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Die Dreifaltigkeitskirche von Fritz Wotruba in Wien-Mauer wurde zum Inbegriff des Beton-Brutalismus.
© DAM Frankfurt am Main / Wolfgang Leeb

Brutalismus-Ausstellung: Rettet die Betonmonster!

Vom Abriss bedroht: Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt sorgt sich um die extravaganten Bauten des Brutalismus.

Die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts kennt vielleicht nur einen Hauptweg, dafür aber zahlreiche Nebenwege. Der Brutalismus zählt zu den Nebenrichtungen, und es erstaunt schon, dass nach dem Kampf für Licht, Luft und Sonne, den die Architekten der Moderne so vehement ausfochten, Ende der fünfziger Jahre eine Richtung aufkam, die sich energisch und materialintensiv gegen alles Leichte und Luftige wehrte. Der Brutalismus, der seinen Namen von dem französischen Begriff des béton brut, des rohen oder nackten Betons herleitet, konkurrierte, zeitlich gesehen, mit dem Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit, der doch die Forderungen der Moderne nun tatsächlich für eine breite Bevölkerung verwirklichte – wie immer man die Großsiedlungen auf der Grünen Wiese architektonisch oder gar in sozialer Hinsicht bewerten mag.

Natürlich sind auch die Geschossbauten des „Sozialen Wohnungsbaus“ in Beton ausgeführt; es ist dies der gegebene Baustoff des standardisierten und im Osten Europas regelrecht industrialisierten Bauens. Nur roh, unverkleidet, mit allen Spuren seiner Herstellung in (zumeist) hölzerner Verschalung hat man ihn denn doch nicht goutiert.

Bis auf eine kleine Gruppe von Architekten, die darin die Möglichkeiten einer eher skulpturalen Gestaltung erkannten. Es verwundert nicht, dass eines der prägenden Bauwerke in brutalistischer Manier, die Wiener Dreifaltigkeitskirche, von einem Bildhauer entworfen wurde, Fritz Wotruba. In Köln gibt es ein verwandtes, freilich filigraneres Beispiel, die lange Zeit hinter anderen Gebäuden nahezu versteckte Kirche des „Hl. Johannes XXIII.“ von Josef Rikus, ebenfalls einem Bildhauer.

Enorm einflussreich war der chamäleonhaft wandlungsfähige Le Corbusier mit seinem Klostergebäude von La Tourette (1956-60), das zu einem Typus tempelartiger Bauten auf hohen Stelzen mit auskragenden Obergeschossen avancierte. Dessen bedeutendste Ausformung ist das Rathaus von Boston von Kallmann McKinnell & Knowles (1962-69), von der Architektur abgesehen ein rares Beispiel des urban renewal.

Eine junge Generation steht auf den rauen Charme der Klötze

Seine wahre Heimat fand der Brutalismus in England. Man mag es dahingehend interpretieren, dass die trostlose Nachkriegszeit mit ihrem industriellen Niedergang einen solchen rüden Gegenentwurf, wie ihn die brutalistischen Bauten darstellen, geradezu provozierte. Andererseits wurde gerade ein als Hoffnungssignal gedachtes Ensemble wie das South Bank Arts Centre in London, dessen erste Bauteile bereits 1951 für das „Festival of Britain“ und noch nicht in brutalistischen Formen entstanden, im Laufe der Jahre zu einer wahren Trutzburg hochgeklotzt.

Man muss nur einmal auf die Neben- und Rückseiten der Gebäude sehen, mit ihren Hintertreppen und Notausgängen, den Anlieferungsrampen und dem Bühnenturm des National Theatre von Denys Lasdun (1964-76), um einen geradezu hitchcock-artigen Schrecken zu verspüren. Dabei ist das 1968 eröffnete Ausstellungshaus der Hayward Gallery von Norman Engleback soeben renoviert worden und erfreut sich stürmischen Zulaufs.

