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Michel Houellebecq.
© dpa

Michel Houellebecq: Roman "Unterwerfung": Der kommende Aufstand

Wirklichkeit und Fiktion: In Paris werden die Zeichner von „Charlie Hebdo“ ermordet. Die Zeitschrift zeigt Michel Houellebecq auf dem Titel. In seinem Roman „Unterwerfung“ imaginiert er ein friedliches muslimisches Frankreich.

Falls es so kommt, wie es Michel Houellebecq kommen sieht, wird ein Ruck durch Frankreich gehen. Auf den Straßen werden sich anfangs noch Dschihadisten und Identitäre die Köpfe einschlagen, aber bald wird ein Friede einkehren, der selbst die antiislamische Gruppierung der Ureinwohner Europas und den Front National lehren müsste, dass ein gemäßigt auftretender Gottesstaat das Schauspiel der Demokratie keineswegs verhindern muss. War es nicht schon ein Ergebnis politischer Kompromisse, in einer Stichwahl Mohammed Ben Abbes, den Kandidaten der Bruderschaft der Muslime, mit Unterstützung von Konservativen und Sozialisten als Präsidenten in den Élysée-Palast einziehen zu lassen, nur um Marine Le Pen in die Opposition zu schicken?

Der Mann, weltläufig, gebildet und um ein Vielfaches intelligenter als sein Vorgänger François Hollande, bringt das Land sogar endlich wieder voran. Die Beschäftigungsquote steigt, nachdem Handwerk und Agrarwirtschaft florieren, und die Kriminalitätsrate sinkt angesichts einer der Regierung freundlich gesonnenen Banlieue. Dass für dies alles auch ein Preis zu entrichten ist, gehört zum Wesen des Kuhhandels namens Parlamentarismus. Die bürgerlichen Parteien zahlen ihn umso lieber, als Mohammed Ben Abbes dafür steht, Schlimmeres abzuwenden: Er hält von Tariq Ramadans Euro-Islam so wenig wie vom Salafismus.

Dennoch verliert die Sorbonne ihren laizistischen Status, und der bestirnte Halbmond geht über ihr auf. Die zuvor aufreizende weibliche Kleiderordnung verändert sich zugunsten von Schleiern und weiten Hosen. Die Erhöhung der Familienzulage geht auf Kosten der Bildungsausgaben – dafür endet die Schulpflicht bereits mit zwölf Jahren. Und das sind nur die innenpolitischen Aufbrüche. Unter der Ägide von Ben Abbes zeichnen sich für ganz Europa die Umrisse eines neuen Römischen Reichs ab, das die Türkei furchtlos umarmt, den Maghreb als Beitrittsgebiet umgarnt und Verbündete in Saudi-Arabien sucht.

Die Weissagungen des Michel Houellebecq

Was Michel Houellebecq in seinem Roman „Unterwerfung“ (Soumission) in einer wilden Mischung von fiktivem und realem Personal für das Jahr 2022 entwirft, ist von einer unheimlichen Stille, die sich nur schwer mit dem Wort von der Angstvision vereinbaren lässt, das im Zusammenhang mit dieser Dystopie oft gefallen ist. Sie wartet nicht einmal mit dem für viele ärgsten aller Schrecken auf, dem Alkoholverbot. Die Schlächter der IS-Miliz sind fern. Die Wirklichkeit des 7. Januar 2015 hat die Weissagungen des Magiers Houellebecq, die „prédictions du mage“, die das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ auf ihrem aktuellen Titel ankündigt, nun auf entsetzliche Weise überholt.

„Unterwerfung“ lebt ohnehin nicht im geringsten von der Paranoia islamfeindlicher Wutbürger, sondern von der klarsichtigen Abscheu vor einem ökonomisch, politisch und spirituell erschöpften gegenwärtigen Frankreich, das sich zumal auf der Linken in billigen, aus dem alten Lagerdenken gewonnenen Reflexen ergeht. Es ist kein Roman aus der geschichtsphilosophischen Vogelperspektive, sondern eine Erzählung aus dem Blickwinkel eines typischen Houellebecq-Helden, die Geschichte einer verlorenen, sexuell frustrierten Seele, der die Versprechen der klassischen Utopien ebenso abhanden gekommen sind wie die Tröstungen der Dekadenz. Während der Autor aus der Zukunft kommt, um die abenteuerliche Vereinbarkeit eines mit allen rechtsintellektuellen Wassern gewaschenen Denkens mit den argumentativen Purzelbäumen eines sich rationalistisch gebärdenden Islam zu inszenieren, kommt sein Protagonist aus der Vergangenheit des 19. Jahrhunderts.

"Unterwerfung": ein historisches Spiegelkabinett

Cover von Michel Houellebecqs neuem Roman "Unterwerfung".
Cover von Michel Houellebecqs neuem Roman "Unterwerfung".
© dpa

François ist Spezialist für die ästhetizistischen Welten von Joris-Karl Huysmans („Gegen den Strich“) und identifiziert sich so weit mit dem Protagonisten seiner Forschungen, dass er dem eigenen Lotterleben gleichfalls in Richtung Katholizismus zu entfliehen versucht. Die religiöse Wende wird ihm, erst skeptisch, dann erstaunlich leichten Herzens, erst am Ende gelingen - allerdings zum Islam. Die Versuchung, die Entlassung aus der Sorbonne trotz satter Pensionsansprüche nicht auf Dauer hinzunehmen, ist zu groß, und die Aussicht, sein übersexualisertes Leben mit YouPorn, Affären und Escort-Services gegen die Verlockungen einer polygamen Ehe einzutauschen, in der unterwerfungsbereite Frauen schon minderjährig ihren Dienst am Mann verrichten, offenbar überzeugend.

