"Dauernd jetzt"-Tour in Berlin: Herbert Grönemeyer holt die Diskokugel raus
Bergmannsglück und Bergmannschor: Herbert Grönemeyer hat seine „Dauernd jetzt“-Tour gestartet. Mittwochabend rockte er die 02-World in Berlin.
Das auch mal erlebt. Beim Herbert gewesen. Grönemeyer selbstredend. Dem blassen Gröl-Flummi aus dem Pott, besser bekannt als größter deutscher Popstar. Letzteres stand im November anlässlich der Veröffentlichung seines 14. Studioalbums „Dauernd jetzt“ mal wieder überall mit deutlich spürbarem Feuilletonistengrusel und ebenso deutlich spürbarem Respekt zu lesen. Auch jetzt im Vorfeld der am Dienstag in Chemnitz gestarteten, vorerst 28 Konzerte umfassenden Hallen- und Stadientour, die auch in Berlin wieder nur Rekorde aufweist: ausverkaufte O2-World am Mittwochabend, ausverkaufte Zusatzshow am 12. Juni in der Waldbühne, schon Karten für das jüngst am 7. Juni nächsten Jahres geplante zweite Zusatzkonzert wieder in der Waldbühne. Der deutsche Mittelstand, dessen Seele Grönemeyer in seiner Musik seit gut 30 Jahren angeblich wie kein zweiter zu durchleuchten versteht, fühlt sich offensichtlich ungebrochen erkannt.
Auch in der Arena am Ostbahnhof, wo nach dem kraftvollen Auftritt der Berliner Popsängerin Balbina, die Altmeister Grönemeyer mit der Auswahl als Vorband zu Recht adelt, pünktlich nach der Tagesschau der Hauptfilm losgeht. Auf einer zappendusteren, von oben durch blaue Spots akzentuierten Bühne. Aus der Schwärze steigt Grönemeyers Stimme, die Musiker funzeln sich mit Grubenlampen den Weg zum Bandstand. Die irrlichternd beginnende Bergmannshymne „Unter Tage“ schwillt zum breitbeinig stampfenden, rockigen Beat. Und dann: Spot an! Jubel aus tausenden Mittelstandskehlen. Herbert und seine acht altgedienten Bandkumpel stehen im grellweißen Licht. „So ein schöner Empfang“, freut sich Grönemeyer. Das wird er in den nächsten zweieinhalb Stunden noch oft sagen. Zu Hause zu spielen, das sei ja immer besonders aufregend, teilt der Teilzeit-Einheimische mit den drei Wohnsitzen fröhlich mit. Und dass er, nachdem er 2008 ja zur Neueröffnung der Halle hier gespielt habe, jetzt schon wieder für die Wiedereröffnung nach einer für 2050 geplanten Renovierung eingeplant sei. Der Sound ist grell und anfangs breiig, die Stimmung von der ersten Sekunde an prächtig. Grönemeyer gurgelt, grölt, kiekst. Auch der Text des zweiten Songs „Wunderbare Leere“, ebenfalls vom Album „Dauernd jetzt“, ist kaum zu verstehen. Beim dritten Song spielt das dann keine Rolle mehr: Die in Grönemeyer-typischer Wortverdreher-Lyrik verfasste Hitnummer „Fang mich an“ kennen alle längst auswendig. Zeit für eins von Herberts stets in stimmiger Taktzahl eingestreuten selbstironischen Scherzchen. „Ich muss erst noch meinen Schmuck anlegen, um vom meinem Gesicht abzulenken“, sagt der inzwischen 59 Jahre alte Herr und nestelt an seinem Handgelenk herum. Dabei ist sein Bühnenlook – schwarzes Shirt, Sakko, Hose, weiße Sneaker - so unverbrüchlich achtziger wie die später erklingenden Saxofon-Soli von Frank Kirchner. Inhaltlich heutig ist dafür der gesellschaftspolitische Miniblock aus „Unser Land“ und „Uniform“, Grönemeyers Protestnote gegen digitale Diktatur und Datenpreisgabe im Internet. Optisch sehr stylish als flackernde, über die ganze Bühnenbreite laufende Zahlenbanderole auf kontrastierendem Farbteppich inszeniert.
