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Johan Simons, 1946 in Heerjansdam in den Niederlanden geboren. Er war der Begründer der hochgerühmten Theatergruppe Hollandia. Jetzt wird der Intendant der Münchner Kammerspiele.
© Berliner Festspiele/Lefebvre

Interview: Johan Simons: "Auf dem Höhepunkt muss Schluss sein"

Das Berliner Theatertreffen beginnt mit einer Horváth-Inszenierung aus Köln: „Kasimir und Karoline“. Regisseur Johan Simons spricht im Interview über Väter und Mütter, Geld und Erfolg.

Herr Simons, gibt es Glück ohne Geld?

Mein Vater hatte ein Sprichwort, das klingt auf Deutsch blöd, ich sage es Ihnen auf Holländisch: Als je Geld hebt, doe je wonderen, als je niet hebt, is het donderen (in etwa: Wenn du Geld hast, vollbringst du Wunder, wenn nicht, hast du Pech).

Sie erwähnten anlässlich Ihrer Inszenierung von „Zocker“ nach Dostojewski vor einigen Jahren an der Volksbühne, Ihr Vater habe die elterliche Bäckerei verspielt.

Ja, und dann waren wir richtig arm.

Was für ein Verhältnis haben Sie heute zu Geld?

Ein gespaltenes. Ich verdiene jetzt gutes Geld, aber am liebsten schmeiße ich es gleich wieder weg. Ich liebe schöne Hotels, gute Weine, gutes Essen. Aber mehr oder weniger um zu zeigen, dass ich Geld habe. Das hat natürlich mit meiner Jugend zu tun. Die hat mich Geld gegenüber rücksichtslos gemacht. Man kann heute reich sein und morgen arm, aber ich finde es wichtig, dass man an beiden Tagen mit demselben Mut aufsteht.

In Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“, mit dem Sie das Theatertreffen eröffnen, wird ja die Frage aufgeworfen, ob mit dem Verlust der Arbeit auch die Liebe automatisch verloren geht. Was glauben Sie?

Eine Herzensfrage. Lassen Sie es mich so sagen: Ich kann es mir vorstellen. In unserem System ist jemand weniger wert, wenn er keine Arbeit hat. Es ist ein Raubtiersystem. Wer hat nicht Angst vor Arbeitslosigkeit? Jedermann, ich auch.

Sie sind einer der erfolgreichsten europäischen Regisseure und treten ab Herbst die Intendanz der Münchner Kammerspiele an. Sie müssten sich keine Sorgen machen.

Es ist eine tiefe Grundangst. Denn in dem Moment, wo ich arbeitslos werde, bin ich abhängig.

Ist Ihr Vater in Ihrer Achtung gesunken, weil er Spieler war?

In der Achtung meiner Mutter vor allem. Mein Vater kam aus einer Familie von zwölf Kindern und war der Jüngste, er und meine Mutter führten eine sehr schlechte Ehe, aber weil es eine christliche Ehe war, durften sie nicht auseinandergehen.

Hat Ihre Mutter die Familie zusammengehalten?

Ich erzähle Ihnen etwas über meine Mutter: Wir lebten neben einem Schulplatz, und ich ließ die Kinder dieser Grundschule einmal exerzieren, wie ein Feldwebel. Meine Mutter schämte sich zu Tode. Sie rief mich zum Essen, aber ich reagierte nicht. Also rief sie noch mal: Johan, Essen! Ich: egal. Dann geht das Fenster wieder auf, und sie ruft: Hitler, Essen! Innerhalb von zehn Sekunden war ich im Haus (lacht).

Was für ein Typ Regisseur sind Sie? Sie wirken nicht wie ein Machtmensch.

Ich habe eine Machtposition, aber die will ich nicht ausnutzen. Ich möchte lieber überzeugen als bestimmen. Natürlich muss es einen Kapitän geben, der auch mal sagt: genug diskutiert, jetzt in diese Richtung.

