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Keine Kumpel: Szene unter Tage in Bochums Jahrhunderthalle.
© JU/Ruhrtriennale

Wagners "Rheingold" bei der Ruhrtriennale: Richards Revier

RichardWagner bei der Ruhrtriennale: Johan Simons und Teodor Currentzis fördern vor den Kulissen der Hochöfen und gefluteten Stollen "Rheingold" zutage.

Man soll ihn am besten schon auf der Anreise hören, empfiehlt der Intendant. Ihn sich zu diesem Zweck aus dem Netz ziehen und auf die Ohren legen. Wagners „Rheingold“ bei der Ruhrtriennale ist eingebettet in einen Sound, den der in Berlin lebende Finne Mika Vainio ausgetüftelt hat. Der Vorabend zum großen Weltuntergangspanorama, destilliert in den Brennblasen von Minimal Techno und Ambient. Eine Viertelstunde währt Vainios Klanginfusion, und sie ist so mild ausgefallen, dass man sie gleich noch mal hört, weil man es kaum glauben kann.

Da ist Wagners Urakkord, jenes Es-Dur, das in nichts mehr gründet als in sich selbst, und Wasser wird, mächtig anschwillt zum Strom des Rheins. Von der MP3-Datei kommt ein brav ins Spektrale gewendetes Echo. Auch ist nicht ein Hammerschlag zu vernehmen, Wagners Ambossexzesse als Geräusch gewordene Fratze des Frühkapitalismus – aufgelöst ins Esoterische. Der dumpfe Schlag, den Vainio dann und wann setzt, könnte auch der eines Herzens sein. Dazu noch Knistern wie von einer Schallplatte, etwas analoge Restwärme ohne Erinnerung.

So verbringt man die Bahnfahrt hin zu erkalteten Hochöfen, gefluteten Stollen und verschwundener Arbeit. Hier will der Theatermalocher Johan Simons zum Einstand als neuer Chef der Ruhrtriennale Wagners „Rheingold“ inszenieren. Die Industrierestlandschaft rund um die Bochumer Jahrhunderthalle erzählt von sich aus viel über das unausweichliche Scheitern des Kapitalismus und die vage Hoffnung, dass der Mensch diesen Untergang überleben könnte. Und dieser gewaltige Strang rostiger Rohre, der in den Gewitterhimmel ragt, ist das nicht Wagners Riesenwurm, der seit Urzeiten das Nibelungen-Gold bewacht?

„Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge"

Das Einzige, was glänzt zwischen den Schlackebergen, sind die Wagnertuben, die der Komponist für seinen „Ring“ konstruieren ließ. Eine machtvolle Erweiterung der Klangtiefe, aus Erz gewonnen. Ihre Wagnertuben im Arm wie Kinder verschwinden vier Musiker im ehemaligen Gebläsehaus, um sich warmzuspielen. Sie gehören zum Ensemble Musicaeterna des Dirigenten Teodor Currentzis, der sich bei der Ruhrtriennale erstmals Wagner vornimmt. Vom äußersten Rand Europas aus hat sich der Chef des Opernhauses Perm zu einem der aufregendsten Interpreten der Klassikwelt entwickelt. Durch unbedingten Probenwillen bis an den magischen Punkt, wo Partituren lebendig werden. Und den charismatischen Entwurf eines Lebens inmitten der Kunst. Wo sollte man sonst auch hin, in Perm.

Wagner, Rheingold, Simons, Currentzis, Bochum: Eine Verbindung, die im Dramaturgenhimmel gefügt wurde und die der Zuschauer nicht scheiden soll. Es liegt ja alles auf der Hand, und Wagner ging als Hofkapellmeister tatsächlich inmitten von Sozialisten und Anarchisten auf die Barrikaden. „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus Allen nur Unglückliche.“ Also schrieb Wagner. Als er jedoch das „Rheingold“ komponierte, sahen die Dinge schon ganz anders aus: Die Revolution war gescheitert, aber der Komponist hatte nach langer Durststrecke endlich einen Weg gefunden, seinen „Ring“-Zyklus in Musik zu fassen.

Neben nackten Silikonleibern steht Freia in Latex mit Hundehalsband

Der Künstler im Aufwind, zugleich ein niedergeschlagener Revolutionär – das ist das Paradoxon des „Rheingolds“, das oft nur als heiterer Vorspann verstanden wird auf die eigentlichen drei Abende des „Rings“. Dass eine ganze Welt in ihm steckt, will man in der schwülwarmen Jahrhunderthalle erleben. Aus Vainios Es-Dur-Schatten treten Currentzis und seine Musiker langsam heraus, beinahe fühlt man sich um die Stille betrogen, aus der doch alles wächst in diesem Vorspiel. Aber erst einmal versöhnt der seidige Klang, der vom auf der Bühne sitzenden Orchester in die Halle strömt.

Legt man den Kopf ein wenig in den Nacken, sieht man eine klassizistische Fassade, die das frisch errichtete Walhall darstellen soll, aber auch als Fabrikantenvilla durchgeht. Sinkt das Kinn Richtung Brust, lässt sich eine seichte Wasserfläche ausmachen, in der neben Teilen eines umgestürzten Ballsaals auch drei Frauenpuppen in Unterwäsche liegen. Mühsam stapft eine Greisin durchs Nass, um sich seufzend an den Rand zu setzen und alles anzusehen. Noch einmal. Das kann nur Erda sein, die allwissende Erdmutter. Wie alt sie geworden ist (zielsicher: die große Jane Henschel).

Wie alt plötzlich alles aussieht: Simons stellt in die mächtige Halle nur schmächtige Abbilder eines Theaters, das schon lange ausgespielt hat. Neben den nackten Silikonleibern zeigt er eine Freia in Latex mit Hundehalsband (bemitleidenswert: Agneta Eichenholz) und vor sich hinzuckende Götter. Da kann man schon dankbar sein, dass Mika Kares als Wotan gar nichts spielt und auch in seine sonore Stimme wenig Ausdruck legt. Anders Peter Bronder, der als Loge ungehemmt quer durch die Noten züngelt.

Das stehende Orchester bleibt optischer Effekt

Und Currentzis, der Widerständige, gegen den Klassikbetrieb Aufbegehrende? Er findet in der Jahrhunderthalle seinen Meister. Ein Konversationsstück wie das Rheingold geht hier – trotz Monitoren und Mikroports – baden. Selbst wenn sein Orchester zwischendurch im Stehen intoniert: Mehr als ein optischer Effekt ist das nicht. Und so wirkt es schon wie Frustabbau, als der Dirigent und einige Musiker in die Halle laufen, um mit Hämmern an die Gussstahlstreben zu hauen. Der Ofen ist längst aus.
Wieder am 18./20./22./24. und 26.9., Infos unter www.ruhrtriennale.de

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