"Charlie Hebdo" und die Satire in Frankreich: Scharf, schärfer, gezeichnet
In Frankreich ist Satire besonders frech. Das hat eine lange Tradition. Auf sie beriefen sich auch die am Mittwoch ermordeten Zeichner und Redakteure des Magazins „Charlie Hebdo“.
Eine der letzten Karikaturen von Tignous alias Bernard Verlhac, geboren 1957, zeigt einen Zeichner mit einem Sprengstoffgürtel – doch der Gürtel besteht nur aus Bleistiften. Ein Bärtiger schreit: „Extremist!“ Drastischer Humor prägte viele der rotzfrechen Karikaturen und Comics des 1957 geborenen Zeichners, der – wie alle seine Kollegen bei „Charlie Hebdo“ – vor keiner Autorität einknickte, auch nicht vor religiösen Autoritäten.
Satire hat schon immer Protest provoziert – und den Ruf nach Bestrafung. In Frankreichs langer Tradition der gezeichneten Satire musste das schon der Humorist Honoré Daumier (1808-79) erfahren. Er zeichnete König Louis Philippe 1831 als einen die Steuer seiner Untertanen verschlingenden Fleischberg und gab ihm den – damals aus Rabelais’ Dichtung wohlbekannten – Namen „Gargantua“. Skandal! Honoré Daumier wanderte für sechs Monate ins Gefängnis. In früheren Zeiten, etwa bei den derben Bildsatiren auf Katholiken und Protestanten während der Reformation, waren Zeichner und Drucker meist anonym geblieben , um politischer Verfolgung zu entgehen. Aber während der Französischen Revolution mussten Freigeister wie der Marquis de Sade um ihren Kopf fürchten.
Honoré hieß auch einer der fünf Zeichner, die das Pariser Attentat nicht überlebten, wie seine Kollegen Verhalc, Jean Cabut, Georges Wolinski und Chefredakteur Stéphane Charbonnier alias Charb. Kurz vor dem Massaker, um 11.28 Uhr, twitterte „Charlie“ Philippe Honorés letztes Bild. Der Zeichner, Jahrgang 1941, persifliert darin in nüchternem Schwarzweiß den IS-Anführer Al-Baghdadi.
Die Zeichner von "Charlie Hebdo" ließen sich nichts verbieten
Etliche Redakteure von „Charlie Hebdo“ waren und sind Zeichner und Autoren zugleich. Durch nichts und niemanden ließen sie sich ihren Wort- oder Bilderwitz verbieten. „Magazin irresponsable“ steht im Untertitel – Frechheit als Programm, in anarchisch-linker Manier. Das Blatt nimmt vor allem die politische Rechte aufs Korn, aber auch die Sozialisten, die Kirche, die Religionen. Es versteht sich ausdrücklich als „antiklerikal“ und bedenkt den Islam in seiner extremistischen Form genauso mit bissigem Spott wie etwa die Katholische Kirche mit ihren Pädophilieskandalen.
„Charlie Hebdo“ existiert seit 1992, hatte jedoch Vorläufer, die mit der Entwicklung des Comics als künstlerische Ausdrucksform in Frankreich zusammenhängt. Dass die Zeitschrift einen weit schärferen Humor pflegt als etwa die deutsche „Titanic“, hat Tradition. Nach einer ersten Blütezeit der französischen Satire im 19. Jahrhundert mit Blättern wie „Le Charivari“ oder „La Caricature“, kamen Cartoons und Comics vor allem in den 1960er Jahren wieder in Mode.
1959 war „Pilote“ gegründet worden, die erste Comiczeitschrift, die sich nicht ausschließlich an Kinder, sondern an jugendliche und erwachsene Leser richtete. René Goscinny war der Chef und erschuf die „Asterix“-Serie. In den Sechzigern gründeten zahlreiche Künstler, die bislang für Kinder gezeichnet hatten, ihre eigenen Magazine. Mit der Studentenbewegung und der sexuellen Revolution entwickelten sich die Comics zur zeitgemäßen Kunst und zum Experimentierfeld. Inspiriert von den amerikanischen Underground-„Comix“ eines Robert Crumb, erlebten Comic-Zeitschriften einen regelrechten Boom in Frankreich.
Der Künstler als Tabubrecher und Grenzüberschreiter
Die Künstler als Tabubrecher und Grenzüberschreiter: Das Avantgardemagazin „Métal Hurlant“ erzählte wilde Science-Fiction- und Fantasy-Stories. Das belgische Magazin „A Suivre“ präsentierte Geschichten von hoher visueller wie literarischer Qualität, Jacques Tardi zeichnete hier den Ersten Weltkrieg. „L´Écho des Savannes“ und „Fluide Glacial“ wiederum boten Humor in bisher unbekannter Freizügigkeit. Sex, Gewalt, erotische Fantasien, düstere Zukunftsvisionen – Künstler wie Moebius oder Enki Bilal tobten sich aus – und die Leser empörten sich kaum noch.
