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Kunst der Rede: Die Hauptfigur in „Quai d’Orsay“ ist Dominique de Villepin nachempfunden.
© Reprodukt

Festival International de la Bande Dessinée: „Quai d’Orsay“ als bestes Album des Jahres geehrt

Mit Akira Toriyama („Dragon Ball“) zeichnete die Jury von Angoulême außerdem einen Klassiker der Mangas mit einem Sonderpreis aus. Eine Edition von George Herrimans „Krazy Kat“-Geschichten hat den Kulturerbe-Preis erhalten.

Europas wichtigste Comicpreise sind vergeben. Im Rahmen der traditionellen Zeremonie im Theater von Angoulême wurden die neun „Fauves“ vergeben, die die Figur des katzenähnlichen Festivalmaskottchens besitzen. Zur Ehre der Preisträger schien am Sonntag, dem letzten Tag des Festivals dann auch erstmals die Sonne - einen ausführlichen Bericht über die ersten Festivaltage finden Sie unter diesem Link..

Für sein Lebenswerk wurde der niederländische Zeichner Bernard Willem Holtrop (Willem) ausgezeichnet, der selbst nicht auf dem Festival war. Er wird im kommenden Jahr die Jury des Festivals führen. Einige seiner Comics liegen beim Verlag Edition Moderne auf Deutsch vor, so „Europa über alles“ und „Klara und Ricky; eine Reise um die Welt“. Erstmals trug im 40. Jahr des Festivals auch das Publikum mit zum Endergebnis für den Großen Preis von Angoulême bei. Im Rennen für diese Auszeichnung waren neben Willem mit Pierre Christin, Cosey, Nicolas de Crécy, Hermann, Manu Larcenet, Lorenzo Mattotti, Alan Moore, Katsuhiro Otomo, Marjane Satrapi, Joann Sfar, Posy Simmonds, Jirô Taniguchi, Akira Toriyama, Jean Van Hamme und Chris Ware insgesamt 16 internationale Künstler.

Rund um die Auszeichnung für das Lebenswerk spielte sich mitunter Skurriles ab. Manu Larcenet, dessen liebevolle Comics „Der alltägliche Kampf“ und „Rückkehr aufs Land“ auch in Deutschland viele begeistern, forderte beispielsweise seine Fans über seinen Blog auf, nicht für ihn zu stimmen, da er keine Lust auf den Stress als Jurypräsident habe. Lewis Trondheim, der Vater der Reihen „Donjon“, „Herr Hase“ und „Kosmonauten der Zukunft“, teilte vorher mächtig gegen das Konzept des Festivals als Verkaufsmesse aus, um sich möglichst lautstark aus dem Rennen zu kegeln. Und ob Alan Moore bei einer Auszeichnung nach Angoulême gekommen wäre, um hier der Jury vorzusitzen, war von Anfang an fraglich, denn als er 2008 den Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk in Erlangen erhielt, hatte er auch keine Lust, nach Deutschland zu kommen.

Wie in allen Jahren, in denen das Festival ein Jubiläum zu feiern hatte, wurde auch in diesem Jahr ein Spezialpreis ausgelobt. Erhalten hat diesen „Ehrenpreis“ zum 40-jährigen Festivaljubiläum der Japaner Akira Toriyama, der Schöpfer der weltberühmten „Dragon-Ball“-Saga, deren 42 Bände in Deutschland im Carlsen-Verlag erschienen sind. Dass das Comicfestival in Angoulême einen Preis an einen der renommiertesten Vertreter der japanischen Manga-Kultur vergibt, war angesichts der enormen Bedeutung dieser Kultur längst überfällig. Eine gute Entscheidung.

