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Journal d'une femme de chambre
© dpa

„Journal d’une femme de chambre“: Rache der Servicekraft

Dienstmädchen mit Durchsetzungskraft: Léa Seydoux gibt in Benoît Jacquots „Journal d’une femme de chambre“ eine eigensinnige Celestine.

Es ist erst der dritte Festivaltag und schon sehen wir die dritte leinwandbeherrschende junge Fin-de-Siècle-Frau. Wir hatten eine einsame Nordpolfahrerin und eine Wüstenpionierin; zu ihrer Entlastung konnte jeweils gesagt werden: Es gab sie wirklich.

Mit Celestine nun verhält es sich anders: Sie ist Kammerzofe. Ein paar Jahre noch bis zum ersten großen Krieg, und an seinem Ende wird dieser scheinbar so zeitlose Berufsstand fast verschwunden sein. Celestine gehorcht, anders als Nordpol- und Wüstenpionierinnen, mehr dem klassischen Frauenbild: Sie dient. Und zu ihren Aufgaben gehören auch solche von mehr erotischer Natur.

Léa Seydoux behauptet sich gegen Luis Buñuel

Das Kino liebt den Roman von Octave Mirbeau. Zuerst kam 1946 Jean Renoir, er ließ seine Pariser Kammerzofe zugleich mit der Köchin irgendwo in der Normandie, in der Provinz eintreffen. Der Hausdiener, der sie abholen soll, will die Köchin gleich wieder zurückschicken: zu mager, zu hässlich. Da sagt Celestine zum ersten Mal in ihrem Leben einen Satz, der ganz ihr gehört: Wenn sie gehen muss, gehe ich auch!

Bei Luis Buñuel 1964 traf Celestine allein am Bahnhof ein: Es war Jeanne Moreau! Moreau gehört zu den Naturgewalten, es ist nicht fair, gegen eine Moreau antreten zu müssen. Doch in Léa Seydoux’ Gesicht findet Benoît Jacquots Neuverfilmung sofort ihren Halt. Es wirkt nicht damenhaft wie Paulette Goddard bei Renoir, im Gegenteil, eine kleine Derbheit ist darin, schon in der etwas aufwärts zeigenden Nase, ein leiser Trotz, der diese Celestine sofort beglaubigt in ihrer Lebensstellung als Personal und sie zugleich darüber hinaushebt. Und dann kann dieses Gesicht auf eine beinahe ätherische Weise schön sein.

Benoît Jacquots Pointe

Die Eingangsverhöre gleichen sich bei allen drei Celestinen. Sind Sie sauber? Zerbrechen Sie viel?, will die Hausherrin wissen und befindet, dass Celestines Kleid sehr schön ist, weshalb sie es sofort ausziehen müsse. Es ist diese Weise, über einen Menschen ganz zu verfügen, die heute so skandalös scheint. Und vielleicht gehörte Celestine zu der ersten Generation von Dienstmädchen, die mit aller Macht wussten: Ich bin nicht als Servicekraft auf die Welt gekommen!

Anders als die Nordpolfahrerin und die Kamelreiterin führt Celestines Expeditionsweg in die Freiheit von Mann zu Mann. Sie bricht dann ausgerechnet mit dem antisemitischen Diener auf. Zwei Emporkömmlinge, die wohl auf dem Rücken anderer leben werden: Nicht die nur die Bourgeoisie ist hässlich, wir sind es auch? Dies ist wohl die Pointe Jacquots, der die anderen Celestine- Filme nicht überglänzt, aber sich auf schöne Weise in ihr Gespräch über die Zeiten hinweg einfügt.

8.2., 9.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele, 12 Uhr (Friedrichstadtpalast), 22 Uhr (International), 15.2., 10 Uhr (Berlinale Palast)

Kerstin Decker

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