"Staatenlos" im Theaterdiscounter: Reichsbürger und andere Radikale
Nicht nur harmlose Spinner: Mit „Staatenlos“ untersucht das Kollektiv Internil im Theaterdiscounter die Welt der Verschwörungstheorien.
Der König heißt Peter und sieht aus, als würde er im Nebenberuf mit Staubsaugern handeln. Trotzdem hat er alles, was ein echter Regent so braucht: samtroter Mantel, Reichsapfel, Zepter, Schwert („damit ich Licht und Schatten scheiden kann“). Und vor allem ergebene Untertanen, die ihn voller Überzeugung zu ihrem „obersten Souverän“ wählen. Was da ausgerufen wird, ist übrigens das „Königreich Deutschland“. Anno 2012, nicht zu vergessen. Falls Sie sich nun wundern, ob Sie seit Jahren in einer Monarchie leben, ohne es gemerkt zu haben – eher nein. Peters Krönung war nicht unbedingt ein mehrheitsfähiger Beschluss. Dem Himmel sei Dank.
Die bizarre Inthronisierung läuft als Video in der Performance „Staatenlos – Reichsbürger und Selbstverwalter“ von und mit Katharina Haverich, Marina Miller Dessau, Arne Vogelgesang und Christoph Wirth. Die bilden zusammen das Kollektiv Internil und begeben sich im Theaterdiscounter in das weitverzweigte Paralleluniversum von Zeitgenossen, die aus verschiedenen Gründen so ihre Probleme mit der Bundesrepublik haben. Zum Beispiel, weil sie glauben, das „Deutsche Reich“ bestünde noch fort. Oder das Grundgesetz sei keine gültige Verfassung. Und Deutschland sei immer noch ein besetztes Land.
Der Umstand, dass sich all diese Verschwörungstheorien im minutenschnellen Faktencheck erledigen lassen, beeindruckt diese Menschen ebenso wenig wie die Strafen, die ihnen für verweigerte Steuern oder zurückgeschickte Personalausweise drohen. Munter gründen sie eigene Scheinstaaten, Pseudo-Republiken oder Karnevals-Königreiche. Nun gibt es Sonderlinge natürlich überall. In den USA beispielsweise existiert eine durchaus zahlenstarke Bewegung, die zu beweisen versucht, dass die Erde selbstverständlich eine Scheibe ist. Jedem sein Hobby. Allerdings sind die „Reichsbürger und Selbstverwalter“, wie der Verfassungsschutz die grell divergente Szene der Realitätsflüchtigen zusammenfasst, nicht nur harmlose Spinner.
Beklemmende Collage der Gleichzeitigkeiten
In „Staatenlos“ stoßen einen die Performerinnen mitten hinein in den kruden Mix der Ideologien und Rechtsauffassungen. Schon staunenswert, was einem da begegnet: ein „Staatenbund Österreich“, der das Schießen mit Laserpistolen auf Menschen untersagt und alle Banken für aufgelöst erklärt. Ein Sender namens „Wakenews TV“, der sich mit der wirren Behauptung, vor deutschen Gerichten werde „das Seerecht“ angewandt, jeder Satire entzieht. Aber eben auch: radikale Rechtsextremisten und furchterregende Militante. Bei der Zwangsräumung der obskuren „Republik Ur“ – gegründet von einem ehemaligen „Mister Germany“ und Neu-Reichsbürger – wurde bekanntlich ein Polizist durch Schüsse verletzt.
Die Inszenierung überzeugt als beklemmende Collage der Gleichzeitigkeiten. Der Nazi neben dem Anthroposophen, das Gandhi-Zitat neben der Handfeuerwaffe. Performer Arne Vogelgesang hat ja schon in seiner großartigen Arbeit „Flammende Köpfe“ verstörende Einblicke in die Parallelgesellschaft ermöglicht – mit einer Tour de Force durch die hassgeladene Hitze des Internets.
„Staatenlos“ nun entfaltet einen sanfteren, aber ebenso unentrinnbaren Sog. Wo man anfangs noch über den heiteren Größenwahn der selbstermächtigten Staaten-Gründer lächelt, da hört der Spaß spätestens auf, wenn mit blanker Aggression das geltende Recht geleugnet wird. Wer nicht auf dem Boden der Verfassung steht, ist ein gefährlicher Zeitgenosse. Egal ob König oder Kauz.
wieder 29. Mai, 20 Uhr