zum Hauptinhalt
Kunst ist Diktatur. Meese baut mit Wagner und Pop sein eigenes Universum auf.
© Jan Bauer / Wiener Festwochen

Jonathan Meese schießt "Parsifal" ins All: Raumschiff Richard Wagner

Was Bayreuth verpasst hat: Jonathan Meese zelebriert bei den Wiener Festwochen seinen „Mondparsifal“.

Zu Beginn lagert Dunkelheit über dem Saal. Ein einziger Ton schält sich aus der Schwärze. Er erinnert an den Beginn des Vorspiels von „Parsifal“. Doch es ist, als käme die Musik nicht vom Fleck, als bliebe sie kleben, schraube sich immer tiefer hinein in den Augenblick, ins Jetzt. Von der Obertitelanlage her flackert es in rötlichen Lettern: „Wagnerz kommt“. Da hebt sich der Vorhang: ein wildes Felsengebirge aus Gips und eine rauchende Stele mit der Aufschrift „Demut“. Am Horizont prangt spacige Weltall-Malerei. Willkommen im Kunstkosmos von Jonathan Meese.

Im vergangenen Jahr hätte er Richard Wagners „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen inszenieren sollen. Doch dazu kam es nicht. Dass die Kosten Grund für die Entlassung gewesen sein sollen, glaubt eigentlich niemand. Der Eklat hat Meese schwer getroffen, man spürt es in fast jedem Interview. Jetzt haben die Wiener Festwochen zugegriffen und ihn gebeten, seine Ideen doch noch im Theater an der Wien umzusetzen – zu einer völlig neu komponierten Musik von Bernhard Lang. Das Experimentelle, Anti-Traditionelle fügt sich dieses Jahr besonders gut ins Programm.

Die Festwochen gehen unter ihrem neuen Leiter Tomas Zierhofer-Kin den Weg ins Performative. Statt klassischer Theaterabende, die fast nur durch Ivo van Hoves „Obsession“ (mit Jude Law) vertreten sind, prägen jetzt neue Formate das Programm, wie das tanzzentrierte „Performeum“ oder die „Akademie des Verlernens“, wo den Besuchern westliche Verhaltensweisen abtrainiert werden sollen. Auch Friedenspreis-Trägerin Carolin Emcke hat hier aus ihrem Buch „Gegen des Hass“ gelesen.

Wien geht hier neue Wege

Den Blick umdrehen, das Eigene anders sehen – das tun auch Meese und Lang, Höhepunkt der Festwochen. In „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz)“ wollen sie Wagner von allem Mythengerümpel entkleiden, um zum „Notwendigen“ vorzustoßen, wie Meese es nennt. Zu dem, was 120 Jahren Parsifal-Rezeption überlagert haben. Der barocke Titel ist für Meese’sche Verhältnisse noch kurz. Man muss ihn auch nicht allzu wörtlich nehmen, die Silbe „Erz“ als Inbegriff des Wesentlichen gehört zum Soundtrack seines Schaffens. Dass Parsifal im All spielt, ist quasi zwingend: Auf Erden ist sowieso nichts mehr zu retten, wir brauchen einen frischen Blick auf die Welt, also ab in die Rakete.

Für Meese, der fast immer mit Adidas-Jacke auftritt, liegt das Heil einzig in der Kunst. Und die ist natürlich etwas völlig anderes als Kultur, geradezu ihr Gegenteil. Kultur ist für Meese der Blick zurück in die Vergangenheit. Kunst bedeutet nach vorne schauen oder vielmehr: der Blick der Zukunft auf uns. Weshalb er seit Jahren militant die „Diktatur der Kunst“ einfordert, in Wien auch mit Pünktchen: K.U.N.S.T, als sei’s eine politische Partei. Gerne auch mal mit Hitler-Gruß, was ihm mehrere Anzeigen, aber auch Freisprüche eingetragen hat. Würde man ihn als „Obersturmbannführer der Kunst“ bezeichnen, er hätte sicher kein Problem damit. Dass so einer früher oder später bei Richard Wagner landet (eher früher, 1999 hat Messe seine erste Wagner-Performance abgeliefert), ergibt sich von selbst. Auch Wagner war maßlos in seinem Kunstwollen und hat in seinem sich christlicher Symbolik nur vordergründig bedienenden „Parsifal“ die Kunst als neuen Glauben, als Nachfolgerin der Religion installiert.

