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Als sein Scheitel noch nicht so breit war. Grönemeyer 1982.
© dpa

Geburtstagsgrüße für Herbert Grönemeyer: Raunzen im Ohr, Herz auf der Zunge

Herbert Grönemeyer, Deutschlands größter Popstar, wird 60. Oft wird gespottet, er könne gar nicht singen. Dabei ist viel wichtiger: Grönemeyer hat seinen eigenen Stil, er ist eine Marke. Zwei Weggefährten gratulieren zum Geburtstag.

Michael Rother, 65, hat bei Kraftwerk, Neu! und Harmonia gespielt. Der Gitarrist arbeitet seit 1999 mit Grönemeyer.

Herbert Grönemeyer wird 60, oha! Lobpreisungs-Alarm! Wichtig: Jetzt bloß den Ball flach halten! Zwar stimme ich gerne ein in den Chor der Gratulanten, aber ein wirklicher Kenner von Herberts Musik bin ich nicht. Deshalb formuliere ich lieber einige Gedanken über den Menschen HG, sein Wirken und seine Bedeutung in Bezug auf meine Musik.

Natürlich war mir der Musiker Herbert Grönemeyer mit einigen seiner Erfolgstitel bereits in den 80ern aufgefallen. Der Humor und die sprachliche Kreativität in seinen Texten haben mich sehr angesprochen. Viel mehr wusste ich nicht über ihn – und Herbert wusste vermutlich überhaupt nichts von mir und meinen Bands Neu! und Harmonia. Gegen Ende der neunziger Jahre hörte HG die Musik von Neu! zum ersten Mal bei einem Fotoshooting in London. Auf HGs Nachfragen erzählte der Fotograf: Die Musik stammt von zwei ganz verrückten Deutschen, die streiten nur miteinander und deshalb gibt es ihre Platten bloß als Bootlegs.

Kennenlernen in der Krise

HG durchlebte gerade eine schwere Zeit, nachdem er innerhalb von einer Woche seine Frau und einen Bruder verloren hatte. Wohin mit der ganzen Energie und dem guten Willen, etwas von Wert zu schaffen, wenn man als Musiker in einer Lebensphase völlig blockiert ist? Also gründete er das Label Grönland und setzte sich in den Kopf, Neu! dafür zu gewinnen. Auch als Freunde und Branchenkenner versicherten: „Das schaffst du nie!“, ließ er sich nicht beirren. Vorher hatten ja bereits Daniel Miller von Mute und Tim Renner von Motor Music/Universal uns durchaus interessante Verträge angeboten. Vergeblich.

Herbert Grönemeyer und ich lernten uns 1999 am Rande der Popkomm in Köln kennen. Von seinen Absichten, Neu! für Grönland zu engagieren, ahnte ich nichts. Vordergründig ging es Herbert darum, für ein großes Compilations-Projekt namens „Musik in Deutschland (1950-2000)“ Stücke auszuwählen. Beim gemeinsamen Abendessen unterhielten wir uns natürlich über Musik und Neu!, aber auch offen und vertrauensvoll über private Themen. Wir verstanden uns auf Anhieb.

Er sprach mit uns als Musiker

Neben dem Stück „Flammende Herzen“ aus meinem Solokatalog sollte auch ein Stück von Neu! enthalten sein, und da wurde es schwierig, erst recht beim Gedanken an eine Veröffentlichung unserer Neu!-Alben auf Grönland. Zwischen meinem Neu!-Partner Klaus Dinger und mir gab es tiefe Gräben. Wir hatten zu dem Zeitpunkt bereits ein ganzes Jahrzehnt lang über eine legale Wiederveröffentlichung der Alben gestritten. Eine Einigung schien in weiter Ferne. Ich war gegenüber Klaus aufgrund einiger illegaler Aktionen, die er sich mit unserer gemeinsamen Musik herausgenommen hatte, ausgesprochen misstrauisch. Und Klaus schien jedem zu misstrauen. Denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Vereinbarung mit Grönland.