Sie gelten in Ihrer Arbeit als großer Humanist.

Ich versuche jedenfalls, jede Figur zu verstehen. Darum geht es mir auch in „Kasimir und Karoline“, das Benehmen jeder, oder sagen wir, fast jeder Figur zu rechtfertigen.

Auch eine Horváth-Frage: Gibt es gute oder schlechte Menschen, oder werden sie durch die Verhältnisse bestimmt?

Ja, fast marxistisch, wie er das betrachtet. Ich war selbst früher Mitglied der kommunistischen Partei in Holland, und ein totaler Fan von Ost-Berlin, wo ich Inszenierungen von Heiner Müller angeschaut habe, oder einfach herumgelaufen bin. Es gibt keine Großstadt in der Welt, wo das bis heute so präsent ist wie in Berlin, dass es auch eine andere Geschichte gab, eine andere Utopie. Klar, das ist längst Geschichte, auch im Osten, und das System hat nicht funktioniert. Aber der Glaube an den Kapitalismus ist doch auch völliger Blödsinn.

Horváth Stück entstand vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise. Aber Sie betonen die Parallelen zur Gegenwart nicht.

Nein, ich betone eher die Hierarchien in dem Stück, die Verhältnisse. Es muss im Theater immer darum gehen, sich zur Realität zu verhalten. Ich beschäftige mich gerade mit „Hotel Savoy“ von Joseph Roth, da geht es auch um Arbeitslosigkeit, um Entwurzelung, man spürt darin eine tiefe Traurigkeit, die für mich sehr heutig ist. Es werden jeden Tag mehr Menschen entlassen, die dann nicht mehr teilnehmen an der Gesellschaft, gleichzeitig steigen schon wieder die Börsengewinne, aber für wenige. Ich spüre jedenfalls, dass eine Zeit großer Armut auf uns zukommt.

Und was bedeutet das für die Kultur?

Das Theater bleibt der Raum, wo man aufgefordert sein muss, das Denken zu schärfen. Gerade wenn schlechte Zeiten anbrechen, ist so ein Reflexionsraum wichtig für die Leute. Man ist zusammen, man sieht etwas, das rührt oder wütend macht.

„Kasimir und Karoline“ haben Sie ursprünglich open air inszeniert, auf einem niederländischen Flugfeld, danach war die Arbeit in Athen und Avignon zu sehen, mit höchst gemischten Reaktionen. Hat die Inszenierung erst im Kölner Schauspielhaus zu sich gefunden?

Nein, es ist einfach eine andere Aufführung, eine bescheidenere, auch mit anderen Schauspielern. Aber die Reaktionen in Avignon waren unglaublich. In Holland sind die Zuschauer sehr nett, die verlassen nie den Saal, die Deutschen gehen noch ziemlich leise, aber die Franzosen …(steht vom Tisch auf und trampelt laut). Und dann rief während der Vorstellung auf einmal jemand: Hört doch auf mit diesem Scheiß! Und ein anderer: Nein, weiterspielen, das ist super! Die haben sich fast angegriffen, so hitzig wurde diskutiert. Der Bühnenbildner Bert Neumann und ich dachten nur: Toll, macht weiter!

Die Frage, für wen man Theater macht, beschäftigte Sie schon in den Anfängen mit ihrer Gruppe Hollandia.

Wir hatten eine Grundregel bei Hollandia: Theater machen für Leute, die nie ins Theater kommen. Deswegen haben wir mit Site-Specific-Projekten begonnen, damit waren wir in den 80er Jahren Pioniere. Wir haben zum Beispiel in einem Gewächshaus gespielt in der Nähe des Flughafens Schiphol. Binnen kurzem hatte sich die Aufführung auch in der Amsterdamer Schickeria herumgesprochen, es hieß auf einmal: man muss Hollandia gesehen haben. Nach zehn Jahren gab es eine Untersuchung durch die Regierung, welches Publikum die holländischen Gruppen haben, und dabei kam heraus, dass das intellektuellste und reichste Publikum bei uns war. Obwohl wir etwas völlig anderes wollten.

