bei der Wurstigkeit des Librettos hofft man inständig darauf, dass die Manzel möglichst viel eigenen Senf dazu gibt. Zum Glück ist sie auf der Bühne von lauter Kollegen umgeben, die das, was sie machen, auch wirklich können. Dominique Horwitz scharwenzelt atemlos als Erster Minister Pampylos mit fixen Plänen zur Abtretung eines Meerbusens um Cleopatra herum. Dominik Köninger als unter dem Einfluss der Perlen stehender Silvius schwingt sein blondes Langhaar ebenso lässig wie seine Stimme ins grenzenlose Schmachten. Johannes Dunz als persischer Prinz Beladonis eifert seinem leuchtenden Vorbild nach. Die umher geschobene, aber renitente Charmian wird von Talya Lieberman aus dem hauseigenen Opernstudio nicht nur beherzt gesungen: Die junge Sopranistin greift auch zielsicher zur Trompete. Der Chor rotiert. Und erst recht die von Otto Pichler entfesselt choreographierten Tänzerinnen und Tänzer, Brüder und Schwestern von Josephine Baker, im Schweiße vereint beim virtuosen Hüftschwung.
Eine Wucht, keine Frage und obendrein geschmackssicher hindrapiert in ein schwarzweißes Art-Déco-Interieur, vor dem die Kostüme umso bunter heraus knallen. Doch eines fällt angesichts der sicher abgespielten Stärken des Hauses umso stärker auf: Bei „Die Perlen der Cleopatra“ kreischen die Akteure, bevor es was zu lachen gibt, sie jubeln, bevor die ganze Chose Fahrt aufnimmt. Man könnte auch sagen: Der ganze gut geschmierte Apparat läuft leer. Weil das Stück partout nix hergeben will und weil Kosky diesmal kein Genie-Streich eingefallen ist, wie er ihm bei „Eine Frau, die weiß, was sie will“ glückte. Dort komprimierte er 30 Rollen für zwei Darsteller und den ganzen Abend auf turbulente 90 Minuten. Hier aber zieht sich alles über zweidreiviertel Stunden, dargeboten nach Art des Hauses, mit Hingabe – nur an was bloß?
Auch musikalisch gibt es darauf wenig Antwort, denn Oscar Straus (weder verwandt noch verschwägert) entwickelte für seinen Berliner Stil eine Art Marschwalzer in leicht verhangener Harmonik, die wohl gen Nil deuten sollte. Adam Benzwi, der musikalische Leiter am Klavier, hat die Partitur über zwei Jahre hinweg für die Premiere eingerichtet. Wenn es darin echte Kracher geben würde, er hätte sie gefunden. Wenn das Orchester mal schweigt und Benzwi die Musik wie ein Barpianist in einem Grand Hotel auf eine sentimentale Reise schickt, dann beginnt sich etwas zu regen. Jenseits der Partitur.
Für Manzels Cleopatra gibt es dennoch ein Happy End, heftig berlinernd, doch niemals peinlich, gelehnt an einen offenen Sarkophag bei einer Dose Hauptstadtbier. Mit dem auch nicht ganz nüchternen Marcus Antonius (Peter Renz, ohne den man sich einfach keine Operette ausstellen mag) lässt sich trefflich blödeln. Ob sich Cleopatras Perlen auch in Bier auflösen? Dem einstmals feschen Toni ist es - Wurst.
Weitere Vorstellungen am 7., 10., 13., 15., 19., 21., 28. und 31. Dezember
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