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Ausgeträumt. Ulrich Matthes und Regine Zimmermann spielen in „Amerika“ gleich mehrere Rollen.
© imago/Martin Müller

Premieren am Deutschen Theater: Rockstars an der Rampe

Mit Dušan David Parízeks Kafka-Inszenierung „Amerika“ und der Populismus-Farce „It Can’t Happen Here“ von Christopher Rüping eröffnet das Deutsche Theater die Spielzeit.

Großäugig steht der Teenager Karl Roßmann an der Bühnenrampe. Gestern noch vom reichen Onkel Jakob in die aussichtsreichsten Sphären der Gesellschaft gepusht, hockt er heute nahezu mittellos auf der Straße und lässt sich von zwei windigen Landstreichern in Unterhosen (Frank Seppeler und Edgar Eckert) den letzten Anzug abschwatzen. Dass der 16-jährige Karl, den Franz Kafka in seinem Romanfragment „Der Verschollene“durchs Land der unbegrenzten Auf- und Abstiegsmöglichkeiten jagt, mit fundamentaler Ratlosigkeit auf seine eigenen (Un-)Geschicke blickt, ist nachvollziehbar: Man kann es halt nicht vernünftig durchschauen, dieses ominöse Up-and-down-Prinzip.

Im Deutschen Theater Berlin, wo Dušan David Parízek das von Max Brod zuerst 1927 unter dem Titel „Amerika“ postum veröffentlichte Kafka-Fragment jetzt auf die große Bühne gebracht hat, macht sich allerdings nicht nur in den Augen des Protagonisten Ratlosigkeit breit, sondern auch im Parkett: Schwer zu sagen, was das 130-minütige Text-Ektrakt, das hier gezeigt wird, konzeptionell eigentlich im Sinn hat.

Zunächst mal wird die Story mehr oder weniger straff durcherzählt: wie Karl Roßmann, von den Eltern wegen ungewollter Dienstmädchenschwängerung aus Europa nach Amerika zwangsverschifft, in New York ankommt, wo ihm der reiche Onkel Englisch- und Reitstunden spendiert – um ihn kurz darauf zu verstoßen. Den nächsten Job als Liftboy verliert er wieder unverschuldet. Und so weiter. Das Szenario – vom Regisseur entworfen – ist ein parkettgetäfelter Kasten. Und hinter jeder Kulissenwand, die im Laufe des Abends planvoll nach hinten kippt, lauert natürlich nur die nächste Beschränkung.

Matthes verfügt über astreine Rockstarqualitäten

Marcel Kohler zeigt den in diesen amerikanischen (Alb-)Traum geworfenen Teenager mit redlicher Empörung und wachsender Verzweiflung über die Ungerechtigkeit der Welt, während Ulrich Matthes eine breite Klaviatur männlicher Autoritätspersonen bespielt: vom streng-gütigen und dabei (typisch Kafka) undurchsichtigen Onkel bis zum demütigungswilligen und betont Akzent sprechenden Oberkellner des Hotels, das in Parízeks Inszenierung offenkundig die Einwanderungsgesellschaft spiegelt. Regine Zimmermann, von der Schaubühne ans DT zurückgekehrt, gibt die Oberköchin Grete Mitzelbach durchgängig mit Wiener Schmäh (und turnt sich mit Verve auch durch die restlichen Frauenrollen).

Dass das alles recht vorhersehbar und in einer gewaltigen gefühlten Distanz dahinplätschert, hat auch mit Parízeks Entscheidung zu tun, den epischen Text dialogisch aufzulösen. Zwar mag es angesichts der ausufernden Rampenerzählungen, die bei Romanadaptionen inzwischen an der Tagesordnung sind, grundsätzlich bemerkenswert sein, wenn Regisseure sich überhaupt dieser Mühe unterziehen. Nur erweist sich eben leider gerade Kafkas Text in diesem Punkt als ausgesprochen schwieriger Partner. Wenn Karls Innenperspektive im Dienste des Plotfortgangs auf der Bühne durch andere Figuren von außen an ihn herangetragen werden muss, leiden häufig nicht nur Plausibilität und Paranoia-Appeal, sondern auch die Gesellschaftsanalyse. Der unbedingte Aufstiegswille, den Karl bei Kafka internalisiert hat, kommt hier als frontalpädagogisches Regelwerk des Oberkellners daher – was den Blick aufs System nicht unbedingt zeitgemäßer macht.

Aber: Es gibt Erlösung, zumindest im DT. Und zwar von allem: dem Bühnenparkett-Kasten, der entfremdeten Arbeit, den fremdgesteuerten Schicksalen und der utopielosen Gesellschaft. Wenn auch, natürlich, gebrochen. Die Rettung ist die (nunmehr freie, offene) Bühne. Das Naturtheater von Oklahoma, in dem Karl letztlich landet, besteht bei Parízek aus einer Engelskapelle im goldenen Kitsch-Look, deren Mitglieder (selbst-)ironische Plänkeleien über den Schauspielerberuf aus ihren üppigen Lockenperücken schütteln. Der Personalchef – Matthes im bodenlangen Goldglitzerfummel „Suicide is painless“schmetternd – verfügt zudem über astreine Rockstarqualitäten.

Jeder Sprechakt gerat zur schmierigen Performance

Als Rock- oder zumindest Popstar will nebenan, in den DT-Kammerspielen, auch der Präsidentschaftsbewerber Buzz Windrip (Felix Goeser) wahrgenommen werden. Wieder sitzen wir in einer amerikanischen Parabel, diesmal nach Sinclair Lewis’ 1935 erschienenem Roman „It Can’t Happen Here“. Mit Blick auf das nationalsozialistische Deutschland skizzierte Lewis seinerzeit den Aufstieg eines windigen Populisten zum faschistischen Diktator. Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erlebte das Buch eine Renaissance. Christopher Rüping inszeniert es nun als rattenfängerische Wahlkampfshow, in der ausgesucht dämliche Polit-Dilettanten mit Extrem-Parolen auch auf den hiesigen Rechtsruck zurückverweisen.

Von der Stärkung der inneren Sicherheit singt der Populisten-Entertainer, während er im verfremdeten Raubtier-Look eine Showtreppe heruntertänzelt. Und seine Jünger hauen dazu in die Tasten. Jedes Podest wird Rüpings Windrip zur Rampe, jeder Sprechakt gerät ihm zur schmierigen Performance. Und nach dem Wahlkampf-Sieg ergeht eine Einladung ans Publikum, Hotdog-Essen auf der Bühne. Für Mechanismen und Rhetorikzerlegung interessiert sich der Abend nicht. Sein ausdrückliches Programm ist die Oberfläche, die Farce, wie man sie zu diesem Sujet schon allzu häufig sah auf den Theaterbühnen.

„Amerika“läuft wieder am 1. und 7. Oktober, „It Can’t Happen Here“am 7. und 21. Oktober.

Christine Wahl

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