zum Hauptinhalt
Tänzer Michaël Pomero (vorne) im Duett mit Anne Teresa de Keersmaeker (links). Flötistin Chryssi Dimitriou (hinten) entlockt ihrem Instrument fauchende und säuselnde Geräusche.
© Herman Sorgeloos

Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker im HAU: Ritt in die Zeichen

1914 wurde Rilkes Erzählung „Cornet“ zum Kultbuch der Kriegsbegeisterten. Anne Teresa de Keersmaeker macht sie im HAU zum Ausgangspunkt einer Text- und Tanzperformance.

„Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.“ So beginnt Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Die frühe Erzählung, die Rilke 1899 in nur einer Nacht schrieb, wurde zum Kultbuch der kriegsbegeisterten Generation von 1914. Der Text, der die Erlebnisse eines jungen Adligen im Türkenkrieg von 1663/1664 schildert, verklärt den Heldentod poetisch und verknüpft diesen mit erotischen Motiven.

Verwunderlich ist es da schon, dass die flämische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker den heute kaum noch gelesenen „Cornet“ zum Ausgangspunkt einer Performance macht. Darin erkundet sie die Wechselwirkung von Tanz und Text. Rilkes kurze Erzählung wird in Gänze präsentiert und zunächst auf die Rückseite der Bühne projiziert. Die Zuschauer sitzen im Hebbel-Theater – und lesen! Später deklamiert de Keersmaeker den Text – mit flämischem Akzent, voller Begeisterung. Der „Cornet“ wird zu erlesener Sprachmusik, de Keersmaeker erzeugt einen bezwingenden Rhythmus, setzt Pausen. Wie sie vorträgt, ist wissend, verstehend – und zugleich eine Befragung mit dem Körper.

Das Stück ist ein sehr karges. Zu Beginn bleibt das Saallicht an. Dem Rauschhaften von Rilke begegnet de Keersmaeker mit nüchterner, tagheller Konzentration. Den Vortritt überlässt sie dem famosen Tänzer Michaël Pomero. Der mutet wie ein versprengter Reiter an. Er steckt das Terrain ab. Mit schabenden Bewegungen schreibt er seine Muster in den staubigen Boden ein. Das Gespannte verbindet Pomero mit einer schönen Weichheit.

Das Duett mit Pomero ist eine zarte Annäherung

De Keersmaeker konzentriert sich auf die Begegnung von Mann und Frau. Doch die Choreografin setzt hier nicht Rilkes Eros in Szene. Das Duett mit Pomero ist eine zarte Annäherung. Die beiden Tänzer wirken eher wie Komplizen. Sie umkreisen einander, finden zu einem Gleichklang der Bewegung, lösen sich wieder voneinander. Sie wirkt fast zurückhaltend, er dagegen hat etwas jugendlich Drängendes. Ein Verschmelzen der Körper sieht man nicht. Auch in Momenten der Innigkeit gibt es Distanz.

Um eine Illustrierung des „Cornets“ geht es de Keersmaeker beileibe nicht. Die Bewegungen haben oft Zeichencharakter. Ein hochgestreckter Arm, als solle eine Fahne getragen werden, dann wieder sieht man die für sie so typischen Bewegungsspiralen. Gegen Ende wird aus der Tänzerin eine Vortragende. Sie reduziert ihre Körpersprache. Dafür findet sie zu neuen Nuancen als Text-Interpretin. Wenn der junge Adelige in der Schlacht fällt, wirkt das wie ein sinnloser Tod.

Sparsame Musik, körperlich gespielt

Extrem sparsam ist auch die Musik. Die Flötistin Chryssi Dimitriou, die Musik von Salvatore Sciarrino aufführt, entlockt ihrem Instrument fauchende und säuselnde Geräusche. Ihr sehr körperliches Spiel nimmt die Zuschauer mit auf einen wilden Ritt.

Anne Teresa de Keersmaeker entwickelt ihre Choreografien meist in der Auseinandersetzung mit Musik. Sie hat eine Spielart des Minimalismus entwickelt, der expressiv aufgeladen ist. Diesmal will sie den Text ins eigene Recht setzen. Doch es gibt wenig Berührungspunkte, sodass Sprache und Bewegung sich in dieser kargen Performance kaum gegenseitig erhellen.

nächste Vorstellungen am 10. u. 11. März., 19 Uhr und 12.März, 17 Uhr

Zur Startseite