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Die fast perfekte Welle. Mike Love und die Beach Boys von heute.
© Gateau/dpa

Die Beach Boys in Berlin: Ritter der Sandburg

Die Ruinen leben noch: Die Beach Boys spielen in der Zitadelle Spandau. Von der ursprünglichen Band ist dabei nicht mehr viel übrig, aber der Rest rockt.

Das geht ja gleich gut los, mit „Surfin’ USA“ und „Surfer Girl“ und Surfer-Filmchen. Bretter und Bikinis, schöner lauer Abend auf der Zitadelle, und der Mehrgenerationen-Männerclub auf der Bühne baut eine Sandburg nach der anderen. Bis zur nächsten Welle. Diese Hits stammen aus einer Zeit, in der man noch Singles auflegte. Sie umfassen eine Spanne von kaum drei Minuten, sind gut fünfzig Jahre alt und kennen kein Verfallsdatum.

Den Auftritt der Beach Boys anno 2017 kann man als eine Art Live-Dokumentation betrachten, als Gegenstück zum „Love & Mercy“-Film. Der war Brian Wilson gewidmet, dem musikalischen Genie der Strandjungs. Aber Brian Wilson ist hier nicht dabei. Der Bandname Beach Boys ist seinem Cousin Mike Love zugefallen, er darf unter dieser Flagge segeln, Brian Wilson nicht mehr. Es gibt keine zweite Band, die so viele Dramen und Rechtsstreitigkeiten erlebt hat wie das Wilson-Familienunternehmen. Dennis und Carl sind tot, Brian sprang dem Tod von der Schippe, den Rest haben Anwälte erledigt. Der Traum von ewiger Sonne, ewiger Jugend, die Selbstfeier eines naiven, hedonistischen und sehr weißen Amerika endete in aller Hässlichkeit.

Die Musik dieser Jahre, in der die USA endgültig zum Vorbild der Protest- und Jugendkultur wurden, hat eine klare, feste Substanz, sie klingt immer noch gut. Auch wenn es mehr ein Florida-Feeling ist als der Mythos California. Mehr Rentnerparadies und Kreuzfahrtunternehmung als Sex und Drogen. Bei den Trumps in Mar-a-Lago haben sie auch schon gespielt. Seltsamerweise wirkt der späte Beach-Boys-Hit „Kokomo“, der die Florida Keys besingt, lahm und abgenudelt, während sie aus uralten Nummern wie „I Can Hear Music“ oder der Auto-Hymne „409“ eine Menge Motorenleistung herausholen.

Ein Lied mit einem Toten

Mike Love führt die Band an. Er ist das einzige verbliebene Gründungsmitglied aus den frühen sechziger Jahren. Bruce Johnston an seiner Seite kam etwas später dazu. Die anderen Musiker könnten ihre Söhne oder Enkel sein, sie machen ihre Sache gut. Hohe Töne, Gesangsharmonien, den charakteristischen West-Coast-Sound kann man reproduzieren. Die alten Männer und ihre Adepten – das sieht komisch aus, hört sich aber nicht schlecht an, wenn auch brav einstudiert.

Da stehen also die Ruinen einer Band, die es mit den Beatles aufnahm. Aber warum nicht? Man schaut sich ja auch gern die Überreste römischer Tempel an. Alte Steine haben viel zu erzählen. Es erinnert stark an Totenkult. Carl Wilson, gestorben 1998, singt von der Leinwand herab „God Only Knows“, und die Band begleitet ihn. Sie spielen mit einem Verblichenen, mit einer alten Live-Aufnahme. Es gibt in dem Set noch mehr Gedenkposten. 1968 war Mike Love mit den Beatles beim Guru in Indien, davon existieren schöne Filmaufnahmen, die über die Leinwand laufen, während Love seinen George Harrison gewidmeten Song „Pisces Brothers“ spielt, mit „Hare Krishna, Hare Krishna“ im Refrain. Tempi passati. Aber erstaunlich, welch jugendliche Töne ihren Weg aus dem Körper des alten Herrn ins Freie finden. In memoriam Chuck Berry spielen sie „Rock’n’Roll Music“. Auf der Zitadelle wird getanzt.

Wie eine Kreuzfahrt in der Karibik

Zum 50. Geburtstag des „Sgt. Pepper“- Albums wurde ja auch stets von den „Pet Sounds“ der Beach Boys gesprochen, dem anderen Meisterwerk jener Jahre, die einer kreativen Explosion glichen. Bei all den Basecaps auf grauem Haar und bunten, über Cocktail-Bäuche gespannten Hemden verwundert es auf angenehme Weise, wie gerade die „Pet Sounds“-Songs glänzen. „Sloop John B“, „Wouldn’t It Be Nice“ und „Good Vibrations“ geben sich auch noch bei Mike Love und seiner Undercover-Band als das zu erkennen, was sie immer sein werden: Gipfel der Pop-Musik. Bei aller Komplexität und Raffinesse der Komposition: Es kann mitgesungen werden. „Sloop John B“ basiert auf einem Shanty aus der Karibik, und schon so lange ist es wieder ein kostbares Stück Volksmusik. In vielleicht zwanzig Jahren, auf einer Cruise nach Havanna, kommt Mike Love für zwei oder drei Songs nach dem Dinner auf die Bühne und grüßt „Barbara Ann“. Johannes Heesters stand mit über 100 Jahren auch noch im Rampenlicht, mit Bier und Zigarette.

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