„La conversion“ sollte der Roman ursprünglich betitelt sein. Genauso gut könnte er aber auch „Die Inversion“ heißen. Denn die zeitgenössische Wahnhaftigkeit dieses Figuren- und Ideentheaters wird dadurch in Schach gehalten, dass man sich in einem historischen Spiegelkabinett befindet, in dem jedes Argument unter anderen ideologischen Vorzeichen schon einmal vorgetragen worden ist. Was Houellebecq als Siegeszug des Islam imaginiert, ist in vieler Hinsicht die Wiederkehr eines ins Chauvinistische gesteigerten Katholizismus unter veränderten Vorzeichen.

Charles Péguy meinte es mit seinem Katholizismus bitterernst.

Welche Religion eignet sich für einen Décadent? Michel Houellebecq.
Welche Religion eignet sich für einen Décadent? Michel Houellebecq.
© Miguel Medina/AFP

Huysmans hat mit dem Klosterleben letztlich nur in seinen Oberflächenreizen geflirtet. Schriftsteller aus seinem Dunstkreis wie Léon Bloy und Charles Péguy meinten es, bei aller persönlichen Verrücktheit, mit ihrem Katholizismus jedoch so bitterernst wie mit dessen nationalistischen Auswüchsen. Beide sind, in Frankreich wie in Deutschland, in den entsprechenden Kreisen noch immer anschlussfähig, wie es im Soziologendeutsch heißt. Insbesondere Charles Péguy hat zu seinem 100. Todestag im vergangenen Jahr links wie rechts eine Aufmerksamkeit erfahren, über die sich gesondert nachzudenken lohnte. Davon zeugen sowohl eine Doppelausgabe der traditionsreichen Literaturzeitschrift „Europe“ vom vergangenen August wie das aktuelle Januarheft der „Revue des deux mondes“.

Auch die Wirtschaftslehre, der Mohammed Ben Abbes folgt, ein getreuer Leser des Weltstaatstheoretikers Arnold Toynbee auf den Spuren des Untergangspropheten Oswald Spengler, ist katholischen Ursprungs. Der Distributismus, der die Produktionsmittel so weit wie möglich dem Einzelnen und der kleinen Gemeinschaft zukommen lassen will, geht auf Gilbert Keith Chesterton und Hilaire Belloc zurück, beide erklärte Antisemiten, was andeuten mag, dass in der großen Annäherung von Rechtsnationalen und Muslimen die Juden das Nachsehen haben. So verlässt Francois' Ex-Freundin Myriam mit ihren Eltern schließlich für immer Paris, um in Tel Aviv Zuflucht zu suchen.

Literatur im besten Sinne

Das alles besitzt eine intellektuelle Farbigkeit, die sich nicht auf satirische Absichten reduzieren lässt und weit über die metafiktionalen Spielchen von „Karte und Gebiet“ und „Die Möglichkeit einer Insel“ hinausgeht. Es ist, bei aller Neigung zu referierenden Passagen, die Houellebecq auch in „Unterwerfung“ ereilt, im besten Sinne Literatur: eine in ihrer Vieldeutigkeit unausdeutbare Versuchsanordnung, die an jener Mischung aus Verblendung und Opportunismus rüttelt, die Intellektuelle zu Stalin, Mao und Pol Pot führte – und sich nun dem wahren und einzigen Propheten andient.

Zugleich ist es sehr viel weniger ausgedacht, als man meinen könnte. Man denke an einen Holocaust-Leugner wie den zum Islam konvertierten Kommunisten Roger Garaudy, an die offen antijüdischen Attacken in Frankreich, oder an den seltsamen Schulterschluss, den die „Sezession“, die Zeitschrift des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik, jüngst im Gespräch mit einem Pater der Piusbruderschaft suchte, einer fundamentalistischen Gemeinschaft, die sich gleichfalls für den Distributismus ausspricht.

Houellebecs schillerndste Figur ist dabei Robert Rediger. Einst ein Kopf der identitären Bewegung und nun muslimischer Präsident der Sorbonne, hat er eine drei Millionen Mal verkaufte Schrift verfasst, die auf die denkbar unschuldigste Weise „Zehn Fragen zum Islam“ beantwortet. Was für Polygamie spricht, erklärt er in einer Mischung aus Darwinismus und Intelligent-Design-Gründen, die auch von Kreationisten stammen könnten. Die Halal-Ernährung befördert für ihn ökologisches Denken, und in einer Zeitschrift erklärt er in Anlehnung an den wirren französischen Sufisten René Guénon alias Abdel Wahid Yahia, warum der Islam zur Weltherrschaft aufgerufen sei. Mit ihrer Betonung des liberalen Individualismus seien die abendländischen Gesellschaften dem Untergang geweiht. Michel Houellebecqs so schwer politisierbarer wie unendlich duldsamer und gefügiger Held tritt nun an, das Gegenteil zu beweisen.

Michel Houellebecq: Unterwerfung. Roman. Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek. DuMont Buchverlag, Köln 2015. 279 Seiten, 22,99 €. Erscheint am 16. Januar.

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