Christophe Blain und Abel Lanzac haben mit dem zweiten Teil von „Quai d’Orsay“ die Fauves d’or, den wichtigsten Comicpreis Europas für das beste Album im vergangenen Jahr erhalten. Blain und Lanzac haben sich gegen Großmeister wie Charles Burns, Jacques Tardi oder Chester Brown durchgesetzt. Blain gewinnt damit nach 2002 („Isaak, der Pirat“, Band 1) bereits zum zweiten Mal den Preis für das beste Album. In dem Politcomic „Quai d’Orsay“ wird auf amüsante und zugleich tiefgründige Weise von den alltäglichen Abläufen im französischen Auswärtigen Amt unter Außenminister Dominique de Villepin erzählt. In Deutschland sind die beiden „Quai d’Orsay“-Alben in einem Buch erschienen und haben – völlig zu Recht – begeisterte Kritiken hervorgerufen. Hinter Abel Lanzac verbirgt sich die Hauptperson des Comics, der unter de Villepin als Redenschreiber gearbeitet hat. Der Name ist ein Pseudonym, insofern waren alle gespannt, wer hinter diesem Decknamen steckt. Der inzwischen in New York lebende Mann heißt tatsächlich Antonin, der mit seinem Zeichner Christophe Blain gern noch einige andere Geschichten erzählen wolle, sagte er auf der Bühne des Theaters in Angoulême. Auf diese Geschichten kann man sich nur freuen. Das Paradoxe, ergänzte er, sei, dass er diese Geschichte schreiben und erzählen wollte, um aus der verrückten Welt des Ministeriums und der auswärtigen Angelegenheiten herauszukommen. Nun habe er das Gefühl, dass er damit in eine neue verrückte Welt eingetreten sei. Im vergangenen Jahr hatte Guy Delisle den Preis für seine „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ (Reprodukt) erhalten.

Herausragend: Eine Seite aus Glyn Dillons „Le Nao de Brown“.
Herausragend: Eine Seite aus Glyn Dillons „Le Nao de Brown“.
© Promo

Die weiteren Preise der Jury

Den Spezialpreis der Jury, der in diesem Jahr der französische Zeichner Jean-Claude Denis vorsaß, hat der Engländer Glyn Dillon für sein Album „Le Nao de Brown“ erhalten, in dem in Anlehnung unter anderem an den Stil der japanischen Mangas die Geschichte einer Frau erzählt wird, die immer wieder von seltsamen Krämpfen und Obsessionen heimgesucht wird. Der Spezialpreis ist so etwas wie die Silbermedaille bei einem Wettkampf, mit dem die Jury die besondere Aufmerksamkeit auf ein Werk lenken will, das zwar nicht als bestes Album ausgezeichnet wurde, aber in origineller Weise eine Geschichte erzählt. Bei Glyn Dillon ist dies der Fall, denn unter der Oberfläche dieser intensiven Geschichte, in der ständig die Ebenen zwischen Fantasie und Wirklichkeit gewechselt werden, liegt die Suche nach der eigenen Identität und der großen Liebe. 2012 hatte Jim Woodring den Preis für sein surreales Album „Frank und die Versammlung der Tiere“ erhalten.

Jedes Jahr wird in Angoulême auch ein Album ausgezeichnet, das sich in besonderer Weise der Welt öffnet und zum Wiederentdecken eines Werkes einlädt. Der Preis ist so etwas wie die Auszeichnung für ein Kulturerbstück. In diesem Jahr hat der Verlag „Les rêveurs“ für ihre großformatige Neuauflage von George Herrimans „Krazy Kat“ den „Preis für das beste Erbe“ erhalten. Das schwergewichtige Album versammelt alle Krazy-Kat-Erzählungen, die in Frankreich jemals erschienen sind und ist ein wirkliches Sammlerstück. Nachdem im letzten Jahr eine Sammlung der von Carl Barks gezeichneten Donald-Duck-Erzählungen („Die Dynastie Donald Duck“) ausgezeichnet wurde, bekommt den Preis auch in diesem Jahr wieder ein amerikanischer Klassiker.

