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© Illustration: Bravo/Reprodukt

Interview: "Manche Zeichner unterschätzen ihr Publikum"

Der französische Comicstar Émile Bravo spricht im Interview über Politik im Comic, Marketing-Schubladen und die Kriegsgeschichten seines Vaters

Monsieur Bravo, Sie überraschen Ihre Leser in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Strapazin“ mit einer ungewöhnlich bitteren, politischen Kurzgeschichte zum Nahostkonflikt, die deprimierend endet und brutaler ist als alles, was man bislang von Ihnen kannte.

So ist das nun mal, der ganze Nahostkonflikt ist eben deprimierend. Ein hoffnungsvolles Ende wäre da nicht angebracht.

Sie beschreiben die Dynamik der Gewalt, ohne dass Sie für die eine oder andere Seite Stellung beziehen…

Ja, ich versuche, nicht Partei zu ergreifen. Das geht in dem Konflikt eigentlich auch gar nicht.

Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Der Nahost-Konflikt interessiert mich, auch wenn ich keine persönliche Beziehung zu dem Thema habe. Aber ich denke, was zwischen Israelis und Palästinensern passiert, sagt einiges über die menschliche Natur allgemein aus.

Ihre Nahostgeschichte ist trotz aller Grausamkeit auch witzig. Sie haben eine besondere Art, politische Themen unterhaltsam zu vermitteln …

Ja, das habe ich von meinem Vater gelernt. Er stammte aus Spanien und kämpfte 1937 mit 22 Jahren im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik. Er war bereits ein alter Mann, als ich 1964 geboren wurde. Aber er hat mir sehr viel von seinen Kriegserfahrungen erzählt. Und zwar immer als Mischung aus tragischen und absurden, witzigen Erlebnissen, so wie ich sie auch in meinen Arbeiten kombiniere. Er brachte mich mit seinen Kriegserinnerungen zum Lachen, auch wenn es Anekdoten waren, in denen er doch um sein Leben fürchtete. Das hat mich geprägt.

Einem größeren Publikum in Deutschland sind Sie allerdings eher als Zeichner eines unpolitischen Buches bekannt, der anrührenden und sehr persönlichen Jugendgeschichte „Meine Mutter“.

Ja. Bei diesem Buch war ich aber tatsächlich nur der Zeichner. Das ist nicht meine Geschichte. Mein Freund Jean Regnaud hat die Erzählung geschrieben und genau festgelegt, was in jedem Bild zu sehen sein soll.

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Liebe, Drama, Weltpolitik. Szene aus Émile Bravos Spirou-Band.
© Illustration: Bravo/Carlsen

Ich habe es dann nur ganz praktisch in Bilder umgesetzt. Das Buch erzählt seine persönliche Geschichte, er hat vieles genauso erlebt, wie es in dem Buch beschrieben ist.

Er wuchs, wie seine Hauptfigur, ohne Mutter auf und wähnte sie in einem anderen Land, aus dem sie ihm Postkarten schrieb?

Genau. Und das verrückte ist: Jean und ich sind seit 30 Jahren gut befreundet, aber er hat mir diese Geschichte erst erzählt, als wir gemeinsam an dem Buch arbeiteten.

Herr Bravo, sind Sie eigentlich ein Nostalgiker?

Möglicherweise. Wieso?

Ihre Bilder erinnern auf den ersten Blick an Comics und Bildgeschichten aus den 1940ern, 50ern oder 60er Jahren, auch wenn Sie die klassischen stilistischen Anleihen für sehr moderne Geschichten benutzen.

Ich erinnere mich an sehr viele Comics und Bilder aus meiner Kindheit und beziehe mich natürlich auch darauf – das waren die guten alten Zeiten!

So wie „Der kleine Nick“, an den „Meine Mutter“ erinnert?

Ja, ich liebe diese Bücher, Goscinny ist für mich einer der besten Autoren überhaupt, und Sempés Bilder sind wundervoll. Aber eine Hommage an die alten Meister sollen meine Arbeiten nicht sein.

Sondern?

Es geht mir einfach darum, die richtigen Bilder zu finden, die zu meinen Geschichten passen. Für mich sind Zeichnen und Schreiben eine Einheit. Das Zeichnen war für mich nun einmal die erste Form, mich auszudrücken. Als ich ein Kind war, habe ich meinem Vater Geschichten erzählt, indem ich sie für ihn zeichnete. So mache ich das bis heute. Ich mache Comics nicht wegen der Zeichnungen, sondern um Geschichten zu erzählen.