Brutalistische Architektur beim Suq Al-Muttaheda in Kuwait City (1973-79) von John S. Bonnington Partnership.
Brutalistische Architektur beim Suq Al-Muttaheda in Kuwait City (1973-79) von John S. Bonnington Partnership.
© DAM Frankfurt am Main / Nelson Garrido

Es ist wohl eine jüngere Generation, die jedenfalls nicht mehr in brutalistisch angehauchtem social housing aufwachsen musste, die jetzt Gefallen am rauen Charme der Klötze findet. Die Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM) ist dementsprechend zeitgemäß mit dem appellativen Titel „Rettet die Betonmonster!“ versehen. In Frankfurt wissen sie, wovon sie reden, sind doch in der Mainmetropole nacheinander das Historische Museum, das Technische Rathaus und das Hochhaus der Goethe-Universität im Westend abgerissen worden, letzteres sehr stilvoll 2014 durch punktgenaue Sprengung.

Wie hier, so auch anderswo: Unlängst ging die Meldung herum, dass einige prägende Betonbauten in Indien als „un-hinduistisch“ denunziert werden und bald verschwinden sollen, wobei ihr Anblick in grauem Beton wohl als zusätzliche Steigerung vermeintlich kolonialer Herkunft gedeutet wird. Tatsächlich hatten in den ehemaligen britischen Kolonien und Mandatsgebieten, von Kuweit über Kenia bis Pakistan oder Australien, zahlreiche, zumeist in London ausgebildete einheimische Architekten an dem so grenzenlos formbaren Material Gefallen gefunden.

Der unheimlichste Brutalismus-Bau steht in Berlin

Ins eher Bizarre entwickelte sich der Formenreichtum betonbrutalistischer Architektur im Ostblock, vor allem in den nichtrussischen Sowjetrepubliken. Die Ausstellung zeigt auf ihren aus Kartonagen geformten Stellwänden und Stellwandinseln wahrlich wundersame Gebilde, von Rumänien bis Georgien, die wohl als Auflehnung gegen das industrielle Bauen der Kombinate zu deuten sind. Der Jammer ist nur, dass all diese Bauten im Laufe der Jahre wahrhaft hässlich werden. Der vermeintlich ewige Beton bröckelt in Wind und Wetter, sein baustählernes Innenleben rostet. Die für die Ausstellung gefertigten Modelle, ebenfalls aus Kartonage, verschweigen naturgemäß diesen düsteren Aspekt in ihrer ruppig-schönen Anmutung.

Auch Berlin hat sein brutalistisches Erbe. An der Spitze steht das Haus der zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin, von Gerd Hänska entworfen 1967, aber erst 14 Jahre später fertiggestellt. „Der ,Mäusebunker’ mit seinen kanonenartigen Lüftungsrohren“ – heißt es dazu in der Ausstellung – „ist der wohl unheimlichste Bau der deutschen Nachkriegsmoderne.“

Ein solcher Superlativ will verdient sein. Selten fallen Zweckbestimmung und architektonische Gestalt so sehr in eins wie hier, diesem Inbegriff zweckrational kaschierter Abgründigkeit.

Aber das ist dem Brutalismus nicht vorbestimmt. Auf der anderen Seite der Sympathieskala angesiedelt ist das Freizeitzentrum, das Lina Bo Bardi aus einer ehemaligen Fabrik in Sao Paulo zauberte. Die brasilianische Architektin ist seit ihrer Einzelausstellung in München 2014/15 die Vorzeigefrau der Branche.

Man ist als Besucher über das Wiedersehen mit dem gehypten Bauwerk erfreut, bis man die Beton-Kirche im französischen Nevers von Paul Virilio entdeckt. Virilio hat bekanntlich über die Wehrmachtsbunker am Atlantikwall geforscht – und deren gerundete, fensterlose Formen 1963 ausgerechnet für eine Kirche verwendet. Ja, so mancher Abgrund tut sich in dieser Ausstellung auf. Das Wort „Betonmonster“ hat mehr Hintersinn, als man im ersten Moment ahnt.

Frankfurt/Main, Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, bis 2. April. Katalogbuch bei Park Books (Zürich), 2 Bde. 59 €. Mehr unter www.dam-online.de

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