Berlin als einig Bergmannschor
Überhaupt ist die Kombination aus sechs beweglichen LED-Panels über der Bühne, LED-Flächen hinter und unter den Musikern samt der damit verzahnten Licht- und Farbdramaturgie aus unzähligen Spots very sophisticated. Grönemeyer als alter Theatermann weiß natürlich, dass ein Gesicht, dass beim Bedienen des E-Pianos auch mal drei Kinne aufweisen kann, nicht als Allerweltsbespielung einer langweiligen Großbildleinwand taugt. Folglich gibt es die auch nicht, sondern stattdessen sechs durch eine Art Rahmenoptik veredelte hüpfende Herberts auf einmal.
Und was der Mann hüpfen kann! Mit der Hand auf dem Herzen wie bei „Fang mich an“. Mit den Armen in der Luft. Mit anschließendem Kniefall am äußersten Rand des in die Halle ragenden Bühnenausläufers. Grönemeyer schafft sich, macht Dampf, ist unterwegs. Die fünf Titel von „Dauernd jetzt“ sind reine musikalische Druckbetankung. Und dann? Dann kommt eine halbe Stunde nach Konzertbeginn der Zeitpunkt, wo alle aufstehen und Vati Mutti den Arm um ihre sanft gerundete Mittelstandshüfte legt. Grönemeyer intoniert solo am E-Piano „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“. Gänsehaut! Alle wissen, dass jetzt „Bochum“ kommt. Der Überhit des Shouters von 1984, nicht als nette kleine Mitsing-Nummer, sondern musikalisch und visuell als wahrhaft große Volksoper inszeniert. „Dehein, Grubengohold, hat dich wieder hochgeholt, duhu Bluhume im Revier!“ Berlin als einig Bergmannschor.
Wirklich einzigartig, der Mitmachfaktor bei Grönemeyer. Nicht mal Udo Jürgens, der andere deutschsprachige Superpopstar, hatte so melodie- und textsichere Fans. Entsprechend großzügig lobt der Meister nach einer Reggae-Fassung von „Mensch“: „Schön gesungen. Wirklich. Sehr sauber durchgesungen“. Aber auch bei „Flugzeuge im Bauch“, „Der Weg“, „Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist“ oder „Männer“ baut er Volkes Stimme ganz beiläufig als Stilelement in den eigenen, leise Töne gänzlich scheuenden Gesang ein. Der Song sei ja der Beweis, dass sie eine intellektuelle Band seien, frotzelt Herbert. „Ich bin ja auch ein großer Denker.“ Allgemeine Heiterkeit.
Herbert ist ein großer Freuer
Ein großer Freuer ist er jedenfalls. Immer wieder ballt er die Fäuste, hebt hilflos die Arme und bestaunt verzückt lächelnd und Kopf schüttelnd sein glückliches Los: ein vielgeliebter Popstar zu sein. Hat schließlich auch Schweres ertragen, der Herbert. Und ist doch wieder froh geworden. Herzenssache, Haltungsfrage. „Herrlich, wunderbar, was für ein Abend!“, ruft er ein ums andere Mal und stimmt den Gassenhauer„Oh, wie ist das schön“ an. Und wer es bislang nicht spürte, für den wird es angesichts dieses seligen Kindmannes wahr.
Da macht es auch nichts, dass die Show eigentlich „Immer gestern“ heißen müsste, statt „Dauernd jetzt“. Denn abgesehen vom Eingangsblock sind später nur noch fünf weitere Nummern vom aktuellen Album zu hören, davon drei, wie der schöne Afrika-Song „Feuerlicht“, gar erst in den Zugabenblöcken versteckt. Das verschiebt das Gewicht in Richtung Best-of-Grönemeyer und wirkt vorsichtiger, als es das wie immer oben in den Charts eingestiegene Album verdient. Wo er doch sonst gar kein Ängstlicher ist. Erst im Januar in Dresden gegen Pegida gesungen hat. Und auch jetzt auf der Bühne gegen die Furcht der Leute vor Flüchtlingen die Stimme erhebt.
Der umjubelte Schluss reißt’s dann wieder raus. Herbert holt die Diskokugel raus. Eine ganz ganz große fährt die Bühnendecke hoch. „Fang mich an“ als Dancefloor-Remix. Das groovt, das glitzert, die Halle tanzt nach Haus. Endlich auch mal beim Herbert gewesen. Gefreut.
Zusatzshow 1 Waldbühne 12.6.2015 ausverkauft, Zusatzshow 2 Waldbühne 7.6.2016 im Vorverkauf
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