Was der Besucher in Wien sieht und hört, ist nicht „Parsifal“ – und ist es doch, überschrieben, weitergeschrieben, übertüncht von Meeses aus vielen Quellen zusammengerührter Kunstwelt. Zu der gehört „Star Trek“ genauso wie John Boormans Sci-Fi-Dystopie „Zardoz“ (mit Sean Connery) von 1974. Amfortas (Tómas Tómasson) wie auch die Gralsritter (Arnold Schoenberg Chor) tragen Spock-Uniformen, Amfortas Wunde ist ein drehender Kreisel in Lollypop-Form. Kundry (Magdalena Anna Hofmann), für Meese die „Erzmutter“, kommt mit Knarre wie Barbarella daher, und Parsifal (Daniel Gloger), der mit einem „Raumsiff“ einschwebt, als Tom-of-Finland-Verschnitt im engen Jockstrap. Später wird er eine goldblitzende Erlöseruniform anlegen.

Meese hat seine ganz eigene Sprache

Und als ob es der Ebenen nicht schon genug wären: Auch die Obertitelanlage hört nicht auf zu plappern. Meese nutzt sie als zusätzliche Spielfläche, kommentiert hier quasi jeden Vers mit eigenen Assoziationen. Gurnemanz (Wolfgang Bakl) kündigt Kundry an mit den Worten „Seht die wilde Reiterin“. „LEITMOTIV LIEBE“, schreibt Meese darunter. Zu „Ihm kehrten die Schmerzen bald zurück“ schreibt er: „LOHN DER KUNST“. Und zu „Am Boden kriecht sie“ – „HERZBLUT“. Schwer zu glauben, dass auch nur irgendetwas davon in Bayreuth durchgegangen wäre.

So ist dies ein völlig neues Werk geworden. Das liegt auch an der Musik von Bernhard Lang. Sie umspielt Richard Wagner, entfernt sich stellenweise, kommt ihm dann in einzelnen Motiven sehr nahe bis hin zum direkten Kopieren. Langs wichtigstes Mittel: Das Insistieren, die permanente Wiederholung. Orchester und Sänger krallen sich gleichsam über viele Takte hinweg an einzelnen Worten und Wendungen fest, auf der Suche nach dem „Dahinter“, der Essenz. Schlagwerk spielt eine zentrale Rolle, dieser „Mondparsifal“ ist auch eine Jazzoper. Den zweiten Akt eröffnet ein ausgedehntes Saxofonsolo. Simone Young am Pult des Klangforums Wien dirigiert das alles prägnant, präzise, auf den Punkt, und doch klangschön, rauschhaft, prunkvoll. Daniel Gloger als Parsifal gibt alles, durcheilt sängerisch die Lagen von der grummelnden Tiefe in schmerzende Höhen, mit einer bei Countertenören nicht selbstverständlichen Kraft und Dynamik. Als er später, wenn Kundry ihn küsst, die Wahrheit von Amfortas Wunde erkennt, steigert sich sein Gesang zum wilden, berührenden Schrei. Musik, die anfasst.

Wagner vom Mythenschlamm befreien

Auch Dreieck, Quadrat, Kreis und die Unendlichkeits-Acht sind in die Inszenierung verwoben. Für Meese sind sie Symbole, mit denen sich die ganze Welt fassen lässt. Im Wiener Kunsthistorischen Museum hat sich der Künstler parallel mit Velázquez’ Gemälden der Infantin Margarita Theresa von Spanien auseinandergesetzt, deren Kleider eben diese geometrischen Formen nachvollziehen. So kann sich der Wien-Besucher in Meeses Zitatengewitter, den Entschlüsselungswahnsinn hineinbegeben – oder die permanente Überforderung annehmen, sie akzeptieren als ein Mittel, Wagner vom Mythenschlamm zu befreien. Dass der dann doch wieder aufgerufen wird, indem Meese den ganzen dritten Akt Fritz Langs monumentalexpressives Stummfilmepos „Die Nibelungen“ im Hintergrund mitlaufen lässt, gehört zu den Nüssen, die der Besucher zu knacken hat.

Meese, der quecksilbrige Vogel der Ironie. Auch in Berlin: Dort wird sein „Mondparsifal“ im Oktober im Haus der Berliner Festspiele gezeigt. Natürlich unter einem neuen Titel. Im Moment geplant: „Mondparsifal Beta 9-23. Von einem, der auszog, den ,Wagnerianern des Grauens‘ das ,Geilstgruseln‘ zu erzlehren“. Mal schauen, ob es dabei bleibt. Das Universum des Jonathan Meese wuchert ständig weiter. Vielleicht merkt man das ja auch noch in Bayreuth.

Zur Startseite