Sie verließen ZT Hollandia 2005, trotz des internationalen Renommees. Ist Ihnen zu viel Erfolg suspekt?

Es war eben eine Entscheidung zu sagen: Auf dem Höhepunkt ist Schluss. Man darf nicht zu lange denselben Job machen.

Aufbrüche sind Ihnen nicht fremd. Als Sie vierzehn waren, beschlossen Sie, vom Dorf kommend, Tänzer zu werden. Gegen Widerstände?

Mein Vater war dagegen und auch die Freunde im Dorf. Aber von meinem Vater habe ich gelernt, einfach, indem ich ihn viel beobachtet habe, dass man als Loser auch gewinnen kann. Das ist mein Charakter, ich brauche es, mutig zu sein. Meine Mutter hat mich unterstützt, sie war dafür. Sie war nie auf einer höheren Schule, aber sie war sehr klug und hatte ein Gefühl für Kunst. Und auf einmal schien sich mir diese Welt zu eröffnen, die ihr verschlossen geblieben war. Ich war sowieso ihr Lieblingssohn, auch, weil ich früher wie Albert Schweitzer werden wollte.

Inwiefern das?

Bis ich zwölf oder dreizehn war, wollte ich als Priester nach Afrika gehen und die Menschen überzeugen, dass Gott das Beste ist, was es gibt! (lacht) Dann begegnete ich dem Tanz.

Tänzer sind Sie dann aber doch nicht geworden.

Nein, es gab damals in Holland nur das nationale Ballett, oder man konnte Tanzlehrer werden. Also ging ich auf die Schauspielschule, aber für einen Schauspieler war ich nicht locker genug. Was ich schon damals gut konnte, war, die anderen Schauspieler bei unseren eigenen Projekten zu lenken.

Als Regisseur sind Sie das Wandern zwischen den Welten gewöhnt. Was ist der größte Unterschied zwischen dem niederländischen und dem deutschen Theater?

In Holland haben wir ein En-suite-System. Die holländischen Schauspieler konzentrieren sich auf eine Vorstellung, und die muss gut werden, sonst geht man zweieinhalb Monate auf Reisen mit einer Aufführung, wo die Säle halb voll sind, oder halb leer, je nachdem! Das kann die Hölle sein. Da ist das deutsche Repertoiresystem besser. Ich weiß, es kostet eine Menge Geld, aber das ist es wert. Die Politiker sollten nicht vergessen, dass die deutschen Museen und Theater überall in der Welt als sehr wertvoll betrachtet werden.

Ihre Berufung zum Intendanten der Münchner Kammerspiele ist auf ungeteilte Zustimmung gestoßen.

Ja. Der Druck ist also riesengroß! (lacht herzlich)

Sie gelten als Unangepasster des Betriebs, der gerne in Trainingsklamotten durchs noble Salzburg läuft. Irgendwie schwer vorstellbar, dass Sie in die reiche Maximilianstraße passen.

Manchmal liebe ich auch schicke Klamotten (deutet lächelnd auf sein Sakko). Es stimmt natürlich, es gibt diese teuren Läden in der Maximilianstraße, dazu muss man sich verhalten. Dazwischen ist aber dieses Theater, das zwei Eingänge hat, und die wollen wir mit Licht so betonen, dass es einladend wirkt, so, als ob man abends nach Hause kommt und sieht: Ah, da brennt noch Licht, ich werde erwartet! Es gibt in Holland katholische Kirchen, die sich verstecken, die von außen wie ein normales Haus aussehen, aber innen sehr reich sind, voller Prunk, die nennt man Schuilkerk. So ein Raum darf das Theater nicht sein.

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

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