De Keersmaeker im Hebbel am Ufer: Auf eine Zigarette im Märchenwald
Die Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker und ihre Compagnie Rosas gastiert mit „Golden Hours (As you like it)“ im Berliner HAU.
„Golden Hours“ heißt ein Song auf Brian Enos wegweisendem Album „Another Green World“, das 1975 erschien. Für Eno war es ein Wendepunkt von Rock zu Ambient. Nach dem repetitiven Song, der eine zarte Melancholie verströmt, hat Anne Teresa De Keersmaeker ein Tanzstück für ihre Compagnie Rosas benannt, das nun im HAU 1 zu sehen ist. Das musikalische Spektrum der flämischen Choreografin reicht von Bach bis zu Steve Reich, doch sie hat auch ein Faible für Popmusik. In „The Song“ (2009) hat sie zum Beispiel Material aus dem „Weißen Album“ der Beatles verwendet.
Drei Mal hintereinander erklingt Enos Song im HAU 1, ohne dass szenisch etwas geschieht. Pop ist Kunst, suggeriert die Choreografin, das Publikum möge bitte andächtig lauschen. Beim vierten Mal bricht die Musik ab und elf Tänzer in bunten Sneakers und dunklen Leggings betreten die Bühne. Mit extremen Langsamkeit setzt die Gruppe einen Fuß vor den anderen, bis sie schließlich in alle Richtungen auseinanderstiebt. Dieser Abend, der den Titel „Golden Hours (As you like it)“ trägt, ist nicht nur von Brian Eno inspiriert. Eine weitere Anregung war Shakespeares Komödie „Wie es euch gefällt“. In dem leichtfüßigen, zugleich tiefsinnigen Stück flüchten sich die Verbannten in den Wald von Arden – ein utopischer Ort, Gegenwelt zum korrupten Leben am Hof.
Doch bei De Keersmaeker ist nicht nur die Musik über weite Strecken abwesend, auch Shakespeares Geist hat sich verflüchtigt. Zwar werden Textauszüge aus „As you like it“ an die Rückwand projiziert. Einen Gefallen tut De Keersmaeker sich damit aber nicht, denn konfrontiert mit der poetischen und philosophischen Sprache Shakespeares mutet der Tanz doch sehr eindimensional an. Da Tänzer eben nicht sprechen, sollen sie auf beredte Weise tanzen, was hier nur manieriert wirkt. Im HAU 1 sieht man Tanzathleten am Werk, die ausdauernd über die Bühne joggen und hüpfen, Bewegungen schon mal herausschleudern oder mit dem Fuß aufstampfen. Zudem zeigen sie mit dem Finger nach oben, ergreifen die Hand eines Liebesobjektes, lassen sich in dessen Arme sinken. Die Blicke, die sie sich zuwerfen, erzählen freilich nichts von einem zirkulierenden Begehren. Von Liebestollheit ist nichts zu spüren, und ein Narr ist auch nicht auszumachen.
De Keersmaeker spielt mit Shakespeare und der Verwirrung der Liebenden
An Shakespeares amourösem Versteckspiel gefällt heute vor allem, dass die Liebenden Kleider und Geschlecht wechseln. Den Wald von Arden kann man sich als queeren Märchenwald vorstellen. Bei De Keersmaeker verkörpert ein Tänzer mit dunkler Lockenmähne die Rosalind, die sich als Jüngling verkleidet. Das ist wie zu elisabethanischen Zeiten, wo ein männlicher Darsteller eine Frau spielte, die sich als Mann verkleidet. Doch der Tänzer der Rosas, der durchaus etwas Androgynes hat, spreizt sich hier auf effeminierte Weise. Die Choreografin machte keine große Sache aus dem Geschlechterwechsel, die Verwirrung der Liebenden wird so unterschlagen. Betont cool ist die Szene, wenn Rosalind und Orlando sich endlich finden. Vor dem Kuss zünden sie sich erst Mal eine Zigarette an.
Ein Tänzer greift später zur Gitarre und klampft ein paar Akkorde aus den Eno-Songs. Karg und nüchtern, alles andere als leichtfüßig, nimmt sich auch der Tanz aus. Sie tanzen, wie es ihnen gefällt, doch die flirrende Sinnlichkeit hat Anne Teresa De Keersmaeker der Komödie ausgetrieben.
Noch einmal an diesem Montag, den 21. März, 20 Uhr
Sandra Luzina
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