Musikpreis Echo: Schall und Rauch
Beim Popmusikpreis Echo feiert sich die Branche penetrant selbst. In dieser Form hat die Auszeichnung keine Zukunft mehr.
Als vor einigen Wochen die Berliner Schriftstellerin Esther Kinsky den Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Hain“ verliehen bekam, dürfte so mancher Bücherwurm überrascht gewesen sein: Esther Kinsky? Und sich gefragt haben, warum eigentlich nicht Ferdinand von Schirach mit seinem Erzählband „Strafe“ für den Preis nominiert worden war? Oder Bernhard Schlink mit seinem neuen Roman „Olga“. Oder Daniel Kehlmann mit „Tyll".
Der Grund ist einfach. Jedes Jahr entscheidet eine Jury aus Literaturkritikerinnen und -kritikern, wer für diesen Preis nominiert wird, und zwar nach einer Diskussion über die ästhetische Qualität der Bücher und der womöglich gelungenen formalen Aufbereitung des Stoffes. Was überhaupt keine Rolle spielt. Ob die nominierten Romane kommerziell erfolgreich sind und in den Top Zehn der Buchcharts stehen, so wie aktuell von Schirach, Schlink und Kehlmann.
Die üblichen Verdächtigen teilen sich die Trophäen
Beim Donnerstagabend in Berlin verliehenen Popmusik-Preis Echo, der wegen der Nominierung der antisemitischen, homophoben und rassistischen Rapper Kollegah und Farid Bang schwer in der Kritik steht, verhält es sich genau umgekehrt. Nominiert wird, wer am meisten verkauft. Einen Echo gewinnen nur Künstlerinnen und Künstler, die ohnehin schon erfolgreich sind. Ihn teilen sich regelmäßig die üblichen Verdächtigen Helene Fischer, die Toten Hosen oder Peter Maffay. Problematisch wird es, wenn es Acts in die Charts schaffen, mit denen sich auch die Musikindustrie ungern gemein macht. Die Kritik am Echo entzündete sich in den vergangenen Jahren an den Böhsen Onkelz, den Volksrockern von Frei.Wild oder eben aktuell am polyphoben Hass-Rap von Kollegah und Farid Bang. An diesen Nominierungen wird auch das strukturelle Problem des Echos deutlich, da hilft auch kein Ethikrat, der alibimäßig Verwarnungen ausspricht.
Die Frage ist vielmehr, welchen Wert eine Auszeichnung hat, die allein von den Verkaufszahlen bestimmt wird, darüber hinaus aber keine künstlerischen Kriterien kennt? Der britische Mercury Prize im Mutterland des Pop zum Beispiel wird jährlich an junge, innovative Musikerinnen und Musiker vergeben – in der Hoffnung, sie auch einem größeren Publikum bekannt zu machen. Und selbst bei den US-Grammys, an denen sich der immer etwas provinzielle Echo so gerne messen würde, stehen laut Statuten „künstlerische Leistung, technische Kompetenz und musikalische Gesamtleistung“ im Vordergrund. Unabhängig von Verkaufszahlen. Veranstaltet werden die Grammys von der National Academy of Recording Arts and Sciences – und eben nicht, wie bei dem Echo, von einer Handvoll großer Plattenlabels, die selbstverständlich ein Interesse daran haben, ihre eigenen etablierten Künstler zu melken.
Elitär darf ein Popmusikpreis nicht sein, künstlerisch wertvoll schon
Natürlich darf man sich mit einem Preis für Popmusik, der per definitionem einen populären Massengeschmack abzubilden versucht, nicht in den Elfenbeinturm zurückziehen. Aber das Populäre muss nicht per se künstlerisch wertvoll sein. In einer perfekten Welt wäre das Erfolgreich natürlich immer auch wegweisend, Beispiele gibt es ja genug (wenn auch hierzulande nur selten). Das musste in den vergangenen Jahren etwa die Deutsche Filmakademie lernen, in der – wie bei den Oscars – die einzelnen Mitglieder über die Vergabe des Deutschen Filmpreises abstimmen. Weil sich nach diesem Prinzip mit schöner Regelmäßigkeit die Filme des gehobenen Arthousekinos die Auszeichnungen untereinander aufteilten, wurde vor zwei Jahren ein Preis für den erfolgreichsten Film des Jahres eingeführt. Man konnte die Til Schweigers und „Fack ju Göhtes“ bei der wichtigsten Preisverleihung der Filmbranche nicht ignorieren. Klar, es ist ein schlechter Kompromiss, ein Trostpreis. Aber wofür? Dass die Filme vorher Millionen gescheffelt haben?
Ob nun also Verbandsmitglieder, Expertenjurys oder Brancheninsider über künstlerische Preise entscheiden: Letztlich hat jeder Preis, ob er nun subjektive oder objektive Kriterien anlegt, ein Legitimationsproblem.Natürlich lässt sich hervorragend spotten über den Echo mit seinen Schlager- und Retortenstars. Man muss ihm leider aber auch attestieren, dass der Echo die popmusikalische Realität in Deutschland aufs Beste widerspiegelt. Das Land hat genau die Popstars, die es verdient. Dafür muss man nicht auf Helene Fischer einprügeln, sondern darf sich genauso wundern, warum die Toten Hosen mit ihrem inhaltlich korrekten Konsensrock noch immer so erfolgreich sind. Gar nicht zu reden von Kollegah und Farid Bang, deren Album unabhängig von seinem skandalösen Inhalt auch an musikalischer Stumpfheit kaum zu überbieten ist.
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