Der Vorläufer von "Charlie Hebdo": Die Monatszeitschrift "Hara-Kiri"
Ein fruchtbarer Boden für Satiremagazine. 1960 wurde der Vorläufer von „Charlie Hebdo“ aus der Taufe gehoben: Die Monatszeitschrift „Hara-Kiri“ gab sich das Motto „bête et méchant“ (dumm und boshaft), Jean Cabut alias Cabu und Georges Wolinski gehörten zu den Mitarbeitern. „Hara-Kiri“ endete 1970 mit einem Skandal. Zum Tod von Charles de Gaulle titelte das Heft: „Tragischer Ball in Colombey, ein Toter“. Eine Woche zuvor waren bei einem „Ball“ in einer Disco 146 Menschen umgekommen. Frankreichs Innenminister verbot das Magazin daraufhin.
Die Redaktion machte trotzdem weiter, nun im Wochenrhythmus und mit neuem Titel. „Charlie Hebdo“ spielt auf die populäre Comicfigur Charlie Brown von Charles M. Schultz an, „hebdo“, kurz für „hebdomadaire“, bedeutet „wöchentlich“. In den 80er Jahren nahm die Beliebtheit von Comicmagazinen im frankobelgischen Raum rapide ab, 1981 traf es auch „Charlie Hebdo“ – um 1992 erneut aus der Taufe gehoben zu werden. Einige Künstler aus dem alten Team, Cabut und Wolinski, waren wieder dabei.
Das heutige Blatt enthält deutlich mehr Comics als Cartoons oder Fotomontagen, wie hierzulande üblich. Die Ausgaben sind von einer bunten Mischung aus kurzen und längeren Comics, Cartoons und Textbeiträgen geprägt, nicht selten finden sich auch Reportagen. Die letzten Cover: Michel Houellebecq und seine Frankreich-als-islamischer-Staat-Vision „Unterwerfung“, François Hollandes sinkende Popularität, die Aufregung um die Nordkorea-Kinosatire „The Interview“ und den gehackten Sony-Konzern.
"Charlie Hebdo" war das bissigste unter den Satireheften
Die bekannteste französische Konkurrenz von „Charlie Hebdo“: das klassische Karikaturblatt „Le canard enchaîné “ und das Comicmagazin „Fluide Glacial“. Charlie war stets das bissigste unter ihnen und geriet deshalb oft die Schlagzeilen, wegen 14 Prozessen überwiegend seitens ultrakatholischer Organisationen ( „Charlie“ hat keinen davon verloren), wegen Mohammed-Karikaturen, Papst-Witzen und beißendem Spott über die Affären eines Strauss-Kahn. Aber auch wegen permanenter Drohungen und dem Brandanschlag 2011, der die Redaktion komplett verwüstete. Selbst ein linker Staatspräsident wie Hollande wurde regelmäßig verballhornt, wie auf dem Cover vom Januar 2014, auf dem die Sprechblase „Moi, Président“ nicht seinem Mund, sondern seinem geöffneten Hosenschlitz entfährt.
Stéphane Charbonnier alias Charb, der 1967 geborene unbeugsame Chefredakteur, bestimmte mit seinen prägnanten gelblichen Figuren und seinem kräftigen Strich den Charakter der Zeitung. Sein auch als Buch veröffentlichter Comic über das Leben Mohammeds erschien nur Wenigen anstößig und wurde vielfach als lehrreich gelobt, sein Credo lautete gleichwohl: Die Grenzen der Satire liegen ausschließlich in den Gesetzen des Staats. Von den ermordeten Zeichnern kennt man in Deutschland vor allem Georges Wolinski, Jahrgang 1934. Mit lockerem Strich schuf er unzählige Strips, etwa. um den reaktionären Stammtisch-Schwadroneur „Monsieur“; auch entwarf er Szenarien für anspruchsvolle Comicromane anderer Künstler schrieb („Paulette“ für Georges Pichard). Und Cabu, geboren 1938, zeichnete langlebige Comicserien etwa um den „neuen Spießer“. Auch war er als live im Fernsehen zeichnender Karikaturist populär.
Die nächste Ausgabe erscheint
Charb hatte zeitlebens das „Recht auf satirische Behandlung aller“ eingefordert. Er und seine Kollegen publizierten auch in anderen Medien: Die Leser kannten ihre persönliche Handschrift, nicht wenige schätzten sie sehr. Wie es weitergeht mit „Charlie Hebdo“, weiß im Moment keiner. Sicher ist nur, dass die nächste Ausgabe erscheint: Kommenden Mittwoch in einer Auflage von einer Million Exemplaren statt der sonst üblichen 70 000, mit acht statt 16 Seiten – und mit Hilfe aller französischen Zeitungen.