Als beste Serie wurde „Âama“ geehrt, gezeichnet von dem Schweizer Frederik Peeters. Im Mittelpunkt der bislang zwei Bände zählenden Serie steht Verloc Nim, ein junger Mann, der gemeinsam mit seinem Bruder Conrad und einem mechanischen Affen mit unglaublichen Kräften eine exterrestrische Kolonie aufsucht, in der ein wissenschaftliches Projekt vor Jahren aufgegeben wurde. Nun gilt es, dieses wieder aufzugreifen. Peeters hat mit „Âama“ eine grafisch erschlagend gute Science-Fiction-Serie begonnen, die mit fantastischen Lebewesen und grandiosen grafischen Ideen aufwartet. Lange konnte man im Comicbereich nicht mehr eine solch utopische Fantasie ausmachen. Es ist ein Glück, dass die Serie bei Reprodukt ein Zuhause gefunden hat und im September 2013 der erste „Âama“-Band auf den deutschen Markt kommt. 2012 erhielt das Autorenduo Romuald Reutimann und Pierre Gabus den Preis für ihre Serie „Cité“.

Als bester Newcomer wurde der Jon McNaught für sein Debütalbum „Automne“ (Herbst) ausgezeichnet, in dem er aus dem Alltag dreier Briten in einer Kleinstadt erzählt. Der Band lebt von den kleinen Momenten und Wendungen, die so manchem Leser ans Herz gehen mögen. Ob der Band allerdings einen deutschen Verlag finden wird, ist schwer zu beurteilen. Er tritt damit in die Stapfen von Gilles Rochier, der im vergangenen Jahr mit „T.M.L.P.“ (Ta mère la pute – Deine Mutter die Hure) mit einer radikalen Vorstadtgeschichte den Preis abräumte und in Angoulême die „Fauve“ selbst übergab.

Mit dem Publikumspreis wurde Marion Montaignes Album „Tu mourras moins bete“ (dt. Du stirbst weniger dumm) ausgezeichnet, eine Sammlung kurzer Strips, von denen der zweite Band nominiert war (hier geht’s zum Buchblog). Das Publikum konnte zwischen acht von Kulturexperten vorausgewählten Alben wählen. 2012 erhielt Morgan Navarro für sein Album „Teddy Beat“ die meisten Stimmen aus dem Publikum.

Von den Alternativcomics haben die Zwillingsbrüder Ed und Allessandro Totta mit ihrem Album „Dopututto Max“ die Jury am stärksten beeindruckt. Beim vergangenen Festival hatte David Schilter den Preis eine Sammlung mit Zeichnungen, Strips und Kurzgeschichten aus Lettland gewonnen. Den ersten Preis im Alternativcomic hatte übrigens Jacques Glénat vor 40 Jahren gewonnen, der heute eines der großen französischen Comichäuser führt.

Von den fünf vorgeschlagenen Comic-Krimis setzte sich Anthony Pastor mit seinem pastelligen Album „Castilla Drive“ gegen die Mitkonkurrenten durch. Im Mittelpunkt steht hier witzigerweise nicht der Detektiv, sondern dessen attraktive Frau, die in einen düsteren Strudel der Ereignisse gerät. Anthony Pastor löst Simon Hureau ab, der 2012 mit seinem Album „Eingang in die Zwischenwelt“ den Preis gewann.

Bereits am Donnerstagabend wurde der Preis für das beste Album für junge Leser vergeben. Die Kinderjury entschied sich dabei für das Album „Die Legendären – Ursprünge. 1. Danaël“ von Szenarist Patrick Sobral und Zeichner Nadou. Der Comic bildet die Vorgeschichte der bislang 15-bändigen Serie „Die Legendären“, einer im Mangastil gezeichneten Geschichte von Erwachsenen in Kinderkörpern, die sich in einer feindlichen Welt behaupten müssen. Während sich die Serie in Frankreich, Spanien und England einer großen Leserschaft erfreut, ist sie in Deutschland bislang nicht veröffentlicht.

