Semyon Bychkov dirigiert die Philharmoniker: Russisch Roulette
Kirill Gerstein spielt Rachmaninow in der Philharmonie, Semyon Bychkov dirigiert die Berliner Philharmoniker.
Selbst wer den „Eugen Onegin“ von Peter Tschaikowsky über alles liebt, wird zugeben, dass es schwerfällt, sich für die dritte Symphonie des russischen Komponisten zu begeistern. Dass sie seit über 110 Jahren bei den Berliner Philharmonikern nicht mehr aufgeführt worden ist, muss angesichts der Berühmtheit ihres Schöpfers Gründe haben. Sie werden bestätigt durch einen Versuch des Orchesters unter Leitung von Semyon Bychkov, das D-Dur-Werk, das vor den großen, ausdrucksmächtigen Symphonien entstanden ist, zu neuem Leben zu erwecken.
In einer Zeit seelischer Qualen, vor dem Entschluss Tschaikowskys, seiner Homosexualität zum Trotz eine Frau zu heiraten, schreibt er mit sehr gekonnter Technik seine einzige Dur-Symphonie. Der Walzertakt, die Melodieinstrumente im Andante, knisterndes Scherzo, nationaler Charakter und Weltbildung, deutsches Handwerk mit einer seltsamen Fugen-Exkursion im Polacca-Finale: Dank der Instrumentation kommen Fagott, Flöte, Klarinette, Horn, Trompete, Posaune in philharmonischer Qualität und Klangmischung zum Einsatz.
Was aber nervt, das sind die strapazierten Wiederholungen der Motive, die Sequenzen, die kein Ende nehmen wollen. Und Bychkov ist nicht der Dirigent, das Ganze mit eigenem Atem, mit persönlicher Inspiration zu erfüllen.
Vom Jazz zur Klassik - der Weg des Solisten Kirill Gerstein
An diesem Abend in der voll besetzten Philharmonie siegt Tschaikowskys kosmopolitscher Landsmann Sergej Rachmaninow. Als Repertoirestücke haben dessen Klavierkonzerte längst Interpreten wie Lang Lang erreicht. Zumal das zweite, c-Moll Opus 18, gehört als eine Spiegelung europäischen Geistes in die Musikgeschichte Russlands. Und der russische Pianist Kirill Gerstein, ausgebildet zunächst am Jazz-Piano, bevor er die Klassik favorisierte, wird mit dem Stück zum stürmisch gefeierten Debütanten bei den Berliner Philharmonikern.
Gerstein überrascht nach den wuchtigen Glockenklängen der Einleitung, die crescendierend unter seinen Händen magische Kraft entwickeln, als Partner des Orchesters. Wenn alles singt und klingt im dichtesten Satz, setzt er sensible Betonungen dagegen. Er verfügt über die Pranke und Geläufigkeit der Liszt-Virtuosität und zugleich über eigene Intuition als Kammermusiker. So kann man mit Staunen venehmen, dass bei ihm die Begleitung des Themas zu Beginn des Adagios an ein Präludium von Bach erinnert. Rachmaninow hat ihn verehrt, Gerstein lässt das spüren.