Rechte und Rechtsextreme: Die Reichsbürger-Szene wächst weiter
Die Bundesregierung rechnet dem bizarren Spektrum von Reichsbürgern und Selbstverwaltern inzwischen 19.000 Menschen zu. 950 gelten als rechtsextrem.
Die Szene der Reichsbürger wächst weiter. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind 19.000 Personen dem zum Teil rechtsextremen Spektrum zuzurechnen, das den Staat nicht anerkennt und häufig das 1945 untergegangene Deutsche Reich als weiterhin existent ansieht. Die hohe Zahl ist eine der zentralen Aussagen in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic und ihrer Fraktion. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor.
Anfang 2018 hatte der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, von 16.500 Reichsbürgern und „Selbstverwaltern“ gesprochen. Selbstverwalter sind Leute, die ihre Immobilie als eigenen Staat ausgeben, oft aufgrund von Streitereien mit Behörden um Bußgelder oder Steuerschulden. Reichsbürger und Selbstverwalter gehören in der Regel zur selben Szene.
Auch die Anzahl der Rechtsextremisten ist gestiegen
Den Anteil von Rechtsextremisten beziffert die Regierung mit 950 Personen. Das sind 50 mehr als Anfang 2018. Nur wenige Organisationen seien Reichsbürgern und zugleich Rechtsextremisten zuzuordnen, heißt es. In der Antwort werden Vereinigungen wie „Exilregierung Deutsches Reich“ und „Neue Gemeinschaft von Philosophen“ genannt. „Sehr vereinzelt“ gebe es Bezüge von Reichsbürgern zur AfD. Ähnlich äußert sich das BfV in seinem im Januar bekannt gewordenen Gutachten, in dem es die AfD als „Prüffall“ für eine Beobachtung einstuft.
Reichsbürger verfügen weiterhin über mehr Waffen als im Durchschnitt der Bevölkerung üblich. Die Regierung erwähnt 910 Personen, die eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse haben. Das sind knapp fünf Prozent der Reichsbürger. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil der Personen mit waffenrechtlichen Erlaubnissen bei zwei Prozent. Bis zum 30. September 2018 habe es bei Reichsbürgern „über 560 Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse“ gegeben, steht in der Antwort. Der Waffenbesitz bei Reichsbürgern gilt als hochproblematisch. Im Oktober 2016 hatte ein Reichsbürger in Georgensmünd (Bayern) einen Polizisten erschossen. Zwei Monate zuvor feuerte ein Selbstverwalter in Sachsen-Anhalt auf Polizeibeamte. Im November 2016 hatte dann das Bundesamt für Verfassungsschutz Reichsbürger und Selbstverwalter zum „Sammelbeobachtungsobjekt“ erklärt.
Grünen kritisieren verengten Blick auf die Reichsbürger
Bundesweit registrierte die Polizei 2018 insgesamt 804 Straftaten von Reichsbürgern, darunter 157 Gewaltdelikte und 201 Fälle von Nötigung und Bedrohung. 169 Straftaten richteten sich gegen die Polizei, 111 Delikte gegen „Amts- und Mandatsträger“, darunter Bürgermeister, Mitarbeiter von Behörden und Politiker aus kommunalen Vertretungen. In der Statistik zu den Straftaten insgesamt fällt auf, dass zwei Delikte von links motivierten Personen verübt wurden. Konkrete Fälle werden nicht genannt. Dass Linke mit der Reichsbürgerszene kooperieren, wäre neu.
Die Grünenabgeordnete Mihalic kritisiert, dass die Bundesregierung „an ihrer Einordnung festhält, die Reichsbürger nicht als spezielle Variante des Rechtsextremismus anzuerkennen“. Dadurch werde der analytische Blick auf die Szene verengt, „zum Beispiel wenn es um das Erkennen rechtsextremer Netzwerkstrukturen geht“.