Ein 28-Jähriger war der große Star des Festivals

Die letzten beiden Tage des Comicfestivals hätten unterschiedlicher kaum sein können. Während sich am Samstag bei miserablem Wetter die Menschenmassen durch die engen Angoulêmer Straßen und Ausstellerhallen schoben, konnte man am Sonntag bei strahlendem Sonnenschein durch die fast leere Innenstadt schlendern und die vergangenen Tage auf sich wirken lassen.

Zeitlos: "Dragon Ball" ist auch in Deutschland ein Hit.
Zeitlos: "Dragon Ball" ist auch in Deutschland ein Hit.
© Carlsen

Zugleich standen am Samstag zahlreiche Autoren im Mittelpunkt der Ereignisse, von Chester Brown über Edmond Baudoin bis hin zu Birgit Weyhe. Einer aber stand hier über allen. Der erst 28-jährige Bastien Vivès, dessen gemeinsam mit Rupert & Mulot gezeichnetes Gaunerstück „Die große Odaliske“ (ab Mai 2013 bei Reprodukt) in der Auswahl der für die Comicpreise nominierten Bände war, war in aller Munde. Das lag zum einen daran, dass Vivès am Samstagabend ein Konzert des französischen Sängers Lescop gezeichnet hat, zum anderen aber auch mit seiner neuen Serie „Last Man“, die im März bei Casterman erscheinen soll, deren Werbefeldzug aber schon volle Fahrt aufgenommen hat. Casterman ist der Suhrkamp-Verlag unter den französischen Comicverlagen und hat mit der Science-Fiction-Oper ein Projekt sondergleichen gestartet. Mit Bastien Vivès, Balak und Michaël Sanlaville hat der renommierte Verlag drei der aufregendsten Comicautoren zusammengeführt, die innerhalb von drei Monaten über 200 Seiten produzieren sollen. Zwischenzeitlich drohte das Projekt aufgrund persönlicher Streitigkeiten zu scheitern. Die Youtube-Dokumentation erzählt eindrucksvoll und amüsant davon. Aber zurück zu Bastien Vivès. Nach vier Tagen in Angoulême muss man den Eindruck haben, dass der junge Autor der neue Star in Frankreich sein wird. Seine Bände (in Deutschland bei Reprodukt) gehören zu den beliebtesten Comics überhaupt. Und mit „Last Man“ scheint der bislang größte Erfolg in der Karriere des noch jungen Vivès schon programmiert zu sein, der dann zweifelsohne auch den Weg nach Deutschland finden wird.

Comic und Kino sind in Frankreich untrennbar miteinander verbunden. Entsprechend haben hier auch zwei Animationsfilme das allgemeine Interesse auf sich gezogen. Zum einen wurde am Samstagabend die Vorpremiere des Kinofilms „Aya von Yopougon“ gefeiert, der die in sechs Bänden vorliegende Geschichte der 19-jährigen Aya erzählt, die in einer Vorstadt der Hauptstadt der Elfenbeinküste Abidjan lebt und Einblick in ihren turbulenten Alltag gibt (in Deutschland bei Carlsen). Der etwas scherenschnittartige, aber liebenswerte Film kommt im Juli in die französischen Kinos. Anders der Film „Arrugas“, der rechtzeitig zum Comicfestival in Frankreich anläuft und eine liebevolle Geschichte des Altwerdens und Vergessens erzählt. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Emilio und Miguel, zwei Bewohner eines Altersheims. Miguel und seine Freunde verhindern mit vereinten Kräften, dass der Neuankömmling und an Alzheimer erkrankte Emilio – dessen naive Erscheinung etwas an Arthur den Engel erinnert – auf die Pflegestation verlegt wird. Der Film basiert auf dem gleichnamigen und vielfach preisgekrönten Comic des spanischen Comiczeichners Paco Roca, der sicher demnächst auch in Deutschland auf den Markt kommen wird. Der Film, zu dem Roca das Drehbuch schrieb, ruft ausschließlich lobende Kritiken hervor, weil er humorvoll und ernsthaft zugleich ein sensibles Thema aufgreift, dass Frankreichs Gesellschaft ebenso beschäftigt wie die deutsche.

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