zum Hauptinhalt
Sergej Rachmaninow
© Imago

Sergej Rachmaninow: Heimholung aus New York

Sergej Rachmaninow war Russe mit Leib und Seele. Gestorben aber ist er als Amerikaner. Jetzt will sein Heimatland die sterblichen Überreste überführen. Aber das ist gar nicht so einfach.

Das 2. Klavierkonzert in c-Moll op. 18, vom Tonschöpfer selbst gespielt, aber digitalisiert und in HD-Qualität, mit einem Glas Wein in der Hand. Der Blick schweift auf die wasserreiche Auenlandschaft hinter den hohen Fenstern, erste Herbstnebel drehen sich. Dann eine Rose auf das Grab des Meisters legen. So etwa könnte sie aussehen, die Pilgerfahrt der Fans von Sergej Rachmaninow ins nordwestrussische Oneg, wo der Künstler 1873 das Licht der Welt erblickte. Doch seine letzte Ruhestätte fand er in Valhalla bei New York. Um die Ruinen des einstigen Adelsnestes nahe der alten Hansestadt Nowgorod streunen wilde Hunde.

Jetzt unterstützt Russlands Kulturminister Wladimir Medinski Pläne des Gouverneurs, die Immobilie originalgetreu zu restaurieren. Auch die sterblichen Überreste des Musikers will er dort zur ewigen Ruhe betten. Die USA hätten Rachmaninow als amerikanischen Komponisten russischer Herkunft porträtiert. Das sei eine „selbstherrliche Privatisierung unseres Mitbürgers.“ Rachmaninow sei ein russischer Komponist.

In der Tat: Seine berühmtesten Werke komponierte Rachmaninow, bevor er 1918 vor der Sowjetmacht floh. In Russland entstanden sogar die Skizzen zu Etüden und Sinfonien, die er im Exil – in der Schweiz und in den USA – ausführte. Triumphe feierte er dort vor allem als Pianist und Dirigent. Den Großteil seiner Honorare spendete er nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 für einen Fonds zur Unterstützung der Roten Armee. Im März 1943 starb er in Beverly Hills, einen Monat zuvor war er US-Bürger geworden.

Das sei das Haupthindernis für die Überführung der Urne nach Russland, glaubt Alexander Jermakow, der die Rachmaninow-Gedenkstätte Iwanowka leitet. Auf dem Gut im Gebiet Tambow hatten die Rachmaninows die letzten Jahre vor der Flucht verbracht. An der Staatsbürgerschaft waren schon vor Jahren, als das russisch-amerikanische Verhältnis noch halbwegs normal war, Bemühungen von Außenamt und Kultusministerium um die Umbettung des Meisters gescheitert.

"Sein letzter Wille ist heilig", sagt Rachmaninows Urenkelin

Dazu kommt, dass sich die Nachkommen sperren. Sie berufen sich auf den letzten Willen des Verstorbenen, der neben Ehefrau und Tochter beigesetzt werden wollte. Das Vermächtnis sei ihr heilig, zitieren Medien Urenkelin Suzanne-Sophia. Einerseits. Andererseits habe Rachmaninow sich nur schwer mit der Erkenntnis anfreunden können, dass er einen Regimewechsel, der ihm die Rückkehr in die Heimat ermöglicht, nicht erleben werde, heißt es bei der Moskauer Rachmaninow-Gesellschaft. Auch sei das Grab des Künstlers in einem „fürchterlichen Zustand“.

Das bestätigt auch Pianist Denis Mazujew, 40. Rachmaninow und Russland gehörten zusammen, sagte er Radio Echo Moskwy. Die Umbettung von Toten sei jedoch eine sehr heikle Sache. Gehört werden müssten alle. In erster Linie die russische Öffentlichkeit.

Die aber hat zu ihrem obersten Kulturbürokraten ein nachhaltig gestörtes Verhältnis. Liberale Intellektuelle und kritische Medien werfen Wladimir Medinski vor, die Interessen von Künstlern nicht konsequent genug zu vertreten. Unvergessen: Sein Einknicken im Winter, als fromme Eiferer die Absetzung der umstrittenen „Tannhäuser“-Inszenierung in Nowosibirsk erzwangen. Statt sich im Streit um eine Umbettung Rachmaninows zu verschleißen, so Kritiker, sollte der Minister sich für die Rücknahme eines Regierungsbeschlusses starkmachen, der den Museen ab Herbst die alleinige Verantwortung für die Sicherheit ihrer Sammlungen aufbürdet. Grund: drastische Personalkürzungen im Innenministerium wegen Ebbe in den Staatskassen. Betroffen ist sogar die Eremitage. Hochqualifizierte Beamte, die bisher Schätze wie das Gold der Skythen bewachten, sollen künftig in St. Petersburg Streife laufen oder Kleinkriminellen wegen Ladendiebstahl die Handschellen anlegen.

Russische Museen werden nicht nur von Kunsträubern, sondern immer häufiger auch von christlich-orthodoxen Fundamentalisten attackiert. Waren zunächst nur Ausstellungen des regimekritischen Sacharow-Zentrums Ziel des Bildersturms, tobten selbst ernannte Moralapostel sich vergangene Woche in der staatsnahen Moskauer Manege aus, wo gerade Skulpturen der sowjetischen Avantgarde zu sehen sind. Die teils sehr freizügige Darstellung menschlicher Anatomie beleidige angeblich religiöse Gefühle gläubiger Christen.

Zur Startseite