Modernisierter Klassiker: Revoluzzer auf Kreuzfahrt
Im neuen Spirou & Fantasio-Spezial „Panik im Atlantik“ greift der ehemalige Comic-Erneuerer Lewis Trondheim das Thema „Kreuzfahrt“ auf und versucht im Fahrwasser von Spirou-Erfinder André Franquin zu schwimmen - das Ergebnis ist enttäuschend.
Der Topos „Kreuzfahrt“ hat eine literarische Tradition: von Julio Cortázars mysteriösem Roman „Die Gewinner“ über skurrile Passagen aus Jonathan Franzens „Die Korrekturen“ bis hin zu David Foster Wallaces humoristischem Aufsatz „Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich“. Zusammengepfercht mit hunderten von Menschen auf einem Schiff. Welche Rückschlüsse lassen sich in dieser Situation über den Mikrokosmos Gesellschaft ziehen? Eine solch gesellschaftskritische Nachfrage vermeiden Trondheim und der Zeichner Fabrice Parme mit „Panik im Atlantik“ und schippern lieber in ulkigen „Traumschiff“-Fantasien herum.
Der Gastauftritt von Émile Bravo („Porträt des Helden als junger Tor“, mehr dazu hier) hat gezeigt, dass die Spezial-Reihe die alten Helden aus den Sechzigerjahren verjüngen und so interessant für eine breite Leserschaft machen kann. Anstatt sich zu überlegen, wie man Spirou, Fantasio und Pip wieder neu erfindet, wählt Trondheim den leichten Weg der seichten Gags. Er setzt viele Menschen auf ein Schiff und sticht mit ihnen in See. Dabei etabliert er leider keine wirklich lustigen running gags und legt Fantasio nur selten eine überraschende Pointe in den Mund. An die brachiale Witzgewalt eines Franquin kommt der ehemalige Mitbegründer von „L'Association“ so nicht heran. Der lang praktizierte Spagat zwischen frankobelgischer Tradition und revolutionären Ideen scheint Trondheim so langsam Probleme zu bereiten.
Wie Harald Schmidt auf dem „Traumschiff“
Auf der grafischen Ebene hingegen funktioniert die Hommage sehr gut. Bereits aus einer früheren Zusammenarbeit an „Le roi catastrophe“ kennt Trondheim den Zeichner Fabrice Parme. Erst der Zeichenstil des jungen Franzosen lässt die Comics der Sechziger Jahre wieder aufleben. Allein das Timing und Spirous Gestik, wenn er mit Pip in der Hand einen riesigen Matrosen in Schach hält, lässt die etwas fade Geschichte um Schutzschilde und Eiskanonen für einen Moment vergessen. Die richtige Portion Elan bekommt jede Sprechblase durch einen schwungvollen Dorn, der sie mit dem Sprecher verbindet.
Auch wenn „Panik im Atlantik“ nicht die kritische Distanz eines Cortázar, Franzen oder Wallace aufweisen kann, so hätte man doch mehr Tiefgang oder zumindest bessere Witze von Trondheim erwartet. Doch vielleicht ist der Revoluzzer auch in die Jahre gekommen. Seit einiger Zeit fährt Harald Schmidt ja auch auf dem „Traumschiff“ mit. Dem Entertainer ist es bisher nicht gelungen, das Genre zu transzendieren oder die groteske Situation – eingesperrt mit hunderten von Fremden – zu hinterfragen. Er spielt einfach mit – und das tut auch Trondheim.
Lewis Trondheim/Fabrice Parme: Spirou & Fantasion Spezial, Band 11: Panik im Atlantik, Carlsen Comics, aus dem Französischen von Marcel Royer, Lettering von Hartmut Klotzbücher, 72 Seiten, 10 Euro, mehr dazu hier. Lewis Trondheims Website findet man hier.
Die Homepage unseres Autors Daniel Wüllner findet sich hier, zu seinem Blog geht es hier.
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