Das Unerwartete passierte: Herbert gewann nicht nur mein Vertrauen, sondern allmählich auch das von Klaus Dinger. Grönemeyer sprach als Musiker mit uns, nicht als Labelchef, der ständig den Taschenrechner in der Hand hält. Es ging ihm um eine Herzensangelegenheit, nämlich darum, unsere Musik wieder verfügbar und bekannter zu machen.

In vielen Einzelgesprächen und einigen Dreiertreffen, in denen Herbert wie ein Therapeut beeindruckend geduldig auslotete, welche Hindernisse es zu überwinden galt, gelang ihm das Unmögliche: Klaus und ich setzten unsere Unterschriften unter den Vertrag über die Wiederveröffentlichung der drei „klassischen“ Neu!-Alben. Neu! erschien 2001 weltweit auf Grönland, das Echo war überwältigend. Die Verkaufszahlen waren größer als je zuvor, bis heute führt mich das anhaltende Interesse an Neu! und Harmonia auf Konzertreisen rund um die Welt.

Tonleitern singen wird überbewertet

Über den Sänger Grönemeyer wird gerne gespottet. Er verschlucke die Vokale, raunze und raune herum, könne gar nicht singen. Das kann man natürlich sagen. So wie: Michael Rother kann nicht Gitarre spielen. Aber aufs Virtuosentum kommt es nicht an. Viel wichtiger ist: Grönemeyer hat seinen eigenen Stil, er ist eine Marke. Ein paar Töne genügen, um seine Stimme zu erkennen. Als Künstler eindeutig in seiner Handschrift erkennbar zu sein, ist höher zu bewerten, als wenn einer lupenrein die Tonleitern singen kann.

1999 schaute Grönemeyer auf dem Weg von Köln nach Berlin in meinem Studio in Forst im Weserbergland vorbei, wo schon Brian Eno 1976 mit meiner Band Harmonia (mit Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius) aufgenommen hatte. Ich arbeitete gerade an meinem Soloalbum „Remember (The Great Adventure)“ und spielte ihm meine Aufnahmen mit der Sängerin Sophie Williams vor.

Mir schwebte als Kontrast zu ihrer weichen, klaren Stimme ein raues männliches Organ vor. Grönemeyer war interessiert und hat dann spontan improvisiert, seine Gesangsparts waren reine Lautmalereien. Auch seine eigenen Kompositionen begleitet er ja zunächst mit Silbengesängen, die er „Bananentexte“ nennt. Seine Kraft, seine Emotionalität und sein Mut zur Offenheit sind in solchen freien Improvisationen intensiv zu spüren.

Sie sind seitdem für mich eine Inspiration. Vielen Dank, Herbert, und herzlichen Glückwunsch!

Balbina: Seine Lieder berühren uns

Kann doch tanzen. Grönemeyer 2015 bei einem Konzert in Chemnitz.
Kann doch tanzen. Grönemeyer 2015 bei einem Konzert in Chemnitz.
© dpa

Balbina, vor 32 Jahren in Warschau geboren, lebt in Berlin. Sie begleitete Grönemeyer 2015 bei der „Dauernd jetzt“-Tour.

Es muss irgendwann um die Wende herum gewesen sein. Eine ungewohnt kraftvolle und schroffe Stimme tönt „Was soll das“ aus dem Radio. Ich verstehe den Inhalt des Textes zwar nicht wirklich, aber ich mag die Melodie. Ich mag bis heute, wie Herbert Grönemeyer die Silben fast zu spät in den Takt setzt. Nun weiß ich, dass die Melodie bei ihm über den Text herrscht. Dass er in Lautsprache seine Lieder skizziert, um dann akribisch die Silben seiner Dichtung in die Instrumentale zu legen. Sein Gesangsstil, aber auch sein Songwriting sind markant, anders, unerwartet.