Dafür nehmen Sie klare Anleihen bei frankobelgischen Comic-Altmeistern, von Franquin bis Hergé, statt sich wie andere Zeichner Ihrer Generation modernerer Stile zu bedienen...

Ich will Geschichten erzählen, die Leser allen Alters ansprechen. Dafür eignet sich dieser grafische, leicht zugängliche Stil sehr. In wenigen Linien kann man sehr viele Gefühle ausdrücken.

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Émile Bravo vor kurzem bei seinem Besuch in Berlin.
© Lars von Törne

Jeder von uns hat Tim und Struppi gelesen, weil es sehr leicht zu lesende Geschichten sind, auch wenn sie erzählerisch sehr komplex sind. Ich kann mit einem realistischeren Stil nicht viel anfangen. Meine Bilder sollen genug Freiraum lassen, in dem der Leser seine eigenen Emotionen und Gedanken entwickeln kann.

Ihre Bücher wenden sich an Leser fast jeden Alters, von Teenagern bis zu Erwachsenen, was nicht leicht zu vermarkten ist, weil immer die Gefahr droht, dass Sie in der Kinderschublade landen. Ist das ein bewusst gewählter Balanceakt?

Für mich ist einfach klar, dass ich Geschichten erzählen will, die jeden ansprechen und in denen Leser unterschiedlichen Alters unterschiedliche Bezüge für sich finden. Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich früher manchmal ähnliche Geschichten lasen und an ganz anderen Stellen lachten. So gibt es auch in meinen Comics unterschiedliche Niveaus gleichzeitig, das ist für mich der Reichtum des Mediums. Ich erinnere mich, dass ich als Kind bei manchen Comics dachte: Die denken wohl, ich bin ein Idiot! Ich glaube, dass manche Autoren und Zeichner ihr junges Publikum unterschätzen. Aber Sie haben Recht, mein Verlag weiß manchmal nicht genau, wie er meine Sachen verkaufen soll, weil es nicht nur eine einzige Zielgruppe gibt. Ich nutze eben eine universelle Sprache, die jeder verstehen kann.

Ein anderes Buch, das jetzt auch die Leser in Deutschland begeistert, ist Ihre kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in Brüssel spielende Spirou-Geschichte „Porträt eines Helden als junger Tor“, in der Sie diese klassische Figur in einen neuen, ungewöhnlich politischen Kontext stellen. Wie kam es dazu?

Ich bin ein großer Verehrer der Spirou-Geschichten von André Franquin, die in den 50er Jahren entstanden. Die Figur war allerdings bereits 1938 von Rob-Vel geschaffen worden. Dessen Spirou war anfangs keine besonders interessante Figur, einfach ein kleiner Hotelpage, der schlechte Witze machte. Und dann, so ab Ende der 40er, war der Charakter plötzlich interessant und vielschichtig. Ich interessierte mich dafür, was in den Jahren dazwischen passiert sein mag.

Und?

Ich dachte mir: Dazwischen war der Krieg, der muss einen Einfluss auf den Schöpfer der Geschichten und auch auf die Figur gehabt haben. So entwickelte ich meine Geschichte. Dazu kommt, dass ich in allen meinen Alben auch eine pädagogische Komponente habe – und in diesem Fall war es eine gute Gelegenheit, meinen jüngeren Lesern zu erklären, wie die Weltlage am Vorabend des Zweiten Weltkriegs aussah.

Ihr Spirou-Band war ein Sonderalbum außerhalb der normalen Serie. Planen Sie weitere Geschichten mit der Figur?

Ja, ich würde sehr gerne eine weitere Geschichte erzählen, die während des Krieges und während der deutschen Besatzung spielt, dann eine weitere in der Zeit der Befreiung. Für mich ist dieser Zeitraum rund um den Zweiten Weltkrieg eine besonders interessante Epoche, in der extreme menschliche Eigenschaften mehr als zu anderen Zeiten zum Ausdruck kamen.

Die Bücher von Émile Bravo erscheinen auf Deutsch bei Carlsen
. Die aktuelle Strapazin-Ausgabe mit Bravos Kurzgeschichte gibt es im Fachhandel oder unter diesem Link.

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