Immer das Kantige, Besondere

Er schreibt „Bochum“, eine Liebeserklärung an eine spröde Industriestadt und verursacht Gänsehaut bis nach Berlin. Er singt über „Flugzeuge im Bauch“, so, dass mir Tränen in die Augen schießen. Seine Lieder sind nie das Übliche, immer das Kantige, Besondere. Zu „Morgen“ erfahre ich, dass er mich als Vorgruppe für seine „Dauernd Jetzt“-Tour mitnimmt. Das bedeutet mir viel, es ist bis jetzt eine der größten Würdigungen meiner Arbeit, von ihm bemerkt und geschätzt zu werden.

Seine Lieder berühren mich in sehr privaten Momenten. Nicht weil er als Person nahbar ist, wie so viele Künstler meiner Generation. Er postet weder sein Schnitzel auf Instagram, noch fragt er auf Snapchat seine Fans, welche Drums sie lieber mögen. Er schützt sein Alltagsleben, wahrt die Distanz zu Boulevardmedien. Und berührt trotzdem, weil er seine Kunst auf den Punkt bringt. Weil er sich abschottet und solange feilt, bis seine Arbeit ihm rund erscheint. Erst dann tritt er wieder ins Licht und wird durch seine Lieder und seine Auftritte mit dem Publikum eins. Er kommuniziert so klar und direkt auf der Bühne, dass ich mich fühle, als würde er mit mir sprechen / Ratschläge geben / Scherze machen / mir Trost spenden.

Er kämpft für die Kleinen

In einer Zeit, in der kommerzielle Musik ausschließlich auf den Bedarf der Mehrheit hin konzipiert wird, rennt man als Querkopf oft gegen Wände. Grönemeyer beweist, dass man dem Publikum nicht nur die leichteste Kost servieren darf, sondern es herausfordern muss. Er macht Künstlern wie mir Mut, ihre Ideen umzusetzen, auch wenn sich der Gegenwind schon auf Sturmniveau befindet. Er verweigert sich den Streamingdiensten und verursacht damit eine öffentliche Diskussion, zugunsten vieler kleinerer Künstler, deren Schaffen stehen und fallen kann mit ein paar hunderten Euro verlorener Downloads.

Manchmal frage ich mich, wie das so für ihn ist, wenn er zum Supermarkt geht und ihn die Blicke streifen. Ob er es noch merkt, es ihm schmeichelt oder ihn vielleicht bedrängt? Ich frage mich, ob er darüber nachdenkt, wie viele ihm unbekannte Menschen seine Stimme hören, seine Lieder als Soundtrack für den ein oder anderen Tag nutzen. Bei seinen dreistündigen Konzerten unterstützt ihn die Menge als bombastischer, textsicherer Chor.

Staatsmann von nebenan

Als ich ihn 2014 kennenlerne, reicht er mir die Hand: „Hallo, Herbert!“, ich entgegne: „Hallo, ich bin die Bina“ und denke natürlich „Ich weiß“. Und plötzlich ist er ein Mensch wie ich, keine so große Überraschung eigentlich. Er spricht über seine Arbeit am neuen Album, ich erzähle ihm von meinem. Kollegen, die sich austauschen. Er ist sehr humorvoll, mit jedem Lachen verfliegt die Distanz zwischen uns. Kurz danach geht er auf die Bühne eines Theaters, um über die Musikwirtschaft, sein Schaffen und bestimmte Zukunftsvisionen zu sprechen.

Ich sitze im Publikum, höre zu; seine Worte haben Gewicht, später werden sie heiß diskutiert. Und ich erinnere ich mich wieder an die Leichtigkeit unseres Gesprächs. Er tänzelt von einer Begegnung zur nächsten, elegant, aufmerksam. Wie ein Staatsmann, aber ganz von nebenan.

Michael Rother, Balbina

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